Christine Thürmer ist stolz auf den Beinamen „meist gewanderte Frau“. Immerhin hat sie über 60.000 Wanderkilometer in aller Welt bewältigt. Und weil sie bei ihren Vorträgen immer wieder nach Wander-Empfehlungen gefragt wurde, hat sie in dem Buch „Auf 25 Wegen um die Welt“ besonders empfehlenswerte Trails zusammengestellt. Für Weintrinker und Pilgeranfänger, für Ostalgiker und Abenteurer, für Dracula-Begeisterte und Vulkanologen. Wer allerdings meint, dass 120 Kilometer schon ganz schön viel sind, muss sich erst an Thürmers Wander-Ambitionen gewöhnen. Im Buch werden die Wege immer länger bis zum letzten Trail, der auf 4500 Kilometer langen Sentiero d‘Ialia mit viel „Postkarten-Idylle“. Nichts für Warmduscher Die 25 vorgestellten Weitwanderwege sind höchst unterschiedlich, sowohl was die körperlichen Anforderungen betrifft als auch das Budget und die Begegnungen mit Menschen. Christine Thürmer outet sich als unerschrockene Langstrecken-Wandererin. Sie erzählt ehrlich vom Dreck auf den Wegen, von nasskaltem Wetter, von Schweiß und Tränen. Die Trails sind halt nichts für Weicheier und Warmduscher. Kalte Nächte und Mückenüberfälle Wer nicht so asketisch unterwegs sein will wie Thürmer, kann auf den unterschiedlichsten Trails auch Unterkünfte buchen. Die Autorin bevorzugt auf den meisten Wanderungen allerdings ihr Zelt, auch wenn das oft alles andere als bequem ist. Kalte und nasse oder auch heiße…
„Wenn halt nur mehr Leute so wie wir zwei regelmäßig die Augsburger Allgemeine lesen würden, dann würde weniger Schmarrn in die Welt hinausposaunt werden.“ Man schreibt das Jahr 1886 im Werdenfelser Land, und die „Huberin“ ist wohl die einzige Zeitungsleserin im kleinen Dorf Loisbichl. Es sei denn, sie kann die junge Witwe Vroni auf dem abgelegenen Graseggerhof mit der nützlichen Lektüre anstecken. Bei der Heumahd hat die junge Frau schließlich schon unerwartete Stärke gezeigt. Allein gegen ein Dorf Susanne Betz‘ gleichnamiger Roman konzentriert sich auf eine trotzige junge Frau, die im Kampf mit den Naturgewalten und überkommenen Vorstellungen tumber Zeitgenossen einen einsamen Hof führen will. Unerwarteten Rückhalt bekommt Vroni dabei von der herrschsüchtigen und reichen Huberin, die das Potenzial der jungen Rebellin sieht. Ganz anders als der Dorfpfarrer, für den die Frauenwirtschaft auf dem Graseggerhof fast schon sündig ist. Gäbe es doch im Ort genügend heiratswillige junge Männer. Auch die hat sich Vroni mit ihrer abwehrenden Haltung zu Feinden gemacht. Schlimme Erfahrungen Doch die junge Witwe leidet immer noch unter den schlimmen Ehe-Erfahrungen mit dem deutlich älteren Bauern. Die Narben der Schläge verheilen nur langsam. Trost findet sie beim „Rosl“, der anhänglichen Stieftochter mit dem Down-Syndrom. Dass das Rosl im…
Salah Naoura kann Kinderbücher, er mag schrullige Figuren und schreibt mit viel Witz und großer Empathie für kleine Fehler. Das gilt auch für seinen neuen Kinderroman „Das Schloss der Smartphone-Waisen“, in dem er die Selfie-Sucht der Erwachsenen persifliert und hin und wieder die Lesenden direkt anspricht. Tödliche Selfies Marla hat ihre Eltern verloren, weil sie vor lauter Selfie-Fotografierlaune von einer Klippe ins Meer gestürzt waren. Und als die junge Frau damit konfrontiert wird, dass so etwas auch kleineren Kindern passieren kann, weil einfach immer mehr Eltern immer mehr