Der alte Mann und das Tier
Allgemein / 25. Januar 2024

Bodo Kirchhoff kennt den Gardasee, wo er ein Haus hat. Und er weiß, wie Männer über 70 ticken: er ist Jahrgang 1948. In seinem neuen Roman „Seit er sein Leben mit einem Tier teilt“ fließen die eigenen Erfahrungen ein, wobei dem Tier – in diesem Fall die rumänische Straßenhündin Ascha – eine bedeutende Rolle in diesem Fünf-Personenstück zukommt: „Seit er sein Leben mit einem Tier teilt, denkt Schongauer in schlaflosen Nächten sogar manchmal daran, dass er gern als dieses Tier auf die Welt gekommen wäre, nur mit dem Gedächtnis für Gut und Ungut, Freund oder Feind, und ohne Wissen um die Zeit.“ Verheerungen des Alters Doch der Hauptfigur Louis Arthur Schongauer, einem ehemaligen B-Schauspieler in Hollywood, ist das Vergehen der Zeit schmerzlich bewusst. Der 75. Geburtstag droht. Und als die 24 Jahre junge Influencerin Frida mit ihrem Wohnmobil vor seinem Garten strandet, spürt er mehr denn je die Verheerungen des Alters. Dabei war er doch auch einmal jung, damals in Hollywood, als er in Nebenrollen immer den bösen Nazi verkörpern sollte. Und als sich die junge Lynn in ihn verliebte. Zwei Frauen und viele Fragen Mehr denn je wird dem alten Mann am Berg die Vergangenheit bewusst, als zusätzlich zu…

Hymne auf die Natur
Allgemein / 8. Januar 2024

Anja Liedtke hat sich aufgemacht, „die Chiffreschrift der Natur zu lesen“ und andere daran teilhaben zu lassen. In ihrem poetischen Nature-Writing-Buch „Der Himmel ist altes Silber“ nimmt sie die Lesenden mit in eine lebenspralle Natur. Um sie zu finden, muss die Autorin nicht weit reisen. Schon bei Bochum registriert einen Himmel wie altes Silber. Der Himmel über der Ruhr Schreiben über Natur ausgerechnet im Ruhrgebiet? Für Anja Liedtke kein Problem, sie findet (fast) überall wundersame Bilder und Töne – am Himmel und auf Erden: „Nicht Quell-, sondern Quallenwolken ziehen über den Himmel. Ihre Ränder zerfasern in kurzen Tentakeln, bisweilen regenbogenrosa, sonst reinweiß. Ein Schnabel seht aus einem Baumoch heraus und wird vom Specht gestopft. Kleinblütiges Springkraut richtet sich im kühlen, feuchten Wald auf.“ Der Zauber der  Sprache Ihre Beobachtungen kleidet sie in Beschreibungen voll poetischer Schönheit, hin und wieder auch in Gedichtform. Das macht Lust, selbst zum Beobachter, zur Beobachterin, zu werden. Beim Wandern, beim Angeln, beim Langlaufen… Die Autorin versucht, sich in die Natur hineinzudenken, bringt Pflanzen zum Reden und erweckt selbst Totgeglaubtes zum Leben. Das hört sich vielleicht merkwürdig an, liest sich aber zauberhaft: „Schilf steht Spalier, um Schienbeine zu ritzen. Blaue Stranddisteln lassen sich von den grünen…

