Das Ende aller Sicherheit
Rezensionen / 22. April 2018

„Die Shaker waren fest überzeugt, wenn sie jede Kleinigkeit planten, könnten sie ein Stück Himmel auf Erden schaffen, einen kleinen Zufluchtsort, und die Gründer von Shaker Heights hatten genauso gedacht.“ Vergebliches Streben nach Harmonie  Doch der Himmel auf Erden bleibt wohl für ewig ein Sehnsuchtsort, auch wenn sich die Menschen noch so sehr abmühen in ihrem Bestreben nach Harmonie. Die Richardsons zum Beispiel, eine typische Familie in den Shaker Heights. Vater, Mutter und vier Kinder. Die Mutter Reporterin in einem Provinzblatt, der Vater Partner in einer Anwaltskanzlei, ein repräsentatives Haus, wohl erzogene Kinder mit besten Aussichten auf eine spätere Karriere. Eine unangepasste Frau bringt die schön geordnete Welt zum Einsturz  Und dann erscheint Mia auf dem Plan, eine Künstlerin, unangepasst, ungebunden, planlos, Mutter einer vaterlosen halbwüchsigen Tochter, Pearl. Ohne es zu wollen bringen die beiden die so schön geordnete Welt von Shakers Heights zum Einsturz. Die Veränderungen kündigen sich nicht an, sie beginnen schleichend mit den Fragen von Izzy, der jüngsten Tochter der Richardsons, nach dem Sinn des Lebens. Mit der Liebelei zwischen Pearl und dem Richardson-Sprössling Trip. Mit einem adoptierten Kind, das die richtige Mutter wieder zurück verlangt. Schließlich erregt ein Gemälde, auf dem Mia mit Pearl im Arm als…

Reinhold Messner als Comic-Held
Rezensionen / 22. April 2018

Reinhold Messner hat so ziemlich alles geschafft, was ein Bergsteiger schaffen kann: Der Sohn eines Dorfschullehrers aus dem Villnösstal hat alle 14 Achttausender dieser Welt bestiegen, er war (zusammen mit Peter Habeler) der erste Mensch, der den Everest ohne Flaschensauerstoff bezwang. Er hat in Begleitung von Arved Fuchs die Antarktis durchquert und im Alleingang die Wüste Gobi. Doch nicht genug damit, der lange ungeliebte Sohn Südtirols hat seiner Heimat eine Reihe von Bergmuseen beschert, er hat als Europa-Politiker die Positionen der Grünen vertreten und Berge von Büchern veröffentlicht. Kein Wunder, dass dieser Mann zur lebenden Legende wurde. Filme wurden mit und über ihn gedreht, – und nun hat er es auch in einen Comic geschafft. Ein komplexes Leben in drei Kapiteln Der italienische Zeichner und Buchautor Michele Petrucci hat sich daran gemacht, Messners „komplexes Leben“ als einen Comic in drei Kapiteln zu erzählen: „Der Berg“, „Die Leere“, „Der Phönix“. Wobei Petrucci nicht linear erzählt, sondern leitmotivisch den Mann porträtiert, der immer neue Herausforderungen sucht, dessen Gedanken aber immer um die eine Tragödie kreisen, die sein Leben verändert hat: Um den Tod seines Bruders Günter am Nanga Parbat. Petrucci zeichnet die beiden Messner-Brüder als Seelen-Verwandte, die unter der Knute des strengen…