Zeit mit dem Handy verbringen, als mit ihren Kindern, öffnet die Konditorin in einem alten Häuschen Berlin ein Heim für Smartphone-Waisen. So weit so gut. Gefahr durch Gentrifizierung Doch die Gentrifizierung macht auch vor Marlas Hinterhof-Idylle nicht Halt. Es droht der Rauswurf: Marlas Häuschen soll einem Neubau weichen. Was tun? Wie gut, dass die Waisenkinder so hilfsbereit und freundlich sind. Der alten Frau, die schlecht gehen konnte, haben sie über die Straße und bis nach Hause geholfen. Und dabei entdeckten sie – ein Schloss. Finstere Pläne Wäre das nicht ein wunderbares neues Heim für die Smartphone-Waisen? Die Schlossherrin Hermine fände das auch, aber ihr boshafter Sohn Henri will sie rauswerfen und das…
Holly im Himmel erzählt vom Tod – und vom Leben. Eigentlich hat Holly noch viel zu erledigen in ihrem jungen Leben. Zum Beispiel Papa wieder zurückbringen und den lästigen Uwe vertreiben. Obwohl der eigentlich ganz nett ist. Hollys kleiner Bruder Timi jedenfalls scheint ihn zu mögen. Aber Holly hat keine Zeit mehr. Ausgerechnet nach einem heftigen Streit mit ihrer Mama wird sie von einem Auto überfahren – und landet im Himmel. Und damit geht die Geschichte von Micha Lewinsky erst richtig los. Busfahrt im Himmel „Willkommen im Himmel“ sagt eine Frau zu Holly, und dann schickt sie das Mädchen zu einer Busstation. Dieser Himmel ist ganz anders als Holly ihn sich vorgestellt hat. Überall stehen frisch Verstorbene herum, Greise und kleine Kinder, Soldaten, Frauen mit und ohne Hüte, Polizistinnen… Holly kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus, denn nun sieht sie auch jede Menge Tiere, die sich ihren Weg durch die Menschen bahnen. Und irgendwo muss auch ihr Bus sein… Schlecht organisiert Nur gut, dass sie Frida findet, ungefähr gleich alt wie sie aber schon seit 100 Jahren tot. Frida kennt sich aus mit den Sitten im Himmel. Denn „die Sterberei“ denkt Holly, „war furchtbar schlecht organisiert“. Zu zweit geht…
Celeste Ng spielt gern mit dem Feuer – buchstäblich und symbolisch. Das gilt auch für ihren neuen Roman „Unsere verschwundenen Herzen“, in dem sie die USA in eine faschistische Diktatur verwandelt. Die allerdings ist nicht gar zu weit entfernt vom aktuellen amerikanischen Alltag. Und PACT, das Gesetz zur Erhaltung amerikanischer Kultur und Traditionen, das im Roman eine Periode des Aufruhrs und des Niedergangs beendete, erinnert fatal an Trumps „Make America great again“. Familienschicksale Die Folgen müssen im Roman vor allem chinesisch-stämmige Amerikaner ausbaden. Und dabei gehen die Behörden rabiat vor. Beim leisesten Verdacht subversiver Beeinflussung werden Kinder aus ihren Familien gerissen. Kritische Journalisten werden mundtot gemacht. In den Bibliotheken verschwinden Bücher mit „gefährlichen Inhalten“. Verbrannt wie in Hitler-Deutschland werden sie nicht: „Wir verbrennen unser Bücher nicht,“ erklärt eine Bibliothekarin, „Wir stampfen sie ein. Ist viel zivilisierter, oder? Wir zerdrücken sie, recyclen sie zu Toilettenpapier.“ Die Tyrannei von PACT Der zwölfjährige Junge, der sich das anhört, ist Bird oder Noah, wie sein Vater ihn seit dem Verschwinden der chinesischen Mutter Margaret Miu nennt. Die beiden leben zurückgezogen in einem Studentenwohnheim. Der Vater, im früheren Leben Linguistik-Professor, verdient einen kargen Lohn mit dem Einordnen von Büchern. PACT bestimmt ihr Leben, sorgt dafür,…
