Venedig schwitzt, Brunetti resigniert
Rezensionen / 30. Mai 2020

Geheime Quellen können sich auf Wasserzuflüsse beziehen aber auch auf illegale Geldzuflüsse.  Womöglich auch auf beides wie in Donna Leonas neuem Roman mit dem Titel Geheime Quellen.  Es waren noch nie Hau-Drauf-Krimis, bei Donna Leon und ihrem Commissario Brunetti geht es eher um die gesellschaftlichen Hintergründe, die zu Missständen und womöglich auch zu Morden führen. Das ist bei Brunnettis 29. (!) Fall  nicht anders. Eine Todkranke und ein Versprechen Lange ist sogar unklar, ob es sich beim Tod von Vittorio Fadalto nicht doch um einen Unfall gehandelt hat und nicht um einen Mord, wie seine todkranke Frau annimmt. Ihr hat Brunetti versprochen, sich um den Fall zu kümmern. Doch das scheint nicht zu eilen. Denn lange geht es in dem Roman eher um die Hitze, die sich im überlaufenen Venedig staut, um Durst und Wassernotstand, um Umweltsünden und Brunettis Amtsmüdigkeit. Nur der Vize-Questore ist relativ unbeeindruckt von der Hitze, die seinen Mitarbeitern alle Energie aus den Knochen zu saugen scheint. Kein Wunder, Patta hat eine Klimaanlage, von der auch die kluge Signorina Elettra profitiert. Wasser ist ein wichtiges Gut Wie immer ist sie Brunetti bei seinen Recherchen eine große Hilfe, und so stößt er beinahe nebenbei auf eine Vergiftung des…

Das Häuschen im Wald
Rezensionen / 24. Mai 2020

Wild ist der Wald, in dem vier junge Straftäter/innen in einem Arbeitscamp resozialisiert werden sollen. Wild heißt auch der neue Roman von Ella Blix. Hinter dem Pseudonym verbirgt sich das Autorinnenduo Antje Wagner und Tania Witte. Antje Wagner hat sich als Mystery-Autorin schon längst einen Namen gemacht. Realismus und Mystik Mit „Der Schein“ haben die beiden ihre Zusammenarbeit erfolgreich gestartet. Motto: Realismus trifft auf Mystik, authentische Charaktere auf Spannung und Sprachspiel auf Humor. Das trifft auch auf den neuen Roman zu. Die vier Jugendlichen Flix, Ryan, Olympe und Noomi sind so unterschiedlich wie liebenswert. Bis auf Noomi, die einen ganz besonderen Grund hat, in diesem Camp aufgenommen zu werden, haben alle traumatische Kindheitserfahrungen zu verarbeiten. Ohne Wlan in der Wildnis Doch trotz ihrer schlimmen Geschichte sind sie eindeutig Kinder unserer Zeit, Internet affin und mit einem Hang zu Coolness. Und dann das: Kein Wlan im Wald, kein Handy! Olympe fühlt sich wie amputiert: Holzhacken statt websites hacken. Doch Ryan, der in der Schule gemobbt wurde, lebt im Wald und in der Gesellschaft der anderen auf. Der ältere Flix, der von seiner großen Liebe träumt, wird für ihn eine Art Beschützer. Auch Noomi fühlt sich unerwartet wohl in der natürlichen, wilden…

Wenn der Vater mit dem Sohn…
Allgemein / 21. Mai 2020

Pandatage, das  klingt nach bärenstarkem Kuscheln.  Aber James Gould-Bourn setzt eher auf Situationskomik und schräge Typen.  Eigentlich könnte es ein todtrauriges Buch sein, denn der junge Will hat vor einem Jahr seine geliebte Mutter verloren, und sein Vater hat seitdem nicht wieder Tritt gefasst im Alltag. Danny hat Schulden, sein Vermieter bedroht ihn massiv, sein Sohn Will spricht seit dem Unfall nicht mehr. Und dann verliert Danny auch noch seinen Job. Die Stripperin als Tanzlehrerin Beim Anblick der Straßenkünstler im Park kommt ihm die Idee, damit sein Geld zu verdienen. Vom letzten Geld erwirbt er ein räudiges Pandakostüm und lässt sich von seinem Freund Ivan, einem gutmütigen ukrainischen Riesen, eine illegale Straßenkünstler-Lizenz besorgen. Doch statt Münzen hagelt es Spott, denn Danny ist kein Künstler. Erst als ihn die Nachtclubtänzerin Krystal unter ihre Fittiche nimmt und ihm widerwillig ein paar Tanzschritte beibringt, bekommt er Beifall im Park. Der Panda wird zum Vertrauten Und dann sieht er, wie Will von ein paar Schul-Rowdies gemobbt wird. Im Pandakostüm geht er dazwischen und wird so zum Vertrauten seines Sohnes.  Mit dem Panda kann Will über all das reden, was er bisher allein zu verarbeiten versucht hat: Seine Trauer, sein Schuldbewusstsein, seine Einsamkeit. Der Panda…

