Sheherazade lässt grüßen
Rezensionen / 29. Oktober 2017

Einen seltsamen Deal bietet die alte Jean Culver der jungen Kate an: Ihre Familiengeschichte gegen deren Alkoholabstinenz. Denn Kate hat Probleme, ihr Leben auf die Reihe zu kriegen. Nach dem gewaltsamen Tod ihres Vaters bei Ashland & Vine hat sie ihr Studium geschmissen und lebt in einer schwierigen Beziehung mit dem exzentrischen Lauritz. Dass Kate sich auf den Deal einlässt, ist ein erster Schritt in ein neues, bewussteres Leben. Die Tiefpunkt der amerikanischen Geschichte John Burnside erzählt in dieser neuen Sheherazade-Adaption kein Märchen, sondern mit Jeans Familiensaga – eine verlorene Geliebte, der Neffe im Krieg verschollen, die Nichte im revolutionären Untergrund – auch die Geschichte Amerikas in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und vor allem die verstörenden Tiefpunkte wie das Massaker von My Lai im Vietnamkrieg, die Kommunistenhatz der McCarthy Ära, die bombenden Weathermen. Über die Macht der Erzählung Im engen Austausch mit Jean in deren Haus im verzauberten Garten gewinnt Kates Leben wieder eigene Konturen. Wie Lauritz hat sie mehr in der Inszenierung als in der Realität gelebt. Es geht um viel in diesem mit großer Meisterschaft geschriebenen Roman: Um Identität und Idealismus, um Liebe und Engagement, vor allem aber geht es um die Macht der Erzählung und…

Leben wie in der Geisterbahn
Rezensionen / 5. Dezember 2016

Er wollte immer anders sein als sein Vater. Das hat John Burnside auch geschafft. Immerhin ist der Schotte Schriftsteller geworden und lehrt als Professor kreatives Schreiben an der Universität von St. Andrews. Trotzdem ist er überzeugt davon, dass sein Vater nicht stolz auf den Erfolg gewesen wäre. „Er hätte gesagt: Das ist etwas für Weicheier, Bücher lesen und mit Studenten sprechen“, sagte der 61-Jährige in einem Interview. In dem Roman „Lügen über meinen Vater“ hat er mit dem alkoholkranken Stahlarbeiter abgerechnet, dessen Brutalität seine Kindheit überschattet hat. Die Fortsetzung heißt „Wie alle anderen“, und Burnside beschreibt darin, wie er selbst in den 1980er-Jahren drogensüchtig und alkoholabhängig war und zudem noch schizophren. Seltsame Höhenflüge  –  nah daran an der Selbstzerstörung Damals war sein größter Wunsch, wie alle anderen zu sein, also ein normales Leben zu führen – am besten in der Vorstadt und „aufs angenehmste betäubt“. Doch die Betäubung hält nicht an, er gerät wieder in den Sog der Abhängigkeit und fällt ganz tief, so tief, dass ein Kneipenbekannter ihn als Mörder seiner Frau engagieren will. Sein Leben wird zur Geisterbahn, heimgesucht von den Gespenstern der Vergangenheit. Er ist verliebt, hat Sex, reist und erlebt in selbst gewählter Einsamkeit seltsame Höhenflüge…