Liebesleid und Lebenslust
Rezensionen / 24. Juli 2024

Eine depressive 15-Jährige, ein alter Mann mit Alzheimer und ein hochintelligenter Junge. Reicht das für 317 Seiten? Bei Petra Pellini, der Vorarlberger Autorin funktioniert es wunderbar. Ihr Roman „Der Bademeister ohne Himmel“ ist ein bewegendes Zeitbild, das sowohl von abgrundtiefer Hoffnungslosigkeit als auch von kleinen Glücksmomenten lebt. Der junge und der alte Freund „Es gibt zwei Menschen, die mich von der Sache mit dem Auto abhalten“, schreibt die Ich-Erzählerin Linda, „Kevin und Hubert. Kevin wohnt um die Ecke, ist voll intelligent und Hubert wohnt im dritten Stock und ist voll dement.“ Der 86-Jährige, der vor Jahren seine Frau verloren hat und immer noch darauf wartet, dass sie nach Hause kommt, war in seinem früheren Leben Bademeister. Jetzt ist er auf die Hilfe von polnischen Pflegerinnen angewiesen, die von seiner Tochter bezahlt werden. Und, weil Linda den alten Mann ins Herz geschlossen hat, hilft sie zwischendurch aus. Ewa und die Lust am Leben So kommt sie auch Ewa näher, der warmherzigen, lebensbejahenden Polin, die so ganz anders ist als sie selbst. Während Linda immer wieder darüber nachdenkt, ihrem Leben ein Ende zu setzen, ist Ewa voller Hoffnung auf eine glückliche Zukunft. „`’Leben ist Geschenk‘, sagt Ewa. ‚Darüber lässt sich streiten‘, antworte…

Europas unbekannte Ecke
Reisebücher , Rezensionen / 24. Juli 2024

Die Unterwegs-Reihe aus dem Kunth-Verlag kombiniert erfolgreich Bildband, Reiseführer und Atlas. Das gilt auch für die neue Ausgabe „Unterwegs von Slowenien bis Albanien“, die dazu einlädt, den West-Balkan zu entdecken. Umso mehr, als viele der beschriebenen Gegenden bisher von Massentourismus verschont sind. Zum Beispiel Albanien, das nicht nur mit einer großartigen Natur aufwartet, sondern auch mit einer interessanten Geschichte, die bis ins vierte Jahrtausend v. Chr. zurückreicht. Entdeckungen in Albanien Die in den Fels gehauenen Königsgräber der Illyrer nahe Lin unweit des Ohrid-Sees könnten bald Unesco-Weltkulturerbe werden. Dann ist es aus mit dem Geheimtipp. Auch aus der jüngsten Vergangenheit gibt es in Albanien einiges zu entdecken. Noch relativ unbekannt ist die große Pilgerfahrt zum Grabmal des Abbas Ali auf dem Gipfel des Bergs Tomorr am 15. August, ein Volks- und Schlachtfest. Und wer in die Ära des Diktators Enver Hoxha eintauchen will, sollte in Tirana das Museum Bunk‘Art besuchen. Ein besonderes Erlebnis ist sicher eine Nacht in so einem Bunker aus der Zeit Enver Hoxhas am Skutari-See. Der Tourismus ist dabei,  Albanien zu verändern. Es besteht die Gefahr, dass alte Traditionen verschwinden wie die der burmesha, der „eingeschworenen Jungfrauen“, die nach dem Tod des Vaters wie ein Mann leben aber…

