Es war einmal… auf Sylt

2. Juli 2020

Susanne Matthiessen  ist Sylterin.  Ihr liegt die Insel, die derzeit vielen Deutschen wieder als Sehnsuchtsziel gilt,  am Herzen.  Und sie teilt gern ihre Erinnerungen an früher.  Das waren noch Zeiten, als Gunter Sachs auf Sylt Hof hielt und Arndt von Bohlen und Halbach bei Pelz Matthiessen seine Pelzmäntel kaufte. Das „deutsche Saint Tropez“ zog die Reichen und Schönen an wie das Licht die Motten.

 Auch Rudolf Augstein war da

Und es kamen nicht nur Stars und Sternchen, Banker und Unternehmer, sondern auch Politiker und Mediengrößen. Axel Springer residierte auf der Insel ebenso wie sein Lieblingsfeind Rudolf Augstein, an den sich die Autorin so erinnert: „Er war klein und hatte ganz dünne strähnige, ungewaschene, halblange Haare, die links und rechts über die Ohren hingen… Er saß die ganze Zeit in sich zusammengefallen da, als hätte er ein schlimmes Rückenleiden.“ Susanne Matthiessen nimmt in ihrem Buch „Ozelot und Friesennerz“ kein Blatt vor den Mund, wenn es um die prominenten Kunden ihrer Eltern, das Pelzgeschäft im besonderen und das Geschäft mit der Insel im allgemeinen geht.

Kindheit im Schatten des Tourismus

Ihre Erinnerungen beginnen mit einer Kindheit im Schatten des Tourismus, als die Eltern „jedes Bett in unserem Dünenhaus“ vermieteten und Gastgeber und Gäste eng zusammen rückten: „Wir lebten hautnah zusammen mit diesen vielen fremden Menschen, die die Insel im Sommer überfluteten. Es war eng. Es war laut. Wir teilten uns ein einziges Bad.“ Doch die Gäste brachten auch viel Geld auf die Insel, die Matthiessens und ihr Pelzgeschäft blühten auf.

Der Zeitgeist war gegen das Geschäft mit den Pelzen

Mit einiger Nostalgie schildert die Tochter, mit welcher Sorgfalt ihr Vater die teuren Pelze verarbeitete und wie liebevoll die Mutter die gekauften Schmuckstücke in Seidenpapier einschlug – bis der Wind sich drehte und Pelztragen verpönt wurde. „Der Zeitgeist hat uns weggespült“ schreibt Susanne Matthiessen fast melancholisch. Das neue Sylt, auf dem sich die Reichen hinter hohen Hecken abschotten, ist ihr suspekt. Doch schuld an den Veränderungen und auch den Umwelt-Sünden seien auch die Sylter selbst: „Die Alt-Sylter bauen den Neu-Syltern ihre Festungen aus. Für Geld machen wir einfach alles. Wir pflastern dem Karl-Heinz Rummenigge auch sein FC-Bayern-Logo riesengroß in die Einfahrt vor seinem Haus in Kampen. .. Künstliche Welten sind unsere Spezialität.“

Ein „Attrappenleben“ für die ungenutzte Immobilie

Diejenigen, die ihre riesigen Anwesen oft monatelang nicht nutzen, könnten ein „Attrappenleben für die eigene Immobilie“ buchen – samt gedecktem Kaffeetisch. Aber auch die normalen Touristen tragen nach Meinung der Autorin dazu bei, die Insel zu zerstören. Teure Luxushotels wie der Lanserhof entstünden in geschützten Naturlandschaften, aber auch das TUI-Dorfhotel in Rantum verschandele die „herrliche Wattseite am Rantumbecken mit seinem Plattenbaucharme“.  Da wird Susanne Matthiessen auch die neueste TUI-Meldung, dass sich das Dorfhotel künftig als „Lifestyle-Hotelmarke“ TUI Blue  mit Blockheizkraftwerk und eigener Ladesäule ganz ökologisch gibt,  kaum trösten.
Ein Buch für alle, die von Ferien auf Sylt träumen und für alle, die Klatsch und Tratsch lieben. Unterhaltsame Sommerlektüre mit Widerhaken.

Hineingelesen…

… ins frühere Inselleben
Ulrike Meinhof war sehr oft im Sommer auf Sylt. Gewohnt hat die Familie in Kampen. Wenn man Pfuschis Mutter glauben darf, muss sich hier niemand Sorgen machen. „Mag sein, dass sie irgendwas in die Luft sprengt. Man kann ja nicht in die Leute reingucken. Aber bestimmt nicht Sylt. Dafür war sie zu glücklich hier.“
Während es also in Berlin und München brennt, sind wir auf Sylt tatsächlich ziemlich glücklich. Ganz weit ab vom Schuss. Man braucht drei Stunden mit der Bahn, bis Deutschland in Hamburg wirklich anfängt. Mit den Umwälzungen, die dieses Land uns seine Gesellschaft gerade tief greifend verändern, haben wir nichts zu tun. Wir gehören gar nicht dazu. Wri sind kein Teil von Deutschland. Wir sind lediglich das Gästehaus für alle – mit eigener Hausordnung, die den Urlaubern fast alles erlaubt. Wir sind ein einziges großes in sich abgeschlossenes Feriendorf, in dem man es überall krachen lassen kann.“

Info: Susanne Matthiessen. Ozelot und Friesennerz – Roman einer Kindheit, Ullstein, 252 S., 20 Euro

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