Die Genies ganz privat
Rezensionen , Romane / 30. Juni 2025

Die Genies erzählt die Geschichte einer außergewöhnlichen Männerfreundschaft und deren skandalöses Ende. Der Peruaner Mario Vargas Llosa streckte 1976 seinen Freund und Kollegen, den Kolumbianer Gabriel Garcia Marques, mit einem Faustschlag nieder. Der Autor Jaime Bayly, in Peru geboren und in Miami lebend, hat in seinem Roman auch von seinen Erfahrungen als TV-Moderator profitiert. Stellenweise lesen sich die Genies wie Reportagen der Yellow Press. Familien-Klatsch Und so erfährt man auch einiges über Leben und Alltag der beiden Ausnahme-Literaten. Wobei Vargas Llosa da für Klatsch und Tratsch mehr zu bieten hat als Garcia Marques. Schließlich war der Peruaner mit seiner Tante verheiratet, ehe er sich in die damals 15-jährige Patricia, seine Cousine, verliebte und sie auch heiratete. Die beiden haben drei Kinder, als er sich bei einer Schiffsreise in Susana verliebt, ein Model. Die neue Liebe „Sie war eine traumhafte, göttliche Schönheit, von der ihr Freund, der berühmte Schriftsteller, immer noch geblendet war. Er liebte sie jede Nacht, ausgenommen die Zeiten, in denen er unterwegs war und Interviews und Filme aufnahm.“ Das spätere Leben Eines Tages zeigt Susana ihm eine Frau, die im späteren Leben des Schriftstellers noch eine wichtige Rolle spielen sollte: Isabel Preysler, die Frau von Julio Iglesias. 2015…

Die Alpen sind kein Funpark
Reisebücher , Rezensionen / 27. Juni 2025

Der Gletscherabbruch im Lötschental hat drastisch vor Augen geführt, wie gefährdet und gefährlich unsere Alpen sind. Vielleicht braucht es genau deshalb diesen Alpen-Appell von Georg Bayerle. Der Journalist, Filmemacher und Bergliebhaber führt in seiner Streitschrift drastisch vor Augen, wie massiv die Eingriffe in die Bergnatur sind, um den normalen Tourismusbetrieb zu erhalten. Mehr als Klimawandel Die Alpen gelten als Wasserschloss, sie sind aber auch Natur- und Erholungsraum. Doch nicht nur der Klimawandel bedroht die vielerorts noch vorhandene intakte Bergnatur, auch die Übernutzung durch die Landwirtschaft und den Tourismus macht den Alpen zu schaffen. Bayerle findet dafür erschreckende Beispiele. Grenzen der Bespaßung Rund 80.000 Schneekanonen sind seinen Recherchen nach in Betrieb, um den Skisport auch in Zukunft zu sichern. Doch auch im Sommer droht Ungemach: In Sölden sei der Berg zur „dauerbespielten Plattform der Spaß- und Unterhaltungsindustrie geworden“, ärgert sich der Autor und kritisiert: „Die Nachkommen der Bergbauern haben in zwei Generationen das jahrhundertealte Wertesystem Ihrer Kultur abgeschafft.“ Positive Beispiele Georg Bayerle stellt aber auch klar, dass er keineswegs den Tourismus in den Alpen abschaffen will, auch nicht die Bergbahnen. Aber er mahnt eine vernünftige Begrenzung an. Dazu zitiert er Experten und stellt Lösungsmöglichkeiten sowie positive Beispiele vor. Dem Salzburger Land…

