Ambivalente Erinnerungen
Allgemein / 10. August 2018

Eine Frau erzählt ihrem gelegentlichen Liebhaber von ihrer Großmutter Ruth, die sie geprägt hat. Nach dem Sex, per Telefon oder im Restaurant. Die in Augsburg geborene und in München als Medienjournalistin arbeitenden Claudia Tieschky entwickelt aus diesen Gesprächen ihren ersten Roman „Engele“. Geglückt ist das Ganze allerdings nur halb. Das Gerüst wirkt allzu konstruiert, um glaubwürdig zu sein, das kommunizierende Liebespaar bleibt lange blutlos. Der tiefe Fall des Großvaters Die Leser kommen dieser erzählenden Lotte nicht wirklich nahe, selbst wenn sie Intimes aus ihrer Kindheit und Jugend berichtet. Wenn sie davon erzählt, wie der Großvater, Siegfried Engele (daher der etwas irreführende Titel des Romans), wegen seiner pädophilen Neigungen vom bewunderten Musiker zum gesellschaftlich Geächteten wurde. Wie seine Vergehen die Familie zerstören, das Leben der Tochter vergiften. Die Großmutter als Fels in der Brandung Nur die Großmutter, so erzählt es die Enkelin, hält stand, ein Fels in der Brandung. Sie, die früh Emanzipierte, die Kämpferin, die Exzentrische, ist Lottes Vorbild. Von frühester Kindheit hat sie inhaliert, dass Selbstständigkeit wichtiger ist als Liebe, der Beruf wichtiger als mögliche Kinder.  In den Gesprächen mit dem Liebhaber, nimmt das Bild dieser Ruth Konturen an, changiert zwischen femme fatale und einer selbstgerechten, harten Egoistin, die die…