Vertreibung aus dem Paradies
Rezensionen / 24. Juni 2021

„Die Skrupellosen“ ist der Titel des neuen Romans von Sadie Jones.  Schade, dass der Verlag nicht den Originaltitel übernommen hat, The Snakes, die Schlangen. Denn die Schlangen-Metapher zieht sich durch den ganzen Roman. Der deutsche Titel „Die Skrupellosen“ dagegen führt eher in die Irre. Die „heilige Bea“ Die Unterüberschrift für das Buch habe anfangs „Die Unmöglichkeit des Guten“ geheißen, verriet die Autorin. Und genau darum geht es auf den 458 aufwühlenden Seiten. Das Gute verkörpert Bea, Tochter eines skrupellosen Immobilienhais in London, Psychotherapeutin mit Helferinnen-Syndrom und verheiratet mit dem erfolglosen farbigen Künstler Dan. Die „heilige Bea“, so Dans Spitzname für seine Frau, ist eine moralische Instanz aber hin und wieder auch ziemlich nervig. Auszeit mit Folgen Sie hat komplett mit dem Elternhaus gebrochen – den Vater bezichtigt sie der Gier, die Mutter des Missbrauchs. Nur der gescheiterte aber liebenswerte Bruder Alex kann vor ihren Augen bestehen. Bea und Dan leben bescheiden in einer winzigen Wohnung und scheinen mit sich und der Welt zufrieden. Bis sie sich zu einer Auszeit entschließen – und bei Alex in Frankreich Station machen. Verwahrloster Garten Eden Der Drogensüchtige haust in einem heruntergekommenen Hotel, das ihm die Eltern gekauft haben. Als die dann in diesem verwahrlosten…

Spannung mit Schach
Rezensionen / 24. Juni 2021

Das Damengambit: Von der Serie zurück zum Buch. Sechs Teile waren für die Netflix-Serie geplant – sieben wurden es. Zu spannend war es, zu sehen, wie die Waise Beth Harmon auf dem Schachbrett reihenweise Männer mattsetzt. Schach als Thriller? Für passionierte Schachspieler keine Frage. Aber auch Menschen mit wenig oder keiner Schach-Erfahrung folgten gebannt dem Aufstieg der Schachspielerin Elizabeth vom Keller des Waisenhauses bis nach Las Vegas und ihrem Siegeszug in Moskau. Lesend in die Schachwelt eintauchen Wer die Serie nicht gesehen oder wenig Lust auf Streaming hat, kann sich auch lesend in die Welt des Damengambits hineinversetzen. Denn Diogenes hat die Romanvorlage des Amerikaners Walter Tevis von vor knapp 40 Jahren neu aufgelegt. Die Parallelen zwischen dem an Lungenkrebs verstorbenen Autor und seiner Protagonistin kommen nicht von ungefähr. „Ich habe mich von meinen Ängsten befreit, indem ich mich in die Sicherheit, die Schach mir bot, zurückgezogen habe“, soll Tevis beim Erscheinen seines Romans gesagt haben. Suchterfahrungen im Waisenhaus Wie Beth war er jahrelang alkoholkrank, obwohl er als Autor durchaus erfolgreich war. Mit seinen Romanen „Haie der Großstadt“ und „Die Farbe des Geldes“(beide verfilmt mit Paul Newman) hatte er sich international einen Namen gemacht. Beths Abhängigkeit von Drogen und ihren…