Das verfluchte Schloss
Allgemein / 28. Juli 2023

Auf Blackbird Castle geht Seltsames vor sich. Das wissen die Dorfbewohner, auch wenn sie nicht ahnen, was wirklich dahinter steckt. Kann es die zwölfjährige Zita mit dem Bösen aufnehmen, das von dem Schloss Besitz ergriffen hat? Sie ist die Ich-Erzählerin in Stefan Bachmanns spannendem Jugendroman „Die letzten Hexen von Blackbird Castle“. Seltsame Menschen Zita, die in einem Kinderheim aufwuchs, soll die Erbin des Schlosses und eine Hexe sein. Soviel weiß das Mädchen. Auf dem verrufenen Schloss findet die Zwölfjährige in den Kindern Bram und Minnifer Verbündete, auch wenn die beiden sich manchmal seltsam benehmen. Noch seltsamer ist die Hausdame Mrs. Cantaker, die vorgibt Zita in der Hexerei unterrichten zu wollen und auftritt wie die Schlossherrin persönlich. Und welche Rolle spielt der servile aber undurchschaubare Mr. Grenouille? Bösartige Verschwörung Ganz allmählich kommt das Mädchen einer bösartigen Verschwörung auf die Spur, die darauf hinausläuft, die niederträchtige Hexe Magdeboor wieder zum Leben zu erwecken und die Macht des Bösen auf Blackbird Castle zu zementieren. Nur mit vereinten Kräften und der Hilfe von Zitas Raben Vikka schaffen die Kinder es, das Schloss von dem Fluch zu befreien. Harry Potter lässt grüßen Kommt einem irgendwie bekannt vor? Zita könnte die weibliche Ausgabe von Harry Potter…

Strandliebe
Allgemein / 4. Juli 2023

Ein Sonnenuntergang am Strand ist für viele Deutsche das „Allerromantischte, was ein Paar unternehmen kann“ schreibt Stella Bettermann in ihrer „Gebrauchsanweisung für den Strand“. Auch der „schneeweiße Puderzuckersand“ verzücke die meisten. Billig ist der allerdings nicht zu haben. Schon gar nicht so günstig wie der Isarstrand, an dem die Autorin wohnt. Strände als Idealbild Aber dafür muss sie auch nicht ins Flugzeug steigen oder ins Auto und damit die Umwelt schädigen, um zu ihrem Strand zu gelangen. Von daher ihr Vorschlag: „Wahrscheinlich müssen wir uns also angewöhnen, Strände eher als Idealbild zu verehren und die Uferabschnitte auf Amrun, Kreta oder den Malediven öfter von unserer Anwesenheit zu verschonen.“ Alles über den Strand Oder man liest ihre Gebrauchsanweisung für den Strand, amüsiert sich über die „Historie des Strandbesuchs“, die bis an die Antike und womöglich noch weiter zurück reicht, reist mit ihr zu berühmten Stränden und zum Eisbach in München, wo früher die Nackerten Schaulustige anlockten und heute die Surfer. Und dann die Bücher über den Strand, die Filme und Serien, die Strandmusik, auch die Mode! Mega-out und Mega-in Wie die Kleidung, davon ist Bettermann überzeugt, sind auch die Strände der Mode unterworfen. Acapulco etwa, in den 1950er und 60er-Jahren ein…

Gegen Alltagsrassismus
Allgemein / 15. Juni 2023

Immer mehr Kinder und Jugendliche kommen aus Familien mit „Migrationshintergrund“. Und wie ihre Eltern auch haben sie oft mit Vorurteilen und Alltagsrassismus zu kämpfen. Deshalb ist es wichtig, Kinder schon früh dagegen zu sensibilisieren. Hier sind zwei Bücher, die sich dem Thema widmen. Einschlafgeschichten Geschichten vom Zubettgehen und Einschlafen erzählen Olaolu Fajembola und Tebogo Nimindé- Dundadengar in dem Pappbilderbuch „So schlafe ich! Und wie schläfst du?“ (Carlsen, 12 Euro, ab 2) Diverse Familien Sami, Ayo, Ada, Emma und Miko erzählen von ihrem Zuhause. Das ist ganz unterschiedlich, je nachdem, woher die Familien kommen. Und ob die Kinder mit Mama und Papa leben, mit einer allein erziehenden Mutter oder mit zwei Vätern. Die einen baden abends, die anderen wollen noch fernsehen oder lesen. Immer aber wird gekuschelt. Denn am besten schläft es sich, wenn man sich geborgen fühlt. Das gilt wohl für alle Kinder. Die Illustration von Paran Kim zeigen auch den Kleinsten, wie unterschiedlich Familien sein können. In der Schule Nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene will die Vizeweltmeisterin im Fechten Alexandra Ndolo, selbst Tochter einer polnischen Mutter und eines kenianischen Vaters, mit dem Bilderbuch „Hier hat jeder einen Platz“ (Loewe,91 S., 14,95 Euro, ab 6) erreichen. Gegen Vorurteile Während…