Kurz vor dem Verhungern
Rezensionen , Romane / 23. Juni 2025

Dacia Maraini ist eine der wichtigsten Schriftstellerin Italiens, und sie hat lange gewartet, bis sie dieses Buch über die Schrecken ihrer frühen Kindheit geschrieben hat: „Ein halber Löffel Reis“. Sie habe immer wieder angefangen, ihre Erinnerungen niederzuschreiben, hat Maraini in Interviews gesagt, aber es sei zu schmerzhaft gewesen, „wie eine Wunde, die nie verheilt war“. Aber angesichts der faschistischen Tendenzen weltweit habe sie die Notwendigkeit erkannt, über das Leben im Krieg Zeugnis abzulegen. Eine Frage der Moral Sie war sieben Jahre alt und lebte mit ihren Eltern und zwei Schwestern in Japan, als die Familie interniert wurde. Denn ihre Eltern hatten sich geweigert, 1943 eine Art Treue-Eid auf Mussolini zu unterschreiben, wie es die faschistische Regierung Italiens verlangte. Noch heute ist Maraini trotz ihrer schlimmen Erfahrungen überzeugt davon, dass diese Entscheidung richtig war. „Eine Frage von Ethik und Moral“, sagt sie. Feindliche Ausländer Als „feindliche Ausländer“ wurde die Familie in ein Lager in Nagoya gesteckt. Kein Tötungslager, aber eines, in dem die Insassen täglich am Rand des Verhungerns waren. Für die Kinder gab es keine Extra-Portion. Die Erwachsenen mussten ihnen einen halben Löffel Reis von ihrer Ration abgeben. Und das, obwohl die japanische Regierung wohl ausreichend Nahrungsmittel zur Verfügung stellte….

Schwiegermutter: Die Unverstandene
Rezensionen , Romane / 15. Juni 2025

Schwiegermutter – das ist für viele Paare ein Schreckgespenst. Die Mutter des Partners oder der Partnerin kann eine echte Bedrohung für eine Beziehung sein. Wie in Moa Hergrens Roman „Schwiegermutter“. Nur, wer ist schuld daran, wenn alles schief läuft? Darum geht es in dem Roman, der zwar großenteils aus der Sicht der Schwiegermutter geschrieben ist, aber auch die anderen Beteiligten zu Wort kommen lässt. Symbiotische Beziehung Åsa ist alleinerziehende Mutter, seit Janne sie für eine andere verlassen hat. Mit Andreas verbindet sie die Kommunikationstrainerin eine symbiotische Beziehung. Doch nun ist Andreas mit Josefin zusammengekommen, der nach Åsas Meinung komplizierten Tochter ihrer langjährigen Freundin Stina. Trotzdem bietet sie dem Paar an, für einen kurzen Zeitraum bei ihr einzuziehen, bis sie eine Wohnung gefunden haben. Konkurrenzkampf Doch da, wo sie früher zu zweit ein gutes Team waren, muss sich Josefin wie ein Fremdkörper vorkommen. Die beiden Frauen buhlen um die Liebe von Andreas. Und Åsa macht mit ihren unwillkommenen Hilfsangeboten das Zusammenleben nicht leichter. Ihre Übergriffigkeit nutzt Josefin, um Andreas gegen seine Mutter aufzuhetzen. Als Åsa Andreas zu einer Therapie – ausgerechnet bei einer Freundin – rät, wird alles nur noch schlimmer. Plötzlich sieht sie sich mit Vorwürfen aus Andreas‘ Kindheit konfrontiert….

Im adriatischen Zwischenreich
Reisebücher , Rezensionen / 11. Juni 2025

„Die neuen Insider Guides der Oh!-Reisebuchreihe des Folio Verlags für Städte und Regionen erzählen auf authentische und spannende Weise von Orten und Gegenden sowie ihren Menschen. Das überzeugende Qualitätsversprechen des Verlags steht gedruckt auf dem Cover: Mit dem Know-how der Locals.“ So begründet die Jury die Verleihung des International Travel Book Awards für die neue Reihe „Oh! Das Reiselesebuch“. Laut Verlag erzählen die Autorinnen und Autoren darin „mit unverwechselbarem, persönlichem Blick“ viel Hintergründiges. Sanfte Annäherung Das gilt auch für Anita Rossi und „Oh! Italiens Obere Adria“. Die in Südtirol aufgewachsene Autorin, die teils in Brixen, teils in der Lagune von Caorle lebt, kennt sich aus im „vom Wasser geprägten Zwischenreich abseits der bekannten Kulturstädte“. Die Tourismusburgen lässt sie außer acht. Dafür lädt sie in „aus der Zeit gefallene borghi“, zu Strandspaziergängen auf knirschendem Muschelsand und in Unesco-Welterbestätten. Wichtig dabei ist ihr immer eine möglichst sanfte Annäherung, etwa mit Fahrrad oder Boot, auch mit Öffentlichen Verkehrsmitteln oder zu Fuß. Mestre statt Venedig Wie wäre es also mit Birdwatching im Po-Delta oder einem Besuch in Chioggia, „Klein-Venedig, nur ohne Massentourismus“? Die in Venedig bitter vermisste Jugendkultur findet die Autorin in Mestre, wohin es auch viele Venezianer gezogen hat, die in der musealen…

