Am Ende der Sprachlosigkeit
Rezensionen , Romane / 17. März 2024

Als „Klimaroman“ wurde das erste Buch von Franziska Gänsler gefeiert, das in einer nahen Zukunft spielt in der Brände und Atemmasken an der Tagesordnung sind. Jetzt also der zweite Roman der gebürtigen Augsburgerin „Wie Inseln im Licht“. Kein Umweltroman, wie vielleicht zu erwarten. Eine Familiengeschichte, die um ein großes Rätsel kreist. Und wie im ersten Roman spielen auch hier die Frauen die Hauptrolle. Bruchstücke der Erinnerung Die Ich-Erzählerin Zoey ist nach dem Tod ihrer Mutter an die französische Atlantikküste zurückgekehrt, wo sie als Kind mit ihrer Mutter und der kleinen Schwester Oda eine Zeitlang gelebt hat – in einem Wohnwagen auf einem abgelegenen Campingplatz. 20 Jahre ist das her, entsprechend bruchstückhaft sind die Erinnerungen der jungen Frau an diese Zeit, wie „Inseln im Licht“. Aber vieles kommt zurück „wie Schnüre rollen sich die Erinnerungen in mir auf“: „die Wärme in unserem Bauwagen, Oda im Bett, kalte Handtücher, die die Mutter um ihre Waden schlug“, die Lichter im Wald, goldene Lichter und Gesang. Das rätselhafte Verschwinden Jetzt ist sie hier, um die Asche der verstorbenen Mutter im Meer zu verstreuen. Aber noch mehr treibt sie die Erinnerung an die Schwester um, die plötzlich verschwand. Danach zog die Mutter mit Zoey in…

Aus der Zeit gefallen
Rezensionen , Romane / 15. März 2024

Susanne Matthiessen gehört der Boomer-Generation an, jener Generation, die in den 1960er Jahren geboren wurde. So viele Kinder hatte es nie zuvor in Deutschland gegeben – jetzt sind sie im Ruhestand oder kurz davor. In ihrem Roman „Lass uns noch mal los“ geht die Schriftstellerin dem Schicksal der rebellischen Boomer-Frauen auf den Grund.  Es waren Frauen, die mehr wollten als ihre Mütter. Die wollten, was ihnen zusteht, „ihre Hälfte der Welt“.  Aufbruchsstimmung in Kreuzberg In Kreuzberg versucht eine neue Frauenbewegung in besetzten Häusern ihre Träume zu verwirklichen. Die Ich-Erzählerin Susanne, die eigentlich eine Reportage über eine Rassehunde-Ausstellung schreiben sollte, landet während  blutiger Wirren in einer Frauen-Kommune. Es herrscht herrliche Aufbruchstimmung. „Ich möchte eigentlich allen nochmal in Erinnerung rufen, wer wir waren. Was wir waren. Wie wir waren. Am Ende haben wir alles noch in uns. Und ich denk mir, das was wir mal wollten, muss doch irgendwie möglich sein, jetzt mal zu vollenden“, sagt Susanne Matthiessen über ihren Roman. Eine Festung gegen das Patriarchat Und damals sah ja auch alles gut aus: Gemeinsam verwirklichen die Frauen ein eigenes Hausprojekt, BURG genannt, eine Festung gegen die Zwänge des Patriarchats. Männer müssen draußen bleiben. 40 Jahre später ist die Anfangs-Euphorie längst Geschichte,…