Wanderlust weltweit
Allgemein / 23. Februar 2023

Christine Thürmer ist stolz auf den Beinamen „meist gewanderte Frau“. Immerhin hat sie über 60.000 Wanderkilometer in aller Welt bewältigt. Und weil sie bei ihren Vorträgen immer wieder nach Wander-Empfehlungen gefragt wurde, hat sie in dem Buch „Auf 25 Wegen um die Welt“ besonders empfehlenswerte Trails zusammengestellt. Für Weintrinker und Pilgeranfänger, für Ostalgiker und Abenteurer, für Dracula-Begeisterte und Vulkanologen. Wer allerdings meint, dass 120 Kilometer schon ganz schön viel sind, muss sich erst an Thürmers Wander-Ambitionen gewöhnen. Im Buch werden die Wege immer länger bis zum letzten Trail, der auf 4500 Kilometer langen Sentiero d‘Ialia mit viel „Postkarten-Idylle“. Nichts für Warmduscher Die 25 vorgestellten Weitwanderwege sind höchst unterschiedlich, sowohl was die körperlichen Anforderungen betrifft als auch das Budget und die Begegnungen mit Menschen. Christine Thürmer outet sich als unerschrockene Langstrecken-Wandererin. Sie erzählt ehrlich vom Dreck auf den Wegen, von nasskaltem Wetter, von Schweiß und Tränen. Die Trails sind halt nichts für Weicheier und Warmduscher. Kalte Nächte und Mückenüberfälle Wer nicht so asketisch unterwegs sein will wie Thürmer, kann auf den unterschiedlichsten Trails auch Unterkünfte buchen. Die Autorin bevorzugt auf den meisten Wanderungen allerdings ihr Zelt, auch wenn das oft alles andere als bequem ist. Kalte und nasse oder auch heiße…

Die Rebellin und der Bauernmaler
Allgemein , Rezensionen , Romane / 9. Februar 2023

„Wenn halt nur mehr Leute so wie wir zwei regelmäßig die Augsburger Allgemeine lesen würden, dann würde weniger Schmarrn in die Welt hinausposaunt werden.“ Man schreibt das Jahr 1886 im Werdenfelser Land, und die „Huberin“ ist wohl die einzige Zeitungsleserin im kleinen Dorf Loisbichl. Es sei denn, sie kann die junge Witwe Vroni auf dem abgelegenen Graseggerhof mit der nützlichen Lektüre anstecken. Bei der Heumahd hat die junge Frau schließlich schon unerwartete Stärke gezeigt. Allein gegen ein Dorf Susanne Betz‘ gleichnamiger Roman konzentriert sich auf eine trotzige junge Frau, die im Kampf mit den Naturgewalten und überkommenen Vorstellungen tumber Zeitgenossen einen einsamen Hof führen will. Unerwarteten Rückhalt bekommt Vroni dabei von der herrschsüchtigen und reichen Huberin, die das Potenzial der jungen Rebellin sieht. Ganz anders als der Dorfpfarrer, für den die Frauenwirtschaft auf dem Graseggerhof fast schon sündig ist. Gäbe es doch im Ort genügend heiratswillige junge Männer. Auch die hat sich Vroni mit ihrer abwehrenden Haltung zu Feinden gemacht. Schlimme Erfahrungen Doch die junge Witwe leidet immer noch unter den schlimmen Ehe-Erfahrungen mit dem deutlich älteren Bauern. Die Narben der Schläge verheilen nur langsam. Trost findet sie beim „Rosl“, der anhänglichen Stieftochter mit dem Down-Syndrom. Dass das Rosl im…