Sprachlos in Irland
Rezensionen , Romane / 22. Juli 2024

Mit „Long Island“ knüpft Colm Tóibín an seinen Roman „Brooklyn“ an, in dem die junge Irin Eilis in den 1950er-Jahren zum Arbeiten nach New York kommt und dort heimlich den Italiener Toby heiratet. Bei einem Besuch in der Heimat trifft sie ihre Kindheitsliebe Jim wieder und verbringt mit ihm und den Freunden Nancy und George einen glücklichen Sommer. Rund 20 Jahre später lebt Eilis mit Tony und ihren Kindern in „Long Island“. Doch glücklich ist sie nicht. Denn Tony hat sie mit einer Nachbarin betrogen – und die erwartet ein Kind aus diesem Seitensprung. Flucht in die Heimat Eilis weigert sich strikt, dieses Kind aufzunehmen. Ganz im Gegensatz zur italienischen Großfamilie, die darin kein Problem sieht. Die Irin fühlt sich zunehmend unverstanden in dem Familienverbund und beschließt, zum 80. Geburtstag ihrer Mutter nach Irland zu reisen, um sich über ihre Gefühle klar zu werden. Jim und seine Pläne Doch es kommt anders als geplant. Denn in der irischen Kleinstadt lebt immer noch Jim, der nie geheiratet hat. Allerdings hat er sich nach langem Zögern dazu entschlossen, mit der inzwischen verwitweten Nancy ein neues Leben anzufangen. Bringt Eilis diese Pläne ins Wanken? Es ist vor allem die Sprachlosigkeit der Protagonisten, die…

Genussreich Südtirol
Reisebücher , Rezensionen / 21. Juli 2024

„Bereits in Berlin und erst recht in London fehlte René aber die Natur: ‚Orte im Freien, die nah und schnell erreichbar sind, um Kraft und Ideen zu tanken‘.“ Wie dem Chocolatier René Romen in Meran geht es vielen Protagonisten, die Karin Lochner und Fotograf Peter von Felbert auf ihrer kulinarischen Reise durch Südtirol getroffen haben. Sie sind zurückgekommen in ihre Heimat Südtirol. Südtiroler Privilegien Andere mussten gar nicht in die Welt hinaus, um ih Zuhause wert zu schätzen. Für Christian Pinggera vom Schnalshuberhof ist es „ein Privileg, in Südtirol geboren und aufgewachsen zu sein. Die Heimat und der gute Boden brächten hochwertige Lebensmittel hervor, „um die Millionen von Menschen auf der Welt die Südtiroler beneiden“. Lupinen und Hornochsen Karin Lochner und Peter von Felbert hatten es in Südtirol leicht, engagierte Produzenten zu treffen. Denn hier ist die Landwirtschaft das Fundament für den Tourismus, und die meist jungen Landwirtinnen und Landwirte besinnen sich wieder auf alte Traditionen und entdecken alte Rezepte neu. Kaffee oder Likör aus Lupinen etwa, alte Gemüsesorten wie Hirschhornwegerich oder Erdnussrucola. Oder sie rehabilitieren das Fleisch männlicher Jungrinder wie Thomas Zanon aus Barbian mit seinem Modell „Barbianer Hornochs“. Käse und Kaffee Autorin und Fotograf stellen über Südtirol hinaus…

Mörderisches Mikroplastik
Rezensionen , Romane / 16. Juli 2024

Wolf Harlander bleibt auch als Autor Journalist und ist immer nah dran am Zeitgeschehen. Nach seiner Öko-Dystopie „42 Grad“, dem Thriller „Systemfehler“ zum Thema Cyberattacken und dem Klima-Horror „Schmelzpunkt“ beschäftigt er sich in dem Roman „Partikel“ mit dem Problem von Mikroplastik. Dabei setzt er zur Aufklärung auf sein bewährtes Team Nelson Carius und Diana Winkels. Die Folgen von Mikroplastik Ausgangspunkt des Thrillers ist die Havarie eines Frachters vor der marokkanischen Grenze. Das Schiff hatte illegalen Plastikmüll geladen, der nun die Strände Marokkos und Tunesiens überschwemmt. Grund genug, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Doch Harlander hat noch eine zweite – zutiefst menschliche – Geschichte mit eingebaut, um die Dringlichkeit des Themas zu untermauern. Die kleine Zoe ist an Leberkrebs erkrankt – in Folge von Mikroplastik, die sie beim Essen oder Trinken zu sich genommen hat. Eine Heilung, so bescheiden die Ärzte den schockierten Vater – gäbe es nicht. Algen als Lösung? Hoffnung kommt aus den USA, wo eine Therapie gegen die Folgen von Mikroplastik in Erprobung ist. Doch die Millionen-Kosten wird sich Zoes Vater nicht leisten können… Seine Schwester Melissa, die als Volontärin bei einer Online-Plattform arbeitet, soll zum Thema recherchieren – auch bei einem  amerikanischen Start-up, das sich rühmt,…