Ein Mord aus Langeweile
Rezensionen , Romane / 10. Juni 2025

Michael Köhlmeier ist ein grandioser Autor – auch im kleinen Format. Und er ist ein grandioser Erzähler. Besser als er selbst könnte keiner Die Verdorbenen  lesen – distanziert, emotionslos, lakonisch. Dabei geht es um nicht weniger als um das Böse. Hier geschieht es scheinbar grundlos – aus purer Langeweile heraus. Der Protagonist Johann kommt als Mann ohne Eigenschaften daher, farb- und ambitionslos. Mit einem Abstand von 40 Jahren blickt der reife Johann ohne verklärende Nostalgie zurück auf sein Studenten-Ich. Unheilvolle Dreier-Beziehung Der junge Johann studiert Anfang der 1970iger Jahre in Marburg. Bei einem Ausflug, den er als Tutor mit organisiert, lernt er Christiane und Tommi kennen, die seit ihrer Kindheit zusammen sind. Ohne verliebt zu sein kommen Johann und Christiane als Paar zusammen. Weil Tommi nicht loslassen kann, entwickelt sich eine merkwürdige, immer unheilvollere Dreiecks-Beziehung, die alle beschädigt und Johann in die Flucht treibt. Der Wunsch fürs Leben Inmitten dieser von innerer Leere, Ausweg- und Lustlosigkeit gekennzeichneten Zeit erinnert sich Johann an ein Gespräch mit dem Vater: „Einmal, da war ich sechs Jahre alt gewesen und am Beginn der Schule, hatte er mich gefragt: ‚Was ist ein Wunsch für dein ganzen Leben? Überleg‘ es dir gut, morgen frage ich dich…

Donna Leon persönlich
Rezensionen , Romane / 6. Juni 2025

Über ihre Brunetti-Krimis ist Donna Leon vielen Deutschen sehr vertraut. In dem Büchlein Backstage gibt die inzwischen 83-jährige Autorin aber einiges aus ihrem Privatleben preis, das womöglich auch in ihre Krimis eingeflossen ist. Immerhin hat Donna Leon ein ziemlich interessantes Leben gelebt, ehe sie sich für Venedig als Wohnsitz und später für die Schweiz entschieden hat. Rassismus  in den USA Geboren wurde sie in den USA,wo sie an einer Abendschule ihren Master in Englischer Literatur machte und als Aushilfslehrerin an Grundschulen von Newark mit Rassismus konfrontiert wurde. Über den Schüler Cedric, der ihr wohl ans Herz gewachsen ist, schreibt sie: „Er war schwarz und lebte in Amerika, also hatte er von Anfang an kaum eine Chance.“ Erfreulicher wenn auch nicht undramatisch ist ihre Erfahrung bei einem Frank-Zappa-Konzert in Montreux, das in einem Brand endete und Deep Purple zu „Smoke on the Water“. Doch das hat sie selbst erst 40 Jahre später bei einem Besuch in Südtirol erfahren. Erlebnisse im Iran Im Iran stand Donna Leon noch nach der Macht-Übernahme von Ajatollah Khomeini vor einer unsicheren Zukunft, als zwangspensionierte Englischlehrerin – und erlebt eine abenteuerliche Ausreise. Und dann ist da noch ihr Besuch bei der der Sexarbeiterin Regina, die ihr von…