Die Idee ist gut: Kein Reiseführer der langweiligen Art, sondern Rätsel, die spielerisch zu Sehenswürdigkeiten führen. Allerdings sind die Fragen schon ziemlich knifflig. Wer nicht ortskundig ist, wird sich schwer tun mit der richtigen Antwort. Da würde man sich eine Hilfe durch Multiple Choice wünschen. Oder zumindest einen kleinen Hinweis in der Frage. Das muss dann wohl der Spielleiter übernehmen. Spielerisch ans Urlaubsziel Aber hier geht es ja auch nicht darum, Fragen so schnell wie möglich zu beantworten. Eher schon darum, sich spielerisch dem Urlaubsziel zu nähern. Nun also die Nordsee. Auf Föhr hat Sonja Klein einen kuriosen Fall „ausgegraben“. Da wurde das Grab eines Spenders aus der Kirche auf den Friedhof verlegt. Warum? Weil die Erben die versprochene Spende nicht bezahlt haben. Geiz war wohl schon im 17. Jahrhundert geil. Eierkönig und schiefer Turm Dass es mal auf Sylt einen König gab, der sich vorwiegend um die Möwen kümmerte, wissen wahrscheinlich auch nur Insider. Es war der „Eierkönig“, der die Brutkolonien der Möwen „bewirtschaftete“ und alljährlich Zehntausende von Eiern sammelte. Den schiefen Turm von Pisa kennt man. Doch wer hat schon vom schiefen Turm auf der Hallig Langeneß gehört? Der Leuchtturm wurde während des ersten Weltkriegs von einer Seemine…
Slowenien empfiehlt sich den Reisenden als das „grüne Herz“ Europas. Für den slowenischen Schriftsteller Ales Steger ist seine Heimat „ein Land, das man ohne weiteres übersieht, ganz umgehen kann man es aber kaum“. Und deshalb tut in seiner „Gebrauchsanweisung für Slowenien“ alles, um das kleine Land und seine Bewohner den Lesenden ans Herz zu legen. Schließlich findet man seiner Meinung nach nirgends „so viel Europa auf kleinstem Raum“. Im Schatten der Weltgeschichte Doch Steger ist nicht nur ein liebevoller Betrachter des Landes, sondern auch ein kritischer. Er weiß um die Unzulänglichkeiten aber auch um die Einzigartigkeit. Die Slowenen, schreibt er, hätten jahrhundertelang im Schatten der Weltgeschichte überwintert“, eine Tatsache, die auch den slowenischen Charakter präge. Hier liebe man „den genialen Idioten, den Hofnarren, denjenigen, der verschlüsselt und maskiert die Wahrheit sagt“. Einzigartige Landschaften Einig aber sind sich alle in der Überzeugung, dass ihr kleines Land ganz besonders schön und lebenswert ist. Mindestens fünfzig Grüntöne will der Autor wahrgenommen haben und dazu einzigartige Landschaften wie den Triglav, „das Oberheiligtum der Slowenen schlechthin“, die Seen und Feuchtgebiete, die Tropfsteinkathedralen, den Karst. Steger zitiert andere Autoren und slowenische Philosophen, lässt Künstler zu Wort kommen und nimmt die Städte unter die Lupe. Städte mit…
Judith Merchant hat sich ein besonderes Weihnachtsgeschenk ausgedacht. „Schweig!“ ist ein Psychothriller zur Weihnachtszeit: Geschwisterliebe ist schon etwas besonders, und Geschwisterhass auch. Vielleicht geht das eine auch gar nicht ohne das andere. Sue und Esther sind einander jedenfalls in Hassliebe verbunden. Das zeichnet sich schon im ersten Kapitel ab, in dem es um Freiheit geht – und um das Gefühl, von der Schwester der eigenen Freiheit beraubt zu werden. Sie meint es doch nur gut Dabei scheint es doch Esther nur gut zu meinen mit ihrer lebensuntüchtigen jüngeren Schwester. So gut, dass sie noch am