Der Dorfnazi ist auch ein Mensch
Rezensionen / 22. Juli 2021

  Mit  „Unterleuten“  hat Juli Zeh nicht nur die Kritik überzeugt, sie hat auch einen großen Leserkreis angesprochen. Nun also das Nachfolgebuch „Über Menschen“. Wie „Unterleuten“ spielt auch dieser Roman in der brandenburgischen Provinz, da, wo die Autorin selbst seit vielen Jahren lebt. Von Corona vertrieben Im Zentrum steht die Werbetexterin Dora. Sie ist mit ihrer Hündin, die transgendermäßig Jochen der Rochen heißt, nach Bracken gezogen, wo sie ein heruntergekommenes Haus erworben hat. Corona hat Dora aus Berlin vertrieben, hat ihr das Zusammenleben mit ihrem zum Greta-Thunberg-Jünger und rechthaberischen Corona-Moralisten mutierten Freund vermiest. Nun will sie in Bracken Fuß fassen, lernen von dem zu leben, was das Land hergibt. Spiel mit Klischees Hin und wieder wird man bei der Lektüre dieses neuen Dorfromans an das Motiv der edlen Wilden erinnert. Nur eines von vielen Klischees, mit denen Juli Zeh in „Über Menschen“ spielt. Auch der Nachbar, der sich über die Gartenmauer mit „Ich bin hier der Dorfnazi“ vorstellt, wirkt wie ein Klischee.  Doch Juli Zeh ist eine viel zu versierte Autorin, um es bei solcher Typisierung zu belassen. Was am Anfang so eindeutig erscheint, wird bald in Frage gestellt. Angst vor der Wahrheit Der Nazi Gote erweist sich als fürsorglicher…

Dunkle Abgründe auf Lanzarote
Rezensionen / 23. Oktober 2018

Es ist ein schmales Buch. Juli Zehs „Neujahr“ entführt die Leser nach Lanzarote, wobei der Vulkaninsel mit ihren schwarzen Stränden eine Art Doppel-Rolle zukommt. Denn Henning, der mit Frau und zwei Kindern, auf Lanzarote Weihnachten und Silvester verbringt, war schon einmal da – als kleiner Junge. Was damals geschah, war so schrecklich, dass er es verdrängt hatte. Doch nach dem Silvesterabend, bei dem seine Frau Theresa ausgiebig mit einem anderen Gast flirtet, startet Henning zu einer Radtour in die Berge und fordert sich dabei bis zur völligen Erschöpfung. Vielleicht liegt es daran, dass längst Verschüttetes an die Oberfläche drängt. Die Überforderung des modernen Vaters Bis dahin haben die Leser relativ wenig über Henning und seine Familie erfahren: Ein bürgerliches Paar wie viele, das sich die Erziehung der Kinder teilt und gerne vom Home Office aus arbeitet. Kleine Streitereien zwischendurch, nichts Ernstes. Nur, dass Henning immer wieder von Panikattacken heimgesucht wird. Womöglich als Folge von Überforderung. Denn Henning ist ein moderner Vater, einer, der sich einbringt – und trotzdem die Mutter nicht ersetzen kann. Über den Ehrgeiz, es allen recht zu machen, hat er die eigenen Wünsche aus dem Blick verloren. Jetzt, als er sich den Berg hinauf plagt, bricht es…