Zeit der Verlogenheit
Rezensionen , Romane / 5. Juni 2025

Christine Kochschmieder lässt in ihrem neuen Roman „Frühjahrskollektion“ die Zeit des Wirtschaftswunders wieder aufleben – eine Zeit, in der Männer noch das Sagen hatten und die Wirtschaft boomte. Doch die 60-iger Jahre, in denen sie ihren Roman um die geschäftstüchtige Lilo ansiedelt, haben so gar nichts von der guten alten Zeit, von der ewig Gestrige bis heute schwärmen. Auch wenn sich damals die meisten Deutschen im allgemeinen Vergessen bequem eingerichtet hatten. Alte Seilschaften Auch Lilo und Harry bauen an ihrer neuen Zukunft, und die Tochter Reni soll Karriere als Mannequin machen. Lilo will mit einer Bademoden-Kollektion durchstarten, für Harry hat sie einen Job bei dem erfolgreichen Versandhändler Neckermann gefunden – über alte Kanäle. Genau diese Netzwerke funktionieren noch, ja sie haben das Wirtschaftswunder beflügelt. Zwar werden in den gleichzeitig laufenden Ausschwitz-Prozessen alte Verstrickungen offenbar, aber findigen Unternehmern gelingt es, sich gegen jeden Verdacht der Täterschaft zur Wehr zu setzen. Die junge Bundesrepublik setzt auf sie und ihren Erfolg. Wiedergutmachung passt da nicht ins Konzept. Dunkle Vergangenheit Christine Koschmieder hat gründlich recherchiert. Sie erzählt von den Verstrickungen, nennt die Profiteure beim Namen. Zu ihnen gehört auch Josef Neckermann, der Mann, der es für die Deutschen möglich machte, günstig in den Urlaub…

Pikantes über Gott und Italien
Reisebücher , Rezensionen / 5. Juni 2025

Andreas Englisch lebt seit 40 Jahren in Italien, ist Vatikanexperte und hat schon viele Bücher geschrieben. Allerdings noch keines wie „Alle Wegen führen nach Rom“. „Ich wollte Geschichten erzählen, die mit Gott und dem Land Italien zu tun haben“, sagte der Autor in einem Interview. Das Buch ist eine kulturelle Schnitzeljagd, die in elf Rätseln und einem Minivan von Südtirol nach Rom führt. Die Influencerin Unerwartet lernt der Autor bei einem Auftritt die erfolgreiche Influencerin Sue kennen, mit der er sich gegen seinen Willen auf eine turbulente Pilgerreise in die Ewige Stadt begibt. Woher die Rätsel kommen, wem sie gelten und ob es dabei auch um eine Buße für persönliche Verfehlungen geht, bleibt lange Zeit offen und steigert die Spannung wie bei einem guten Krimi. Das Heilige Jahr In Gesprächen mit Sue, die sich anfangs weder für Religion noch für die italienische Kunst interessiert, klärt Englisch über unbekannte Hintergründe zu bekannten Kunstwerken und zu religiösen Gebräuchen auf. Unter anderem auch darüber, wie die Idee zum Heiligen Jahr entstand – als Geldbeschaffungsmaßnahme von Papst Bonifatius VIII. Die unterschätzten Frauen Während er zunächst mit Sues respektloser Sprache und ihren merkwürdigen Mixer-Posts fremdelt, wächst sein Respekt für die nimmermüde und neugierige Influencerin und…

Haltlos im Lebensstrudel
Rezensionen , Romane / 3. Juni 2025

Vito hat Probleme mit seinem Leben oder das Leben hat Probleme mit ihm. Die Freundin hat ihn verlassen, seine Wohnung ist kalt und trist. Mit 30 Jahren fühlt sich Vito „super einsam“, so auch der Titel dieses aufwühlenden Debüts von Anton Weil. Angst und Trauer Vitos Vater ist zwar Diplom-Psychologe, tut sich aber schwer, sich auf den Sohn einzulassen. Da fehlt die Mutter, die an Krebs gestorben ist, als Vito 17 war. Dass sie schon früher eine Affäre hatte, als er noch ein kleiner Junge war, wird ihm erst später bewusst. Schon damals hatte er Angst, sie zu verlieren. Die Trauer über ihren Tod begleitet ihn auf seinem Weg ins Erwachsenen-Dasein: „Eine Woche vor ihrem Tod stehe ich mit ihr auf dem Friedhof am Südstern. Ich soll die Stelle aussuchen. Warum hält mich keiner? Mama versucht es, Mama berührt mich, streichelt mich, aber gibt keinen Halt, kann ja selbst kaum stehen, wir kippen. Sie ist zu schwach, gar nicht mehr ganz da.“ Die Lücke im Hirn Das Verlustgefühl hat ihn seither nicht mehr verlassen. Vielleicht ist er auch deshalb so unfähig, sein Leben auf die Reihe zu bringen.  Auch als Schauspieler versagt er, vergeigt seine Termine. Nur am Tresen in…