Tag vor Heiligabend zu ihr in das abgelegene Haus im Wald fährt, um der Einsamen ein Geschenk und eine Flasche Wein zu bringen. Beides ebenso unwillkommen wie der schwesterliche Besuch, ja sogar gefürchtet. Denn Sue fühlt sich von Esther bevormundet, wenn nicht gar tyrannisiert. Kammerspiel mit drei Personen Judith Merchant lässt die beiden Schwestern gegeneinander antreten – als Anklägerinnen und Verteidigerinnen in einer Person. Und dann ist da ja auch noch Martin, Esthers Mann, der zwar keine eigene Stimme in dem Psycho-Thriller hat – das übernimmt in seinem Fall die auktoriale Erzählerin – aber ein wichtiger Mitspieler in diesem hintersinnigen Kammerspiel ist. Denn tatsächlich ist…
Junge mit schwarzem Hahn? Warum sollte man eine Geschichte lesen, die vor 500 Jahren spielt? Über einen Jungen, der nichts hat als einen schwarzen Hahn? Weil Stefanie vor Schulte etwas ganz Seltenes gelungen ist. Ein poetisches Märchen, in dem sich Grauen und Gnade die Waage halten. Fast wie die Gebrüder Grimm Es liegt an der Sprache, die so einfach und klar daherkommt, als wären die Gebrüder Grimm wieder auferstanden. Und es liegt natürlich an der Geschichte dieses merkwürdigen elfjährigen Martin, der sich in einer grässlichen von Grausamkeit beherrschten Welt seine Unschuld und Menschlichkeit bewahrt. Die Mission des schwarze Hahns Daran, dass das Kind ganz allein den Kampf gegen das Unrecht aufnimmt, ist der schwarze Hahn schuld. Der Vogel begleitet Martin, seit der Bub als einziger die Familientragödie überlebt hat – und er kann sprechen. Das Märchenhafte passt zu dieser seltsamen Geschichte wie die fast surreal gezeichnete Landschaft, in der die schwarzen Reiter ihr Unwesen treiben und Kinder entführen. Eine Welt am Abgrund Es ist eine Welt voller Bosheit, Elend und Aberglauben, in der womöglich die Wölfe mehr Mitgefühl haben als die Menschen. Und die grässliche alte Fürstin zieht die Fäden all dieser Schicksale. Nur der Maler, mit dem Martin eine…
Bodo Kirchhoff gehört zu den renommiertesten deutschen Autoren und zu meinen Lieblingsschriftstellern. Doch mit seinem „Bericht zur Lage des Glücks“ hat er mich verunsichert. Was soll uns dieser dicke Wälzer sagen, in denen alles aus der Perspektive eines namenlosen, ichbezogenen Mannes erzählt wird? In aller Ausführlichkeit und in oft verschachtelten, schwer lesbaren Sätzen. In einer bedeutungsvoll aufgeladenen Sprache, die vielleicht darauf hindeuten soll, dass der Erzähler Journalist bei einer Kirchenzeitung war. Desillusioniert zwar aber immer noch geprägt von einer Art Sendungsbewusstsein. Rätselhafte Afrikanerin Doch die Sprache und der Stil allein sind nicht mein Problem mit dem Buch. Es geht um den Inhalt. Die Geschichte ist ziemlich vertrackt: Der namenlose Erzähler gabelt auf einer Nostalgie-Reise durch Italien, auf der er seine Trauer über das selbstverschuldete Ende seiner Beziehung mit der Physiotherapeutin Lydia verarbeiten will, eine rätselhafte Afrikanerin auf. Die ebenfalls Namenlose ist aus ihrer afrikanischen Heimat geflüchtet und vertraut sich ihm und seinen Fahrkünsten an. Die Sache mit den Fotos Da weiß der Mann schon, dass es sich bei dieser Afrikanerin um die Frau handelt, von der es keine Fotos gibt. Denn statt der erwarteten Porträts sind aus unerfindlichen Gründen nur Szenen aus ihrem afrikanischen Dorf zu sehen. Ein gefundenes Fressen…