Die Stumme und die Kreatur
Rezensionen / 27. März 2018

Vier Oscars hat Regisseur Guillermo del Toro für sein filmisches Fantasie-Märchen „The Shape of Water“ über eine außergewöhnliche Liebe, die alle Grenzen sprengt, eingeheimst, darunter den Oscar für den besten Film. Skrupellose Militärs Die Story ist schnell erzählt: Eine Kreatur aus dem Dschungel, halb Fisch, halb Mensch, wird während des Kalten Kriegs in ein militärisches Forschungslabor entführt, wo sie zu kriegerischen Zwecken untersucht wird. Der skrupelloser Militär Strickland, von einem noch skrupelloseren Vorgesetzten unter Druck gesetzt, lässt an dem seltsamen Wesen seine sadistischen Neigungen aus. Scheinbar hilflose Hilfstruppen Seine Gegenspielerin ist eine stumme – aber nicht taube – Putzfrau mit einem Faible für auffällige Schuhe. Elisa verliebt sich in die geschundene Kreatur. Zu ihren Hilfstruppen gehören ein als Wissenschaftler getarnter russischer Spion, der den Amerikanern das Forschungsobjekt entwenden und später töten soll und deshalb seine Rettung beschließt, Elisas schwarze Freundin und ein alternder homophiler Werbegrafiker. Eine bleierne Zeit Doch warum das Buch noch lesen, nachdem man die Geschichte kennt und womöglich den ausgezeichneten Film von Guillermo del Toro gesehen hat? Ganz einfach: Weil im Buch noch viel mehr Facetten möglich sind, weil man lesend so manche Hintergründe versteht. Die Kriegstraumata, die nur scheinbar heile Welt des Kleinbürgertums, die Hölle der…

Amour fou in der besten Gesellschaft
Rezensionen / 27. März 2018

Die Geschichte ist filmreif: Die einzige Tochter des mächtigsten Schweizers des 19. Jahrhunderts heiratet den Sohn eines Bundesrats, der mit ihrem Vater verfeindet ist. Dann verliebt sie sich in den Jugendfreund ihres Mannes, einen unberechenbaren Künstler, der ein Bild von ihr malen soll – und brennt schließlich mit ihm durch. Worauf er ins Gefängnis und sie in eine Anstalt gesteckt wird. Wenig später bringen sich beide um. Kein Roman, sondern die die wahre Liebesgeschichte von Lydia Welti-Escher (1858–1891), Tochter des Gotthard-Königs Alfred Escher, und Karl Stauffer-Bern (1857–1891). Die Tragödie aus der Sicht des Dienstmädchens  Lukas Hartmann, der vorzüglich Historisches in Romanform gießen kann, hat daraus einen Roman gemacht, in dem er die Tragödie aus der Sicht des Hausmädchens Marie Louise Gaugler erzählt. Auch dieses Mädchen gab es tatsächlich, wie Hartmann herausgefunden hat. Als 15-Jährige kam Luise in den herrschaftlichen Wohnsitz der Familie Welti-Escher. Das anfangs unbedarfte Mädchen wird zur engen Vertrauten der unglücklichen Millionenerbin, und die beiden so ungleichen Frauen nähern sich einander immer mehr an. Luises Liebe ist der Gegenentwurf zu Lydias Leidenschaft Auch Luise lernt die Liebe kennen, verzichtet aber aus Treue zu ihrer Arbeitgeberin lange Zeit auf deren Erfüllung. Erst nach dem Tod Lydias heiratet sie ihren…

Indonesien als Alptraum
Rezensionen / 27. März 2018

„Schönheit ist eine Wunde“ ist grausam und großartig, fantastisch und unbegreiflich. Ein Roman wie ein Alptraum. Der Autor Eka Kurniawan, geboren 1975 in Westjava, ist Romancier, Drehbuchautor, Blogger und Comic-Zeichner. Tatsächlich hat der Roman über fünf indonesische Frauenschicksale viel von einem – stark überzeichneten – Comic. Das Buch wimmelt von extremen Persönlichkeiten, von drastischen Ereignissen, von unmenschlichen Aktionen und unglaublichen Entwicklungen, von Geistern und Wiedergängern. Die schöne Hure von Halimunda Im Mittelpunkt steht Dewi Ayu, die schönste und beliebteste Hure von Halimunda, Abkömmling niederländischer Plantagenbesitzer, die mit über 50 Jahren ihre vierte Tochter ohne Vater zur Welt bringt, kurz danach stirbt und 21 Jahre später wieder aufersteht, um endgültig einen Fluch abzuwenden, der auf ihren Nachkommen lastet. Der Fluch der Schönheit Ihr holländischer Großvater hatte sich eine schöne junge Einheimische gewaltsam zur Konkubine gemacht, Dewis Großmutter. Sie hatte einen Geliebten, der an dem Verlust seiner Liebsten zerbrochen ist. Als er sie nach langer Zeit noch einmal in die Arme schließen kann, stürzt sie sich auf der Flucht vor den Schergen des Holländers vom Gipfel eines Berges – und fliegt davon. Ihr Geliebter folgt ihr Jahre später. Da ist er ein alter, verbitterter Mann. Die Schicksale der Schwestern Derweil wächst Ayu…

Ansteckende Dreck-Phobie
Rezensionen / 7. März 2018

Welcher Erwachsene würde sich nicht so ein Wunderding wie den Ratz-Fatz-x-weg 23 wünschen? Einen Staubsauger, der ratzfatz alles wegputzt? Aber das Ding hat eben auch seine Schattenseiten, und die bemerkt Laura zuerst. Sie und ihr kleiner Bruder Robert erkennen ihre Mutter kaum wieder. Die gute Frau Pittel mutiert innerhalb kürzester Zeit zum Putzteufel – bis zum Nervenzusammenbruch. Eigenartig, dass Gertis nervige Tante auch mit dem Wunder-Staubsauger hantiert und eine regelrechte Dreck-Phobie entwickelt hat. Ob das nur am Ratz-Fatz-weg liegt? Oder womöglich auch an den Tropfen im Goldfläschchen, das die adretten Vertreter, die immer ganz in weiß kommen,  gleich mitliefern? Bösartige Verschwörung aus dem Wüstenimperium Die drei Kinder beschließen, der Sache auf den Grund zu gehen, und dabei decken sie eine bösartige Verschwörung auf, die in einem merkwürdigen Wüstenimperium geplant wird. Wie sie dorthin gelangen und wie sie es schaffen, den Klauen der Sicherheitskräfte zu entrinnen und heil wieder nach hause zu kommen, das erzählen sie abwechselnd dem Direktor ihrer Schule. Denn der Herr Glauber konnte und wollte einfach nicht glauben, was Laura und Gerti in ihrem Schulaufsatz geschrieben hatten. Die Beichte auf dem Sofa des Direktors  Nun sitzen sie jede Pause bei ihm auf dem Sofa und erzählen, wie sie…

Feuerwerk und Naturschutz
Rezensionen / 7. März 2018

Man merkt gleich, dass hier eine Journalistin am Werk ist, eine, die gerne und gründlich recherchiert. Aber auch eine, die eine feste Meinung hat, vor allem wenn es um Tierschutz, Umwelt oder auch die neuesten digitalen Errungenschaften geht. Nicola Förg scheut sich nicht, in ihren Krimis aktuelle Probleme anzusprechen – ob es sich nun um giftige Gülle oder Welpenschmuggel handelt wie in den letzten Krimis oder um den Unsinn von Silvesterfeuerwerken in freier Natur und die Problematik von Windenergie wie im aktuellen Buch. „Rabenschwarze Beute“ heißt das neue spannende Werk aus der Feder der erfolgreichen Autorin. Es ist ihr 19. Alpenkrimi, diesmal wieder mit der handfesten Irmi und ihrer sprunghaften Kollegin Kathi. Im aktuellen Fall hat Nicola Förg gleich mehrere aktuelle Probleme auf 350 Seiten untergebracht, und es ist ihr trotzdem gelungen, einen bis zur überraschenden Auflösung spannenden Krimi zu schreiben. Ein toter Vogelschützer und ein erfrorenes Mädchen Die beiden Kommissarinnen sind nicht nur mit einem toten Vogelschützer konfrontiert, der während der Silvesterknallerei buchstäblich vom Balkon geschossen wurde. Bei einem „Motivations-Wochenende“ in den Bergen stolpern sie auch über eine ziemlich oberflächlich wirkende Modebloggerin, die ihre kleine Tochter für ihre Auftritte instrumentalisiert. Als das kleine Mädchen erfroren aufgefunden wird, ist für…