Der Preis der Integration
Rezensionen , Romane / 14. März 2024

Ein schönes Ausländerkind, so auch der Titel dieses Buchs von Toxische Pommes, war diese Ich-Erzählerin wohl. Angepasst, strebsam, blond und blauäugig. Aber halt immer noch Ausländerin, die nicht so richtig dazu gehört zu der österreichischen Gesellschaft. Das wird ihr spätestens dann klar, als ihr Lehrer, der sie mit Best-Noten überschüttete, ihrer Mutter davon abrät, die Tochter aufs Gymnasium zu schicken. Eine Einwandererfamilie in Österreich Ihren Ehrgeiz zur Anpassung hat das nicht gebremst. Sie geht aufs Gymnasium, studiert, ja promoviert. Im echten Leben ist Toxische Pommes, so das Pseudonym der Juristin, mit satirischen Beiträgen auf TikTok erfolgreich. In Zukunft vielleicht auch als Buch-Autorin. Denn der autofiktionale Roman „Ein schönes Ausländerkind“ erzählt böse und berührend zugleich die Geschichte einer Einwandererfamilie aus dem ehemaligen Jugoslawien, ihrer Familie. Wohnen gegen Hausarbeit Alles beginnt in Wiener Neustadt südlich der österreichischen Landeshauptstadt. Hier findet die Familie Unterschlupf in einem großbürgerlichen Haushalt. Wohnen gegen Hausarbeit ist der Deal, den die Hausherrin vorgibt. Vor allem die Mutter unterwirft sich dem strengen Regime.  Sie ist entschlossen,  erst einmal die Sprache ihres Gastlandes zu lernen und dann in ihrem Beruf Karriere zu machen.  Ehrgeizig wie sie ist auch die Tochter. Nur der Vater verweigert sich allen  Integrationsbestrebungen seiner Familie. Dabei…

Die Ich-Werdung einer Drusin
Rezensionen , Romane / 14. März 2024

Es ist eine für uns fremde Welt, die uns Haneen Al-Sayegh in ihrem Roman „Das unsichtbare Band“ vor Augen führt. Die hermetisch abgeschlossene Welt der Drusen, eine patriarchalisch orientierte Religionsgemeinschaft, die aus einer Abspaltung der ismailitischen Schia entstand. Hier wächst die ehrgeizige Ich-Erzählerin Amal auf, die sich durch Bildung von den Fesseln ihrer Familie und den archaischen Traditionen befreien will. Das Schicksal der Mutter Dass Mädchen und Frauen keine Rechte haben, will sie nicht akzeptieren. Auf keinen Fall will sie werden wie die Mutter, die sich tagtäglich für Mann und Kinder abrackert und sich dabei längst abhanden gekommen ist. Immerhin: Mit dem Backen von Brot verdient sie ihr eigenes Geld, das sie in den Schulbesuch ihrer Töchter investiert. Flucht in die Ehe Um dem strenggläubigen Elternhaus zu entkommen, heiratet Amal mit 15 den wohlhabenden Drusen Salem und zieht mit ihm in seine Villa. Kalt und leer erscheint ihr der ganze Luxus, mit dem ihr ungeliebter Mann sie umgibt. Aber sie kann ihm die Zusage abringen, ihren Schulabschluss machen zu dürfen und später sogar zu studieren. Um das zu erreichen, muss sie immer wieder auf die Wünsche ihres Mannes eingehen. Und obwohl sie nicht Mutter werden will, bringt sie für Salem…

Was für ein Elend!
Kinderbücher , Rezensionen / 6. März 2024

Für ihren Kinderroman „Frieda, Nikki und die Grenzekuh“ ist Uticha Marmon mit dem Kirsten-Boie-Preis ausgezeichnet worden. Denn ihr ist es gelungen,  so schwierige Themen wie Krieg und Frieden auch für Kinder erfahrbar zu machen – mit hintergründiger Komik. Doppeltes Elend Oft fangen die großen Probleme schon im Kleinen an. Wie im Dorf Elend, das in Nord- und Süd-Elend gespalten ist.  Frieda lebt mit ihren Eltern Anne und Paul in Südelend, Nikki ist ihr bester Freund und für jedes Abenteuer zu haben. Aber Nordelend ist beiden suspekt. Da wohnen unter anderen Jella, Adil und Bo, kurz Adibo, weil sie immer zusammen auftreten und dann auch ziemlich aggressiv. Die Kuh und ihr Kalb Um Ärger zu vermeiden bleiben die Südelender und die Nordelender unter sich, so wie es seit langer Zeit ist. Doch dann bringt ausgerechnet Friedas Lieblingskuh Angela das Arrangement ins Wanken. Denn Angela hat es sich in den Kopf gesetzt, ihr Kalb ausgerechnet an der Grenze zwischen Nord- und Südelend zur Welt zu bringen. Eine Katastrophe, finden die Süd-Elender, und die Nord-Elender sehen es ebenso. Es wird aufgerüstet Verschwörungsgerüchte machen die Runde, der Konflikt eskaliert. Bauer Reinke aus Nord-Elend reklamiert das Kalb für sich, weil sein Stier Bronco der Vater…

Sehnsuchtsziel Portugal
Kinderbücher , Rezensionen / 6. März 2024

Saudade, das ist in Portugal das Wort für Sehnsucht, eine Art Weltschmerz. Saudade empfinden auch Portugal-Fans, wenn sie das Land wieder verlassen, wenn sie fern von ihrem Sehnsuchtsziel sind. Überbrücken lässt sich dieses melancholische Gefühl mit diesem Büchlein. Denn Susanne Bade und Dirk Lehmann sind tatsächlich „in love with Portugal“, wie der Titel verspricht. Stolz und Humor Die beiden waren so oft in Portugal, dass sie sich trauen, über die Mentalität der Portugiesen zu schreiben. Sie wissen um den Stolz der Menschen, um ihren Humor, der sich in den Redewendungen Bahn bricht. Sie sind durchs Weinland am Douro gewandert, haben am Oberlauf des Flusses die altsteinzeitlichen Zeichnungen erkundet und in Porto die Street Art unserer Zeit. Sie haben die schönsten Strände genossen, sich im Wellenreiten versucht und vom Surffieber anstecken lassen. Das schöne Monster Sie sind der Magie in den Wäldern der Serra de Estrela verfallen, haben in wilden Flüssen gebadet und waren in den Vierteln des „verdammt schönen Monsters“ Lissabon dem Lebensgefühl auf der Spur. Sie haben sich in die Kapelle der Toten in Évora gewagt und im Sternenpark von Alqueva in den Sternenhimmel geschaut.  Verwandte und Fremde Doch was für die beiden Portugal-Kenner den besonderen Reiz ausmacht, waren…

Tod und Zukunft
Rezensionen , Romane / 1. März 2024

Uff, da hat sich Nicola Förg eines heiklen Themas angenommen – ausgerechnet in ihrem 15. Apenkrimi. Der Titel „Zornige Söhne“ führt ein bisschen in die Irre, denn so richtig zornig ist eigentlich nur ein Sohn. Aber das nur nebenbei. Roman im Roman Denn im Mittelpunkt dieses Krimis steht der Konflikt zwischen der Generation der Baby Boomer und der Generation Z. Dazu bedient sich Nicola Förg eines literarischen Kunstgriffs, eines Romans im Roman. Er entführt in die nahe Zukunft. Man schreibt das Jahr 2032, und sterbewillige Senioren können einen assistierten Suizid samt einwöchigem Aufenthalt in einem Luxusressort buchen. Die Last der Baby Boomer Verfasst hat den Roman, der als Weltbestseller durch die Decke geht, der Vater des junges Mannes, dessen Tod Irmi & Co untersuchen. Und während der Ermittlungen liest Irmi, die sich den Baby Boomern zugehörig fühlt und schon bald in Rente gehen wird, diese Geschichte. Das bringt sie zwar bei ihren Ermittlungen nicht unbedingt weiter. Aber es führt ihr vor Augen, dass ihre Generation für die Jungen immer mehr zur Belastung werden wird. Ein sozialverträgliches Sterben könnte also durchaus erwünscht sein… Komplizierte Ermittlungen Das allerdings betrifft nicht das Mordopfer. Denn Joshua hat noch sein Leben vor sich, als er…

Immer zu Diensten?
Rezensionen , Romane / 29. Februar 2024

Neulich im Fernsehen: „Sie sagt, er sagt“, ein Stück von Ferdinand von Schirach über eine Vergewaltigungsklage und die unterschiedlichen Perspektiven. Darum geht es auch in dem aufrüttelnden Roman „Service“ von Sarah Gilmartin. Service um schreibt die dienstbaren Geister in einem Restaurant. Dass vor allem die Service-Kräfte, also die Kellnerinnen, immer zu Diensten sind, ist ein weit verbreiteter Irrtum, dem nicht nur männliche Gäste erliegen. Nein heißt nein Lange Zeit galten das Tätscheln des Hinterns, der tiefe Blick ins Dekolleté als Kavaliersdelikt. Das hat sich mit der #MeToo-Bewegung grundlegend geändert. Doch viele Männer scheinen es noch nicht begriffen zu haben. Zu ihnen gehört auch der Sternekoch Daniel, der seinerseits über die Anmache von zumeist älteren Kundinnen klagt. Doch er hat nicht erkannt, dass auch für Chefs gilt: Ein Nein ist ein Nein. Hannahs Grenze Ziel seiner unwillkommenen Avancen ist die hübsche, blutjunge und naive Hannah. Auch wenn sie zwischendurch den Versuchungen von Alkohol und Drogen erliegt und die Bevorzugung durch den Chef genießt, zieht sie immer eine Grenze. Nach einem Abend voller Stress und der anschließenden Alkohol und Drogen geschwängerten Feier des Personals in der Küche, passiert dann, was Hannah unbedingt vermeiden wollte. Der Zorn der Frauen Doch zur Anklage gegen…

Futter fürs Fernweh
Reisebücher , Rezensionen / 29. Februar 2024

Helge Sobik ist weit gereist und welterfahren. Das spürt man in jeder Zeile seiner poetischen Reise-Miniaturen. Auch wenn man den Titel „Gestrandet“ nicht ganz so wörtlich nehmen sollte. Denn Sobik hat seine Aufenthalte oft genug auch freiwillig verlängert, weil es einfach so schön war vor Ort, weil der Abschied zu schwer fiel. Und es sind auch nicht immer nur Strände, an denen diese modernen Robinsonaden spielen. Städte sind ebenso darunter wie Wüsten, Berge und Flusslandschaften. Überall Außergewöhnliches Kein Kontinent, den Helge Sobik nicht bereist hat und kein Ort, dem er nicht Geheimnisvolles, Außergewöhnliches entlocken konnte. Wer noch Futter fürs Fernweh braucht, hier findet er es. Denn wer wäre nicht gern dabei, wenn auf Djerba die Nacht Klänge, Gerüche und Geschmack hat oder beim schönsten Sonnenuntergang auf der griechischen Insel Folegandros? Wer würde nicht gern erfahren, warum das Grau des venezianischen Winters etwas „Endzeitlich-Unwirkliches“ hat? Genuss ohne Zeitlimit Und doch bleiben viele der schönsten Erfahrungen den meisten Reisenden verwehrt. Helge Sobik weiß auch, warum. Weil viele Umwege scheuen, weil sie Angst vor dem Unbekannten haben oder weil sie – wie in Tunis – „Tausendundeine Nacht nur am Tage suchen“.  Er weiß auch, wie wichtig es ist, den deutschen Zeitbegriff auf Reisen…

Gut abgeschmeckt
Rezensionen , Romane / 26. Februar 2024

Auch mit knapp 90 Jahren beweist die Altmeisterin des deutschen Krimis Scharfsinn und Biss. „Gruß aus der Küche“ heißt ihr neuer, gut abgeschmeckter Roman, in dem sie wieder Abgründe ans Tageslicht befördert, die auch in ganz normalen Menschen schlummern. Übersichtliches Personal Das Personal ist übersichtlich: Die etwas klein geratene und rundliche Irma hat das Traditionsgasthaus „Zum Hirschen“ in das hippe Veggie-Restaurant Aubergine verwandelt. Unterstützt wird sie von dem gut aussehenden und ein paar Jahre jüngeren Josh, der allerdings ein Faible für weibliche Reize hat. Auch Irmas geistig eher minder bemittelte Freundin Nicole verfügt über solche und weiß sie entsprechend einzusetzen. Doch sie bekommt Konkurrenz von der selbstsicheren 16-jährigen Praktikantin Lucy. Und dann ist da noch der schwerhörige „Gemüsemann“. Der alte, geistig durchaus fitte Vinzent schnippelt in der Küche Gemüse und wird vom Küchenpersonal als alter Trottel abqualifiziert. Das Geheimnis des Gemüsemanns Nicht so von Irma, die den Alten wegen seiner Klugheit bewundert. Was die anderen nicht ahnen, Vinzent hört dank seines Mini-Hörgeräts alles, was sie sagen. Er zieht daraus nicht nur seine Schlüssel, sondern schreitet auch zur Tat und sorgt damit nicht nur für einige Verwirrung, sondern für eine ganze Serie von Ereignissen, die Irmas Leben von Grund auf erschüttern….