Verfälschte Wirklichkeit
Rezensionen , Romane / 16. Juli 2024

Marc Uwe Kling, der Schöpfer der Känguruh-Chroniken und Vater des „Neinhorns“ wagt sich auf ungewohntes Terrain. Mit „Views“ hat er einen knallharten und hochaktuellen Thriller verfasst, nachdem er schon mit seinen beiden Töchtern mit dem „Spurenfinder“ eine Art Krimi-Fantasie mit komischen Elementen geschrieben hatte. Jetzt also ein Thriller, allerdings garantiert ungeeignet für Kinder. Und lustig ist „Views“ schon gar nicht, abgesehen von ein paar satirischen Seitenhieben auf unsere digitale Gesellschaft. Vergewaltigungs-Video und Hass-Posts „Dieses Buch enthält Inhalte, die manche Personen als verstörend empfinden können“, heißt es warnend auf dem Cover, von dem der Titel „Views“ in pink leuchtet. Tatsächlich geht es auf 269 Seiten teilweise ziemlich brutal zu. Ein 15-jähriges Mädchen verschwindet, kurz darauf geht ein Vergewaltigungsvideo viral, auf dem drei Afrikaner als Täter zu sehen sind. Was folgt ist ein Aufschrei in den rechten Kreisen – und ein neues, brutales Video. Selbstjustiz. Und der Internet-Mob wird mit immer neuen Hass-Posts gefüttert. Spurensuche im leeren Raum Die BKA-Ermittlerin Yasira Saad – libanesische Wurzeln und Mutter einer 15-jährigen Tochter – gerät bei diesem Fall an ihre Grenzen. Keine Spur von den Vergewaltigern, keine Spur von dem verschwundenen Mädchen. Doch dann bringt ihre Tochter sie auf eine Idee. Was, wenn sie und…

Entdeckungen in der Eifel
Reisebücher , Rezensionen / 16. Juli 2024

Barbara Riedel und Esther Schirrmacher sind auf der ganzen Welt unterwegs, aber sie erkunden auch gern ihre Heimat Deutschland – am liebsten im Schlendermodus. Dazu passt das Buch „Wanderzeit in der Eifel“, in dem die beiden 20 „herrlich entspannte Touren“ präsentieren. Alle vom ersten bis zum letzten Kilometer ausführlich beschrieben und ebenso bebildert. Und für die genauere Orientierung gibt‘s immer eine Karte. Einkehr mit Aussicht Was natürlich auch nicht zu kurz kommen darf bei den entspannten Wanderungen ist der Genuss. Das Wort Einkehr wird hier aber auch in seiner anderen Bedeutung verstanden, Einkehr halten etwa in einer Kirche, an einem Kraftplatz, an einer besonders schönen Aussicht. Und davon gibt es in der Eifel genug. Etwa von der Teufelskanzlei in der Vulkaneifel oder vom Adolf-Dronke-Turm auf dem Mäuseberg über dem Gemündener Maar. Mofetten und Maare Hier weisen die beiden Autorinnen auch noch auf eine Besonderheit hin: Mofetten oder Fumarole, sprudelnde Quellen dank CO2. Denn wie der Name verspricht: Die Vulkaneifel ist vulkanischen Ursprungs. Davon zeugen nicht nur die Mofetten, auch die Maare gehen auf eine bewegte Erdgeschichte zurück. Der kommt man natürlich am besten bei einer Wanderung um die Dauner Maare näher. Schiefergruben und Burgenromantik Noch eine Besonderheit sind die Schiefergruben…

