Der Selbstverbrenner

27. September 2017

Das „Opfer“ ist (fast) vergessen wie der Mensch auch. Doch im Internet findet sich noch so einiges über Hartmut Gründler, der sich 1977 aus Protest gegen die Atompolitik der Bundesregierung selbst angezündet hat. Jetzt hat es der unerbittliche Selbstverbrenner sogar in ein Buch geschafft. Der preisgekrönte Autor Nicol Ljubic erzählt in „Ein Mensch brennt“ Gründlers Geschichte aus der Sicht des zehnjährigen Hanno Kelsterberg.

Hartmut Gründler opfert die Menschlichkeit der Sache

1975 vermieten Hannos Eltern Gründler ein Zimmer. Es sind bewegte Zeiten: Die RAF beherrscht die Schlagzeilen, doch auch friedensbewegte Menschen gehen auf die Straße und protestieren gegen die Kernkraft. Einer von ihnen ist Hartmut Gründler. Doch er ist anders als die anderen Demonstranten, kämpferischer, unbequemer, ein Rebell und ein Fanatiker, der nur sich und seine Sache sieht und verlernt hat, was Menschlichkeit ist. So jedenfalls lässt Ljubic den kleinen Hanno den neuen Mieter erleben.

Der Rebell instrumentalisiert die Familie

Gründlers Engagement verändert die kleine Familie: Hannos Mutter kommt durch ihn mit dem Umweltschutz in Berührung und beginnt an der Sinnhaftigkeit ihres Hausfrauen-Daseins zu zweifeln. Das Kind Hanno wird hineingezogen in diesen revolutionären Strudel. Denn Gründler instrumentalisiert Mutter und Sohn für seine Rebellion. Das erkennt Hanno gut 30 Jahre später, als er die Familiengeschichte aufzuarbeiten versucht, die untrennbar verbunden ist mit Hartmut Gründler und dessen Selbstverbrennung.

„Meine Mutter hatte unser Leben in zwei Phasen unterteilt, in ein Davor und ein Danach, und es auf einigen Dokumenten entsprechend durch ein „v. Har.“ und ein „n.Har“ gekennzeichnet. Wenn ich so darüber nachdenke, fehlt eine dritte Zeit, die vielleicht prägendste, die Mit-Hartmut-Zeit.“

Selbst im Alter bleibt die Mutter eine fanatische Gründler-Anhängerin, sieht sich verantwortlich dafür, die Fackel seines Widerstands weiterzutragen und will nicht erkennen, dass dieser Mann ihre Familie zerstört hat.

Die Thematik eines weltvergessenen Fanatismus

Ljubic thematisiert nicht nur die Problematik eines weltvergessenen Fanatismus, der uns heute wieder ängstigt wie zu den Hoch-Zeiten der RAF, er erzählt auch ein Stück Zeitgeschichte und das Psychogramm einer Familie. Dabei trifft er den Ton des Kindes Hanno ebenso wie den des Erwachsenen, der sprachlos wird angesichts der Zumutungen des selbsternannten Weltenretters.

„Er wollte, dass sie sich mit ihm zusammen anzündete. Weil sich die Wirkung nicht nur verdoppelte, sondern um ein Vielfaches steigerte, wenn eine Mutter mit ihm gemeinsam zum Streichholz gegriffen hätte.“

Erst da sagt Gründlers überzeugteste Anhängerin „nein“ – aus Rücksicht auf ihr Kind. Und Hanno zieht 30 Jahre später daraus den Schluss: „Letztlich war ich es ,der sie daran gehindert hatte, eine Heldin zu werden.“

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