Das Phänomen Jane Austen

19. Juli 2017

Wie sich die Zeiten gleichen: Landliebe war vor gut 200 Jahren in England ebenso angesagt wie heute, Bücher über Design und Gärten florierten. Und ebenso wie heute waren die Zeiten kritisch: Die Französische Revolution fegte alles hinweg, was bis dahin als sicher galt, Napoleon überzog Europa mit Kriegen und veränderte die Weltordnung. Und Jane Austen? Schrieb über den englischen Landadel, über Vernunft und Gefühl, Stolz und Vorurteil. Gallig kommentierte John Updike das Fehlen jeglichen politischen Hintergrunds in den Austen-Romanen: „Für Jane Austen war Napoleon der Grund dafür, dass die englische Landschaft so sparsam mit künftigen Ehemännern ausgestattet war.“

Jane Austen wird mit Dickens und Shakespeare verglichen

Und heute: Die Welt ist in Aufruhr, Hunderttausende fliehen vor Krieg und Elend, und Jane Austens Romane sind so beliebt wie schon lange nicht mehr. Ist es die Flucht aus der Realität, zu der ihre Romane einladen, die Sehnsucht nach einer geordneten, überschaubaren Welt? Oder ist Jane Austen wirklich die große Schriftstellerin als die sie zu ihrem 200. Todestag gerühmt wird, vergleichbar mit Dickens und Shakespeare?
Ihren Zeitgenossen blieb die Pfarrerstochter lange Zeit eine Unbekannte. 1811, da war sie 36 Jahre alt, erschien „Sense and Sensibility“ mit der schlichten Autorenangabe: „By a lady“. Erst nach ihrem Tod veröffentlichte ihr Bruder „Northanger Abbey“ unter dem Namen seiner Schwester. Sir Walter Scott, damals ein Bestseller-Autor, outete sich sogleich als Bewunderer: „Diese junge Dame hat ein Talent die Verwicklungen und Charaktere des Alltags zu beschreiben, das für mich das wundervollste ist, das mir je begegnet ist.“

Sie schrieb über das Leben, das Land, die Liebe

Sie schrieb über das Leben, das Land, die Liebe und war doch ganz anders als die Gartenlauben-Schreiberinnen ihrer oder als die Rosamunde Pilchers unserer Zeit. Spitzzüngig und geistreich beschrieb sie das Leben des niederen Landadels, bestückte ihre Romane mit zeitlosen Archetypen, wie Literaturkritiker Denis Scheck, bewundernd anmerkt. Weit musste sie dafür nicht gehen, die Vorbilder für ihr Handlungspersonal fand Jane Austen in ihrer Umgebung. Sechs Brüder hatte sie und eine Schwester, Cassandra, die sie ihr Leben lang begleitete. Freunde und Verwandte der großen Familie und die gesellschaftlichen Ereignisse, bei denen sie zusammenkamen, fanden ihren Niederschlag in den Romanen.
Die großen Häuser, die eleganten Roben, die vornehmen Bälle gaben dabei nur den äußeren Rahmen für das, was Austen interessierte: „Alles ist besser als eine Heirat ohne Zuneigung“, sagte sie einmal. Und diese Ansicht, zu ihrer Zeit wohl ebenso revolutionär wie die schreibende Autorin selbst, vertreten ihre Heldinnen nicht nur in geschliffenen Dialogen, sondern auch in ihrem Handeln. Doch ganz kann sich nicht einmal die scharfzüngige Emma im gleichnamigen Roman aus dem Korsett der Konventionen befreien. Am Ende kommt auch sie unter die Haube – und entgeht damit dem Schicksal, als altjüngferliche Tante auf die Almosen der Brüder angewiesen zu sein. So wie Jane Austen, die ihre letzten Jahre zusammen mit Mutter und Schwester in einem kleinen Haus in Chawton verbrachte, das Bruder Edward den Frauen zur Verfügung gestellt hatte.

Das Glück einer verheirateten Frau

Eine verheiratete Frau hatte es da schon besser, wenn sie denn das Glück hatte, den Richtigen zu finden. Reich sollte er sein, um Anteil am gesellschaftlichen Leben zu gewährleisten, großzügig, um auch eine Frau ohne große Mitgift zu ehelichen, standesgemäß, um im nachbarlichen Umfeld anerkannt zu sein.
Jane Austen blieb dieses Glück versagt. Doch statt sich in ihrer Rolle als stickende alte Jungfer zu finden, schrieb sie über das, was ihre Zeitgenossinnen bewegte und porträtierte selbstbewusste, kluge Frauen, die gerade wegen ihrer Unangepasstheit das Interesse der Männer erregten. Auffallend oft stellte sie diesen Frauen eine Schwester zur Seite, die ganz anders ist: gefühlvoll, leidenschaftlich, verletzlich wie Marianne in „Vernunft und Gefühl“ oder Jane in „Stolz und Vorurteil“.

Nur die Queen und Jane Austen

Diese Facetten, die in Austens Romanen ebenso wichtig sind wie die oft entlarvenden Dialoge, kommen in den opulenten Verfilmungen der Romane viel zu kurz, was dazu geführt hat, dass Jane Austen gerne als Rosamunde Pilcher ihrer Zeit missinterpretiert wird. Das war sie ebenso wenig wie eine Feministin. Was sie war, ist wichtig genug: eine genaue und kritische Chronistin ihrer Zeit und der menschlichen Schwächen. Großbritannien ehrt sie mit einer ungewöhnlichen Aktion: Als einzige Frau neben der Queen ziert Jane Austen eine Münze und einen Pfundschein des Königreichs.

Tipp Jane Austens Roman „Sense and Sensibility“ ist als „Vernunft und Gefühl“ in einer zeitgemäßen Übersetzung von Andrea Ott im Manesse Verlag erschienen, mit einem lesenswerten Nachwort von Denis Scheck.

 

Keine Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert