Das Dream Hotel von Laila Lalami kann die Lesenden um den Schlaf bringen, erzählt es doch eine dystopische Geschichte, die erschreckend nah an der Gegenwart ist: Als Sara Hussein von einer Geschäftsreise nach Los Angeles zurückkehrt und den Flughafen verlassen will, wird sie von einem Angestellten des Amts für Risikobewertung aufgehalten und in ein Besprechungszimmer gebracht. Sie wird festgehalten, weil ihr Risikowert zu hoch sei: Die Analyse ihrer Traumdaten habe ergeben, dass sie zur Gefährdung für ihren Ehemann werden könnte. Zu seiner Sicherheit muss sie sich für mindestens einundzwanzig Tage unter Beobachtung begeben – in das Dream Hotel, eine ehemalige Schule.
Die Überwachung
An Sara ist eigentlich nichts auffällig. Sie arbeitet im Museum, ist verheiratet und hat kleine Zwillingstöchter. Ihre Eltern kamen vor langer Zeit aus Marokko in die USA. Dass sie als Gefährderin gelten könnte, ist Sara nie in den Sinn gekommen. Aber in dieser nicht allzu fernen Zeit kann es wohl jedem passieren, dass er auffällig wird. Da gibt es einen Riskscore, der die Gefährlichkeit der Individuen nach einem Algorithmus bewertet, eine nahezu allgegenwärtige OmniCloud und den Dreamsaver, den sich viele – auch Sara – implantieren haben lassen, um wieder durchzuschlafen. Allerdings erlauben die Betroffenen damit der Firma, ihre Träume mit der Regierung zu teilen. Angeblich würde das die Gefahr von Anschlägen oder Morden minimieren. Doch schon kleine Abweichungen von der Norm können eine Einbehaltung zur Folge haben – wie Sara erleben muss.
Der Alptraum
Sie wird in einer ehemaligen Schule interniert – zusammen mit anderen Frauen mit unterschiedlichstem Hintergrund. Freikommen könne sie, wenn ihr Riskscore niedrig genug sei, heißt es. Wie die anderen „Einbehaltenen“ versucht Sara sich anzupassen, um dem Alptraum so schnell wie möglich zu entkommen. Doch die Schikanen und Demütigungen des Personals, denen sie hilflos ausgeliefert ist, zermürben sie zunehmend. Und irgendwann muss sie erkennen, dass Unterwerfung und Gehorsam sie nicht weiterbringen. Sie muss kämpfen, um ihr altes Leben zurück zu bekommen. Und dazu braucht sie die Unterstützung von anderen Frauen. Ohne deren Solidarität droht ihr Kampf zu scheitern.
Keine Würde
Es ist ein besonderes Erlebnis, Das Dream Hotel zu lesen. Denn Laila Lalami zieht die Lesenden mit hinein in diesen Alptraum, lässt sie Saras Frustration angesichts eines unmenschlichen Systems und seiner empatielosen Helfershelfer fast hautnah spüren. Auch ihre Ängste angesichts der Träume, die sie heimsuchen. Im Dream Hotel wird nicht körperlich gefoltert, aber die Frauen werden durch kleinliche Vorgaben und bösartige Verweigerungen ihrer Würde beraubt: Mal gibt es keine frische Wäsche, mal nur wenig zu essen oder keine Waschgelegenheit. Besuche werden ohne Erklärung verboten, Lesezeiten willkürlich verkürzt, Telefonate unterbrochen.
Der Algorithmus
Das Dream Hotel ist ein wirkungsmächtiger dystopischer Roman. Die intensiven Schilderungen von Saras Leiden stehen in Kontrast zu den nüchternen, bürokratischen Notizen aus dem seelenlosen Apparat. Und Sara fragt sich, wie und wann alles begonnen hat: „Sara hat im Madison genug Zeit gehabt, um über ihre eigene Vergangenheit nachzudenken, und das eine oder andere Ereignis Revue passieren zu lassen, das der Algorithmus gegen sie verwendet haben könnte: ein Witz, den sie unbedacht in den sozialen Medien gepostet hat, ein Streit um einen Parkplatz vor einem Supermarkt, eine Fahrt mit einem Ticket, das sie nicht entwertet hatte, weil sie sie Stadtbahn erwischen wollte. Als diese Dinge passierten, erschienen sie ihr banal, wenn sie sich überhaupt Gedanken darüber machte, aber sie waren auf Smartphones, in Form von Screenshots oder durch versteckte Sicherheitskameras festgehalten und in Online-Datenbanken gespeichert worden. Sie kann ihre Vergangenheit weder löschen noch ihr entkommen.“
Offene Fragen
Was ist mit all den Daten, die wir so großzügig freigeben? Und was ist mit den Menschen, die derzeit in den USA weggesperrt werden, weil sie unerwünscht sind? Was kommt womöglich auf uns zu, wenn statt Menschen ein Algorithmus über Gut und Böse entscheidet? Der von Michaela Grabinger ins Deutsche übertragene Roman Das Dream Hotel hallt noch lange nach.
Info. Laila Lalami. Das Dream Hotel, ins Deutsche übertragen von Michaela Grabinger, Kein & Aber, 490 S.,
Keine Kommentare