Lesefutter für die Kleinen
Kinderbücher , Rezensionen / 3. Juli 2024

In den großen Ferien haben nicht nur Schulkinder viel Zeit, oft sind auch Kitas und Kindergärten geschlossen. Dann müssen sich auch die Kleinsten beschäftigen. Hier ein paar Bilderbücher zum Allein- oder Gemeinsamlesen. Kitakinder Constanze von Kitzing hat schon etliche Pappbücher und Wimmelbücher gestaltet, in denen sie zeigt, wie sich unsere Gesellschaft verändert hat. Das Motto „Ich bin anders als du – ich bin wie du“ gilt auch für das Pappbilderbuch „Jetzt gehe ich in die Kita“ (Carlsen, 15 S, 10 Euro, ab 2). Constanze von Kitzing erzählt von Junas erstem Tag in der Kita in bunten Bilder und kurzen Texten. Papa begleitet sein Töchterchen, denn es wird aufregend für Juna. Sie muss sich erst zurechtfinden bei all den Kindern, den unterschiedlichen Namen. Wie gut, dass auch die Erzieherin sie dabei unterstützt. Und das Spielen mit den anderen Kindern macht Spaß. Nur hin und wieder vermisst Juna ihren Papa. Aber das wird sich sicher bald ändern… Mamakind „Das schönste Kind überhaupt“ heißt das schönstens illustrierte Bilderbuch von William Papas (aracari Verlag, 26 S., 15 Euro, ab 3). Papas erzählt von einem großen Wald, in dem viele Vögel leben – große und kleine, mürrische und glückliche und – wunderschöne wie der Herr…

Bade-Erlebnisse in der Natur
Reisebücher , Rezensionen / 2. Juli 2024

Wenn die Sonne vom Himmel brennt, träumen viele vom Sprung ins kalte Wasser. Nicht in einem Schwimmbad, sondern in der freien Natur. Baden in einem See, einem Fluss, womöglich unter einem Wasserfall. Wildschwimmen“ heißt das bei lonely planets „Happy Places“. 60 solcher Wildbadeplätze in aller Welt stellt der gleichnamige Bildband vor. Nichts für Warmduscher Wildschwimmen ist nichts für Warmduscher, denn so ein See kann ganz schön kühl sein, ein Fluss hin und wieder eiskalt. Aber gerade das kalte Wasser verschafft Glücksgefühle, wenn sich der Herzschlag beschleunigt. Ins Ungewisse sollte man dennoch nicht springen. Gerade an Wildwassern ist Vorsicht angesagt. Dafür kann man beim Schwimmen die Natur erleben – etwa in Gezeitentümpeln oder in Quellwassergumpen. „Wenn ich schwimme, komme ich mir selbst am nächsten“, schreibt die Wildbaderin Freya Bromley im Vorwort. Vom Wasserfall bis zur Salz-Lagune Wie wäre es also mit einem Bad unter den Grandes Cascades d‘Akchour in Marokko, mit Schwimmen in den Sonnenuntergang in Tansania, Abhängen im Hierve El Agua in der Sierra Madre de Oaxaca in Mexiko, einem Salzbad in den Lagunas Escondididas de Baltinache in Chiles Atacama Wüste oder einer Wassermassagen in den Mayfield Falls auf Jamaica? Wildschwimmen in der Stadt Zu weit weg, zu exotisch? Auch…

Der menschliche Wahnsinn
Rezensionen , Romane / 1. Juli 2024

Manchmal hat man bei dem amerikanischen Autor T.C. Boyle das Gefühl, er könne Dinge vorhersagen. In seinem neuen Buch versammelt er unter dem Titel „I walk between the raindrops“ 13 Kurzgeschichten, die der TV-Kritiker Denis Scheck als „starke Geschichten für heftige Zeiten“ bezeichnet. Und gleich in der ersten – Titel gebenden – Geschichte nimmt er vorweg, was vor kurzem im Schweizer Graubünden die Menschen aufgeschreckt hat: „Die riesigen Niederschlagsmengen ließen eine Mure abgehen, die alles, was auf ihrem Weg zum Meer lag, vor sich herschob: Häuser, Wagen, Bäume, Felsblöcke und dreiundzwanzig meiner Nachbarn, die in den darauffolgenden dunklen, kalten, knirschenden Stunden unter Erdmassen begraben und getötet wurden.“ Geschichten aus dem Alltag Wie macht der Mann das? Ganz einfach, Boyle schöpft in dieser apokalyptischen Geschichte aus dem eigenen Erleben. Was der Klimawandel, eines seiner Herzensthemen, gerade bei uns anrichtet, hat Kalifornien schon erlebt. Und der Amerikaner war schon immer ein kritischer Beobachter der gegenwärtigen Entwicklungen. Daraus entstehen dann so köstlich-bösartige Alltagsgeschichten wie „Die Wohnung“, in der eine alte Frau, die einfach nicht sterben will, den Mann in den Wahnsinn treibt, der sie über den Tisch ziehen wollte. Oder die beängstigende Beschreibung einer Zugfahrt, in der eine allein reisende Frau einem Incel…