Fabelhafter Schelmenroman
Rezensionen / 7. März 2018

„Uns andere aber hört man dort, wo wir einst lebten, manchmal in den Bäumen. Man hört uns im Gras und im Grillenzirpen, man hört uns, wenn man den Kopf gegen das Astloch der alten Ulme legt, und zuweilen kommt es Kindern vor, als könnten sie unsere Gesichter im Wasser des Baches sehen. Unsere Kirche steht nicht mher, aber die Kiesel, die das Wasser rund und weiß geschliffen hat, sind noch dieselben, wie auch die Bäume dieselben sind. Wir aber erinnern uns, auch wenn keiner sich an uns erinnert, denn wir haben uns noch nicht damit abgefunden, nicht zu sein. Der Tod ist immer noch neu für uns, und die Dinge der Lebenden sind uns nicht gleichgültig. Denn es ist alles nicht lang her.“ Ein Krieg, der das Land und die Seelen der Menschen verheerte Diesen längst vergessenen Toten aus einem fürchterlichen Krieg, der 30 Jahre lang das Land und die Seelen der Menschen verheerte, gibt Daniel Kehlmann in seinem fabelhaften Roman „Tyll“ das Wort. Nein, Kehlmann hat keinen Roman über den Gaukler Till Eulenspiegel geschrieben, auch wenn Titel und Umschlagbild das vorgaukeln. Kehlmann hat über den Dreißigjährigen Krieg geschrieben und den närrischen Gaukler aus dem Mittelalter da hinein gepflanzt –…

Lust aufs Land
Rezensionen / 22. Februar 2018

„Vera ließ sich von seiner vernarbten Fassade und dem drangierten Reedach nicht täuschen: Das Haus moche angeschlagen sein, aber es würde hier noch stehen, wenn sie schln längst ihren Abgang durch die Brauttür gemacht hatte, Füße voran.“ Die Sehnsucht nach der heilen Welt Das alte Haus steht im Mittelpunkt von Dörte Hansens Roman „Altes Land“, der sich überraschend monatelange auf den Bestsellerlisten behauptete.  Der erste Hype ist schon wieder abgeebbt, aber Landleben zieht noch immer. Die Sehnsucht nach einer „heilen Welt“, zurück zu den Wurzeln, pflanzen und ernten. Dörte Hansens hat sich diesen Hype zunutze gemacht und ihn gleichzeitig karikiert. Ihr Roman spielt in den Apfelgärten der Elbmarsch südlich von Hamburg – und in dem alten Haus spielen sich Dramen ab – Flüchtlingsdramen. Im Zweiten Weltkrieg stranden dort die ostpreußische Adelige Hildegard von Kamcke und ihre Tochter Vera, von der Hofherrin als Gesindel verachtet.  Später erbt Vera das Haus mit „seiner vernarbten Fassade“. Und als die schroffe Zahnärztin schon in die Jahre gekommen ist und das Haus heruntergekommen, flüchtet sich ihre Nichte Anne mit Sohn Leon unter das brüchige Reetdach. Anne hat genug von der Großstadt, vom allseits zur Schau gestellten Mutterglück, genug von dem Mann, der sie betrogen hat. Das…

Eine Idee nimmt Gestalt an
Rezensionen / 22. Februar 2018

Gleich vorneweg. Wer diesen ersten Band von Haruki Murakami liest, kommt um die Fortsetzung nicht herum. Zu viele Erzählstränge sind noch offen, zu groß ist die Neugier, ob der Autor die Balance zwischen Ost und West, zwischen Realität und Magie aufrechterhalten kann. Murakami schlüpft in „Die Ermordung des Commendatore“ in die Figur eines minder begabten Malers, der im Haus eines Freundes Zuflucht findet, nachdem ihn seine Frau verlassen hat. Der Porträtmaler droht am Auftrag zu scheitern  In dem Haus am Berg, in das er sich nach einer längeren Irrfahrt zurückzieht, hat dessen Vater, ein berühmter Maler, gelebt, bevor er an Demenz erkrankte. Der neue Bewohner, der als Porträtmaler relativ erfolgreich war, verdient seinen Lebensunterhalt inzwischen mit Kunstunterricht für Laien. Da sucht ihn eines Tages ein schon etwas älterer Herr auf, der ihm einen unvernünftig hohen Preis bietet, wenn er von seinem Vorsatz, nie wieder Porträts anzufertigen, abrückt und ihn malt. Nach einigem Überlegen nimmt er den Auftrag an – und steht vor unerwarteten Problemen. Es will ihm kein aussagekräftiges Porträt gelingen – fast so, als hätte der Mann mit dem auffallend weißen Haarschopf kein Gesicht. So wie der Porträtkunde im anfänglichen Alptraum. Das Rauschen der Zeit unter der Oberfläche  Murakami…