Buwaldas tollkühne Höllenfahrt
Rezensionen / 23. Juni 2021

Otmars Söhne – das sind Dolf, das Wunderkind, und Dolf, der Sohn seiner zweiten Frau, der alsbald in Ludwig umgetauft wird. „Otmars Söhne“ ist auch der Titel des ersten Teils einer Romantrilogie von Peter Buwalda. Ein 600 Seiten starker, wuchtiger Einstieg, an dessen Ende völlig unklar ist, wie es mit Otmars Söhnen weitergeht. Der Stiefsohn und die Wunderkinder Stiefsohn Ludwig jedenfalls hat Glück mit Otmar, der stundenlang mit ihm Flugzeuge zusammenbastelt. Die beiden anderen Kinder, Dolf und Tosca, beides musikalische Genies, haben weniger Glück. Sie werden auf Erfolg programmiert. Mit dem arroganten Dolf kann Ludwig wenig anfangen, näher fühlt er sich der aufmüpfigen Tosca, die unbewusst seinen jugendlichen Sextrieb stimuliert. Dass er später an vorzeitigem Samenerguss leidet, macht seine Beziehung zu Frauen schwierig. Verlogene Lebenskonstrukte In der eher reizlosen Juliette glaubt er, endlich eine Partnerin fürs Leben gefunden zu haben. Doch das Konstrukt dieser Ehe ist ebenso verlogen wie Ludwigs Engagement beim Energieriesen Shell. Als er auf er russischen Halbinsel Sachalin auf den skrupellosen aber charismatischen Johan Tromp, CEO von Sakhalin Energy, stößt, ist er überzeugt davon, seinen leiblichen Vater gefunden zu haben. Ein Manager unter Verdacht Von der wölfischen Macht des Managers ist Ludwig abgestoßen und fasziniert zugleich. Da…

Rafik Schami: Magier der Erzählkunst
Allgemein / 23. Juni 2021

Vor einem halben Jahrhundert hat Rafik Schami Syrien verlassen. Das Land, aus dem seit Jahren wieder Millionen fliehen. Doch   der große Erzähler, der  jetzt seinen 75. Geburtstag feiern konnte,  trägt sein Land im Herzen. Und im Namen. Bedeutet doch das Pseudonym Rafik Schami doch „Freund aus Damaskus“. Sohn eines Damaszener Bäckers Die Lust am Erzählen hat der promovierte Chemiker wohl schon als Kind in den Gassen von Damaskus aufgesogen, wo er als Sohn eines Bäckers im christlichen Viertel aufwuchs,. Und wie es die Märchenerzähler in alten Zeiten taten, so webt auch er einen großen Erzählteppich aus vielen Mustern, die er übereinander legt. Ausufernde Fabulierfreude Seine oft ausufernde Fabulierfreude macht weder vor der Bibel noch vor dem Tod halt und gibt in einer Fülle von Geschichten immer wieder tiefe Einblicke in die syrische Gesellschaft. „Das Gedächtnis ist eine Stadt mit Gassen und Friedhöfen, mit Wirtshäusern und Gefängnissen – mit allem“, hat er einmal gesagt, oder auch „Die Zeit läuft wie ein Akkordeon.“. Erzählen gegen das Vergessen Ein Hauch von „Es war einmal“ durchzieht sein Werk, liegen doch die meisten Orte, von denen er schreibt, heute in Trümmern. Die Häuser werde man wieder aufbauen, da ist sich der Deutsch-Syrer sicher. „Was mir…

Weltenbummler unter Segeln
Rezensionen / 22. Juni 2021

Die große Freiheit lockt viele Weltumsegler ebenso wie der Traum vom Segeln. „Jede Weltumseglung ist eine Liebesgeschichte“, schreibt Kristina Müller im Vorwort zu dem Buch „Freiheit auf Zeit“. Dafür hat sie mit zwölf Weltumseglern gesprochen, mit Paaren, Soloseglern und einer Familie, mit Alten und Jungen. Sparen auf das ganz große Abenteuer Es sind keine Profisegler, auch keine Superreichen, sondern Menschen, die sich ihren Traum vom Segeln viel haben kosten lassen. Manche haben sich ihre Yacht buchstäblich vom Mund abgespart, andere haben Wohnung oder Haus dafür verkauft, wollten den ganz großen Ausstieg wagen. Ein Weltumsegler hat eine ganze Zahnarztpraxis an Bord, wo er die Menschen in der Südsee behandelt, ein anderer hat ein Projekt gegen die Verschmutzung der Meere ins Lebens gerufen. Unterwegs auf unterschiedlichen Yachten So unterschiedlich wie die Menschen und ihre Motive sind auch die Yachten, die sie durch die Welt getragen haben. Manche konnten sich nur ältere Segelboote leisten und schraubten selbst an ihrem Traumschiff, andere gönnten sich eine der weltweit schönsten Yachten, der Zahnarzt im Unruhestand schwört auf seinen Katamaran, und der Einhandsegler versenkte am Ende schweren Herzens sein Boot. „Fidel zu versenken war wie einen guten Freund zu ermorden“, gesteht er. Auf für Weltumsegler ist die…

Urlaub im Pott
Rezensionen / 17. Juni 2021

Das Ruhrgebiet klingt eigentlich nicht nach Urlaub. Dass die Gegend aber sehr wohl eine Reise wert ist, beweisen Alexander und Friederike Richter in ihrem Reiseführer Ruhrgebiet. Einiges kennt man ja auch als Nicht-Ruhrpottler: Die Zeche Zollverein etwa, die gigantische Villa Hügel der Familie Krupp, Starlight Express in Bochum, den Innenhafen in Duisburg, das Gasometer in Oberhausen… Schlösser und ein tamilischer Tempel Doch wer hätte gedacht, dass das Ruhrgebiet neben der Ruhr auch jede Menge Seen hat, dass es hier neben der Villa Hügel auch Schlösser gibt? Und viel Kultur dazu? In Unna sogar eine Festa Italiana und in Uentrop den größten tamilischen Tempel Europas? Haldenhopping und Indoor-Tauchen Die beiden Autoren lieben das Ruhrgebiet in seiner ganzen Vielfalt, und diese Liebe kommt auch in ihrem Reiseführer zum Ausdruck, angefangen bei dem kurzen Exkurs ins „Ruhrdeutsch“ über das durchaus interessante Kapitel „Ruhrgebiet ‚für umsonst‘“ und die Zwei-Tage-Tour „Haldenhopping“ bis zum „größten Indoor-Tauchgewässer in Europa“, dem Tauchgasometer in Duisburg und dem Aquarius Wassermuseum in Mülheim, das über „alle Aspekte des Wassers informiert“ oder das Wasserschloss Lembeck, eines der größten im Münsterland. Partnerstadt Wuhan Und wer weiß denn schon, dass das berühmt-berüchtigte Wuhan die Partnerstadt von Duisburg ist und der Chinagarten im Zoo ein…

Brunetti: Jubiläum in Melancholie
Rezensionen / 17. Juni 2021

Es gilt mal wieder ein Jubiläum zu feiern: Donna Leons Commissario Brunetti löst seinen 30. Fall. „Flüchtiges Begehren“ ist der Titel des neuen Romans, in dem Brunetti die Leser wieder mitnimmt auf seine Streifzüge durch Venedig. Unschönes in Venedig Mehr als sonst ist der Commissario von Melancholie geplagt. Vielleicht weil er es mit zwei jungen Männern zu tun hat, die ihn an seinen Sohn erinnern. Vielleicht aber auch, weil er all der Missetaten und unschönen Entwicklungen überdrüssig ist, die ihm in seinen langen Dienstjahren begegneten und die ihm das Leben in Venedig verleiden: Massentourismus und Umweltverschmutzung, korrupte Politiker und mafiöse Strukturen. Vieles scheint auserzählt Nicht einmal die geliebte Familie kann den Commissario so recht aufheitern. Und der schönen und smarten Signorina Elettra gönnt er kaum einen Blick. Wie die Familie gehört sie zum lieb gewonnenen Personal der Romane. Vieles scheint auserzählt in dieser Folge wie die Launen des dumm-arroganten Vorgesetzten Patta oder auch die Kochkünste der intelligenten Ehefrau Paolo. Griffoni und die Frauen-Power Dass Donna Leon mit der schönen Neapolitanerin Claudia Griffoni eine neue Figur eingeführt hat, spricht allerdings gegen die Annahme, die Amerikanerin könnte ihre erfolgreiche Krimi-Serie beenden. In diesem Fall, in dem es anfangs nur um einen schrecklichen…