Adel verpflichtet

28. April 2017

Das waren noch Zeiten, als die deutschen Herrschaften in Ostpreußen auf ihren Gütern noch regieren konnten wie kleine Herrscher. Die Dame des Hauses musste sich nur um die Organisation des Haushalts kümmern und manchmal vielleicht auch mit der Mamsell, der Hausdame, darüber streiten, wer das letzte Wort hat. Und natürlich Feste planen, bei denen die Freunde und Nachbarn zusammenkamen und man schauen konnte, ob die Kinder nicht zusammenpassen könnten. Spätere Heirat nicht ausgeschlossen. Solange man unter sich blieb. Adel verpflichtet schließlich.

Die mittellose Tochter muss unter die Haube

Das bekommt auch Frederike zu spüren, die durchaus ein Gefühl für Gerechtigkeit entwickelt hat und einen Blick dafür, dass die Freuden der Gutsbesitzer manchmal mit der Ausbeutung der Dienerschaft erkauft sind. Trotzdem: An Auflehnung denkt das junge Mädchen auch dann nicht, als die Schwester wegen eines Techtelmechtels mit dem Sohn des Kutschers zu einer gestrengen Tante exiliert wird. Die Mutter hatte nach dem Tod ihres Vaters zwei Mal wieder geheiratet. Der aktuelle Stiefvater war der Bruder des verstorbenen Stiefvaters, und Frederike hat kein Erbe zu erwarten. Manchmal hat sie Angst, sie könnte zu einem Dasein als alte Jungfer verurteilt sein wie die unverheiratete Schwester ihres Stiefvaters, die ebenfalls auf dem Gut lebt.
Aber da ist ja auch der deutlich ältere und geheimnisvoll wirkende Gutsbesitzer Ax von Stieglitz, ein Jagdfreund des Stiefvaters und bei Frederikes Mutter wohl gelitten. Das junge Mädchen fühlt sich zu dem feschen Nachbarn hingezogen. Eine gute Partie, raunen die Verwandten, und die Mutter hat es auffällig eilig, die mittellose Tochter unter die Haube zu bringen. Doch Glück bringt Frederike die Ehe nicht. Denn ausgerechnet bei der Hochzeitsreise muss sie erkennen, dass ihre Mutter und ihr Mann ihr etwas ganz Wesentliches verschwiegen haben…

Eine wahre Geschichte aus einer fernen Zeit

Was sich zeitweise anhört wie ein Lore-Roman beruht auf einer wahren Geschichte. Ulrike Renk hat die ostpreußische Familiengeschichte „Das Lied der Störche“ nach den Erinnerungen derer zu Putlitz geschrieben. Einiges hat sie dazu erfunden wie es sich für einen Roman gehört, aber vieles hat sie aus den privaten Erinnerungen übernommen. Und, weil sie bei ihren Recherchen auf noch mehr Geschichten gestoßen ist, wird es einen zweiten Band geben, in dem die Geschichte von Frederike weiter erzählt wird.
Die Handlung spielt um das Jahr 1920, der Erste Weltkrieg ist noch nicht lange vorbei, der Zweite noch über ein Jahrzehnt entfernt. Es ist eine uns sehr ferne,  sehr fremde Welt, in die Ulrike Renk die Leser entführt, eine Art Jane-Austen-Welt voller Stolz und Vorurteil.
Info: Ulrike Renk. Das Lied der Störche, Aufbau Taschenbuch, 506 S., 12,99 Euro

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