Wie Hänsel in Georgien
Rezensionen , Romane / 15. Februar 2024

Leo Vardashvili hat bis zu seinem zwölften Lebensjahr in Tbilissi gelebt und ist heute in England zu Hause. Sein Roman „Vor einem großen Walde“ führt tief hinein in sein versehrtes Land – und in die georgische Seele. Was für ein Buch: Tragisch, komisch, märchenhaft, gespenstisch. Ein Zauberbuch, das mit einer Schnitzeljagd in Georgien beginnt und mit einem Escape Game in Ossetien endet. Flucht nach England Der Ich-Erzähler Saba ist noch ein Kind, als er mit Bruder und Vater aus den Bürgerkriegswirren in Georgien nach England flieht. Die Mutter muss zurückbleiben, weil das Geld fehlt, aber ihr Fehlen prägt das Leben der Geflüchteten. Der Vater, Irakli, arbeitet sich ab, um sie nachkommen zu lassen, und als er endlich das Geld zusammen hat, verliert er alles an einen Betrüger, einen Landsmann. Dann stirbt die Mutter, ohne ihre Söhne noch einmal gesehen zu haben. Und Irakli, der nie in England Fuß gefasst hat, begibt sich auf Spurensuche in der alten Heimat. Die Geister  der Vergangenheit Als seine Söhne nichts mehr von ihm hören, macht sich der Ältere, Sandro, auf die Suche. Doch auch von ihm kommt irgendwann keine Nachricht mehr – und so reist Saba ihm nach. Schon am Flughafen fühlt er sich…

Liebe, Krieg und Chaos
Rezensionen , Romane / 21. März 2022

Nino Haratischwili,  der Name ist Garant für eine eher selten gewordene Leidenschaft am Erzählen.  Auch diesmal. Ein Buch, schwer wie ein Backstein, das auch manchmal schwer im Magen liegt. Doch Nino Haratischwilis neuer gewichtiger Roman „Das mangelnde Licht“ ist auch ein Buch, das man kaum aus der Hand legen will, ein mitreißender Roman trotz der allgegenwärtigen Gewalt, von der er – auch – erzählt. Die in Georgien geborene Nino Haratischwili, die schon mit ihrer Familiensaga „Das achte Leben für Brilka“ überzeugt hatte, zeigt sich in diesem Roman über die Umbruchszeit der 1980er und 1990er Jahre wieder als großartige Autorin. Beklemmend aktuell Man könnte ihr vielleicht ihre überbordende Erzähllust vorwerfen, ihre geringe Scheu vor Klischees, Metaphern und der Verwendung von Adjektiven. Aber all das ist marginal angesichts der beklemmenden Aktualität und der spannenden Konstruktion dieses Romans. Es ist eine Fotoausstellung in Brüssel, bei der sich drei der vier georgischen Freundinnen nach Jahrzehnten wieder treffen. Und anhand dieser Fotos nimmt die Ich-Erzählerin, die Restaurateurin Keto die Leser mit in ihre Heimat und in ihre Kindheit in der Hauptstadt Tbilissi. Ein Spiegel der Gesellschaft Aufgewachsen ist Keto mit ihrem nach dem Tod der Mutter geistig stets abwesenden Vater, zwei hoch gebildeten Großmüttern und…

Georgischer Don Quijote
Rezensionen / 4. Oktober 2018

Vor 26 Jahren hat Aka Morchiladze den Roman „Reise nach Karabach“ veröffentlicht. Damals stand der junge Gio, ebenso antrieb- wie erfolglos, für eine ganze Generation, für eine Jugend ohne Plan und Ideale. Seither hat sich die Welt, hat sich Georgien gewandelt. Dennoch gibt der Roman, scheinbar hingerotzt und bis heute Kultbuch vieler Georgier, einen guten Einblick in die Probleme des Landes. Zwei Tagediebe auf einer unsicheren Reise Es beginnt als Roadmovie, als Gio, der liebeskranke Sohn eines mächtigen Mafioso, mit seinem Freund Gogliko, einem versoffenen Tagedieb, zum Drogenkauf in die Berge fährt. Die beiden wissen nichts mit ihrem Leben anzufangen, die meiste Zeit sind sie ohnehin kaum bei Bewusstsein dafür aber stolz auf sich selbst: „Wir sind aus Tbilissi. Wir wissen Bescheid, was schlecht und was gut ist. Gut ist alles, was bei uns ist, schlecht: fern von uns. Wer schlecht ist, kann für sich leben, aber er soll uns in Ruhe lassen.“ Von der Gegend, in die sie fahren, haben die beiden ebenso wenig einen Plan wie für ihr Leben. Und so landen sie in Berg Karabach, dem zwischen Armenien und Aserbaidschan umkämpften Landstrich. „‘Wo sind wir?‘“ fragte ich. – ‚Berg- Karabach. Nördliches Territorium, sechs Kilometer von der Front…