Cleveres Team
Allgemein / 10. Dezember 2022

Salah Naoura kann Kinderbücher, er mag schrullige Figuren und schreibt mit viel Witz und großer Empathie für kleine Fehler. Das gilt auch für seinen neuen Kinderroman „Das Schloss der Smartphone-Waisen“, in dem er die Selfie-Sucht der Erwachsenen persifliert und hin und wieder die Lesenden direkt anspricht. Tödliche Selfies Marla hat ihre Eltern verloren, weil sie vor lauter Selfie-Fotografierlaune von einer Klippe ins Meer gestürzt waren. Und als die junge Frau damit konfrontiert wird, dass so etwas auch kleineren Kindern passieren kann, weil einfach immer mehr Eltern immer mehr Zeit mit dem Handy verbringen, als mit ihren Kindern, öffnet die Konditorin in einem alten Häuschen Berlin ein Heim für Smartphone-Waisen. So weit so gut. Gefahr durch Gentrifizierung Doch die Gentrifizierung macht auch vor Marlas Hinterhof-Idylle nicht Halt. Es droht der Rauswurf:  Marlas Häuschen soll einem Neubau weichen. Was tun?  Wie gut, dass die Waisenkinder so hilfsbereit und freundlich sind. Der alten Frau, die schlecht gehen konnte, haben sie über die Straße und bis nach Hause geholfen. Und dabei entdeckten sie – ein Schloss. Finstere Pläne Wäre das nicht ein wunderbares neues Heim für die Smartphone-Waisen?  Die Schlossherrin Hermine fände das auch, aber ihr boshafter Sohn Henri will sie rauswerfen und das…

Himmlische Bescherung
Allgemein / 28. November 2022

Holly im Himmel  erzählt vom Tod – und vom Leben. Eigentlich hat Holly noch viel zu erledigen in ihrem jungen Leben. Zum Beispiel Papa wieder zurückbringen und den lästigen Uwe vertreiben. Obwohl der eigentlich ganz nett ist. Hollys kleiner Bruder Timi jedenfalls scheint ihn zu mögen. Aber Holly hat keine Zeit mehr. Ausgerechnet nach einem heftigen Streit mit ihrer Mama wird sie von einem Auto überfahren – und landet im Himmel. Und damit geht die Geschichte von Micha Lewinsky erst richtig los. Busfahrt im Himmel „Willkommen im Himmel“ sagt eine Frau zu Holly, und dann schickt sie das Mädchen zu einer Busstation. Dieser Himmel ist ganz anders als Holly ihn sich vorgestellt hat. Überall stehen frisch Verstorbene herum, Greise und kleine Kinder, Soldaten, Frauen mit und ohne Hüte, Polizistinnen… Holly kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus, denn nun sieht sie auch jede Menge Tiere, die sich ihren Weg durch die Menschen bahnen. Und irgendwo muss auch ihr Bus sein… Schlecht organisiert Nur gut, dass sie Frida findet, ungefähr gleich alt wie sie aber schon seit 100 Jahren tot. Frida kennt sich aus mit den Sitten im Himmel. Denn „die Sterberei“ denkt Holly, „war furchtbar schlecht organisiert“. Zu zweit geht…

Faschistischer Alptraum
Allgemein / 24. Oktober 2022

Celeste Ng spielt gern mit dem Feuer – buchstäblich und symbolisch. Das gilt auch für ihren neuen Roman „Unsere verschwundenen Herzen“, in dem sie die USA in eine faschistische Diktatur verwandelt. Die allerdings ist nicht gar zu weit entfernt vom aktuellen amerikanischen Alltag. Und PACT, das Gesetz zur Erhaltung amerikanischer Kultur und Traditionen, das im Roman eine Periode des Aufruhrs und des Niedergangs beendete, erinnert fatal an Trumps „Make America great again“. Familienschicksale Die Folgen müssen im Roman vor allem chinesisch-stämmige Amerikaner ausbaden. Und dabei gehen die Behörden rabiat vor. Beim leisesten Verdacht subversiver Beeinflussung werden Kinder aus ihren Familien gerissen. Kritische Journalisten werden mundtot gemacht. In den Bibliotheken verschwinden Bücher mit „gefährlichen Inhalten“. Verbrannt wie in Hitler-Deutschland werden sie nicht: „Wir verbrennen unser Bücher nicht,“ erklärt eine Bibliothekarin, „Wir stampfen sie ein. Ist viel zivilisierter, oder? Wir zerdrücken sie, recyclen sie zu Toilettenpapier.“ Die Tyrannei von PACT Der zwölfjährige Junge, der sich das anhört, ist Bird oder Noah, wie sein Vater ihn seit dem Verschwinden der chinesischen Mutter Margaret Miu nennt. Die beiden leben zurückgezogen in einem Studentenwohnheim. Der Vater, im früheren Leben Linguistik-Professor, verdient einen kargen Lohn mit dem Einordnen von Büchern. PACT bestimmt ihr Leben, sorgt dafür,…