Im Bann der Pocken

21. März 2021

1962 waren die Pocken in Deutschland fast ausgerottet, da brachte ein Monteur die Krankheit aus Indien in die Eifel. Es ist eine fast vergessene Geschichte, die Steffen Kopetzky in seinem neuen Roman Monschau aufgreift. Und sie erinnert in vielem an das, was wir derzeit mit Corona erleben. Denn auch damals sorgten Fehleinschätzungen für die Ausbreitung, auch damals war es ein mutiger Arzt, der mit drastischen Maßnahmen die Epidemie zu überwinden half.

Zwei Ärzte gegen die Pocken

Steffen Kopetzky, der für seine Bücher („Grand Tour“, „Propaganda“) immer viel recherchierte, nennt diesen Arzt beim richtigen Namen: Günter Stüttgen. Auch für den jungen Helden seines Buches, den kretischen Assistenzart Nikolaos Spyridakis hat er ein Vorbild: Constantin Orfanos, im ersten Jahr Arzt, erklärte sich bereit, sich als „Pockenbeauftragter“ für vier Wochen bei der Firma Junker einzuquartieren.

Eine Liebe über Grenzen hinweg

Rither heißt die Firma im Roman, und die verwaiste Alleinerbin Vera, eine junge emanzipierte Frau, ist – anders als die erkrankten Patienten – wohl Kopetzkys Phantasie entsprungen. Denn der Autor wollte nicht nur die Geschichte einer Seuche schreiben, sondern auch eine Liebesgeschichte, die kulturelle und gesellschaftliche Grenzen sprengt. Der kretische Arzt, der als Kind die Gräuel der deutschen Besatzung miterlebt hat, und die Universalerbin, der von ihrer Polio-Erkrankung ein leichter Gehfehler geblieben ist, entdecken schnell, dass sie mehr verbindet als ihre Liebe zu Miles Davis.

Geschichten in der Geschichte

Spannung in das Ganze bringt ein faschistischer Unternehmensleiter, der mit Veras Erbe ganz eigene Pläne verfolgt. Doch damit lassen sich keine 350 Seiten füllen. Und so bringt Kopetzky noch prominentes Personal in Stellung, u.a. einen neugierigen Reporter von der Quick, der sich als der Bestseller-Autor Johannes Mario Simmel entpuppt. Weit weg von Monschau darf Helmut Schmidt bei der Jahrhundertflut in Hamburg sein Organisationstalent unter Beweis stellen. Dann wären da noch Geschichten von Monschau als deutsches Brügge und die seines Leprosenhauses. Und natürlich Nikos‘ Erzählungen vom kretischen Widerstand.
Das alles hat Steffen Kopetzky in seinen Roman gepackt, der so auch eine ordentliche Lektion in Geschichte ist.

Hineingelesen…

… in Monschau 

Das Absondern gefährlich kranker Mitmenschen scheint grausam, aber es war lange die einzige Möglichkeit, die Gesunden zu schützen, vor anderen, ihren Freunden und Nächsten, wenn diese von Lepra oder Pest, von Cholera oder Tuberkulose befallen waren. Man durfte nicht in Berührung mit ihnen oder in ihre Nähe kommen, und man wollte es wohl auch nicht sehen, nicht riechen, die Geschwüre, die Pusteln, den Eiter.
Das hieß für die Kranken, aussätzig zu werden. Außerhalb der Gemeinschaft leben zu müssen. Was könnte schlimmer sein für einen Menschen, den doch selbst keine Schuld trifft? Man verwehrte den Aussätzigen das Durchschreiten der Tore, manche Städte sogar das Betreten der Brücken. Verdächtige Reisende blieben für une quarantaine de jours, für vierzig Tage auf dem von fern kommenden Schiff, bevor sie an Land treten durften.
Mit dem Beginn des Massenflugzeitalters in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts entstand eine neue Situation. Die Monschauer Pocken waren via Karachi mit Air India und Lufthansa angereist, und seitdem versuchte man, sie einzufangen. Und hatte dazu zunächst keine anderen Mittel als zu Vorzeiten, als man in den St.-Lazarus-Häusern, Leprosorien und Pestkolonien eine Infrastruktur von Quarantäne- und Isolationsorten schuf.

Info: Steffen Kopetzky. Monschau, Rowohlt Berlin, 355 S., 22 Euro

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