Abenteuer Unsterblichkeit
Rezensionen / 20. Mai 2020

Qube passt in diese Zeit der Verschwörungstheorien fast so, als hätte Tom Hillenbrand beim Schreiben des Sci-Fi-Thriller geahnt, was da auf uns zukommt. Der ehemaligen Spiegel-Journalist und Krimi-Autor hat immer noch das Ohr am Puls der Zeit, und er schreibt Science Fiction, die nah an unserer Gegenwart ist. Das hat er mit seinem Bestseller „Hologrammatica“ bewiesen. Qube ist die Fortsetzung und spielt im Jahr 2091, drei Jahre nach dem ersten Buch. Ein Virus hatte die Menschheit dezimiert 40 Jahre vorher hatte ein Virus die Erdbevölkerung dezimiert, der Klimawandel hatte dafür gesorgt, dass weite Teile der Welt unbewohnbar und Sibirien zum Migrationsziel wurde. Damals hatte sich die Menschheit gewaltsam gegen eine zu mächtige Künstliche Intelligenz gewehrt. Inzwischen beherrscht die Digitalität den Alltag: Hässliches wird digital übertüncht, die Reise zu den Sternen ist mühelos, menschliche Gehirne können als „Cogits“ digital nachgebildet und in künstliche Körper, „Gefäße“ genannt, hochgeladen werden. Wechsel der Geschlechterrollen Als „Quants“ können Menschen wie die UNO-Agentin Fran so ganz leicht von männlich zu weiblich switchen, was für den Job – Fran ist auf KI-Gefahrenabwehr spezialisiert – ziemlich nützlich ist. Und es scheint so, als hätte die allmächtige KI überlebt und würde sich wieder in das Leben der Menschheit einmischen……

Zeit der Dilettanten
Rezensionen / 14. Mai 2020

Lutz Seiler schreibt in seinem mit dem Leipziger Buchpreis ausgezeichneten Roman „Stern 111“ darüber, was die Wende vor 30 Jahren ermöglicht hat. Es ist eine Zeit des Um- und Aufbruchs. Das Alte zerfällt, das Neue muss erst noch entstehen. „Auf ihre Weise trugen Inge und Walter zum Umsturz bei, der überall im Gange war. Sie erschienen nicht mehr auf ihrer Arbeit, sie verließen ihren Platz und rüsteten zur Flucht, wenn man es so nennen wollte. Seine Eltern! Sie waren die unwahrscheinlichsten Flüchtlinge, die Carl sich vorstellen konnte.“ Eine Zuflucht für den Shigulimann Carl soll in Gera die Stellung halten, auf die Wohnung und das Auto achten, „die Nachhut bilden“. Rund zwei quälende Wochen lang harrt er aus. Dann macht sich auch Carl auf die Reise – im Shiguli des Vaters. In Berlin wird der sorgsam gepflegte Wagen zur Zuflucht. Untertags erkundet er den Prenzlauer Berg, die Nächte verbringt er im Auto. Hätte ihn „das Rudel“ um den Hirten „Hoffi“ nicht gefunden, wäre er in den kalten Winternächten erfroren. So findet der „Shigulimann“ eine neue Familie, ein neues Lebensgefühl. Er wird Teil einer revolutionären Gemeinschaft, der „Aguerilla“, erprobt neue Lebensformen und erkundet die Gegend um Rykestraße, Kollwitzplatz und Oranienburger Straße. Es…

Deutsche Doppelgänger
Rezensionen / 14. Mai 2020

Hiergeblieben!  steht groß als Aufforderung auf dem Titel.  Das passt in die Zeit.  Urlaub im eigenen Land ist angesagt.  Babelsberg statt Los Angeles, Tropical Island statt Tahiti, Mainz statt Reims, Coburg statt Rio: Wer in diesem Jahr in Deutschland Urlaub macht, kann zwischen Alpen und Ostsee vieles entdecken, was Reisende sonst in fernen Ländern suchen: Hollywood-Feeling, tropische Badefreuden, mystische Chagallfenster, Samba-Rhythmen und noch viel mehr. Südstaatenflair etwa versprechen auch die Schaufelraddampfer „MS Louisiana Star“ oder „MS Mississipppi Queen“ auf der Elbe – allerdings verfügen sie über Dieselmotoren. Und die violette Blüte der Besenheide in der Lüneburger Heide ist auch nicht im Frühsommer zu erleben wie die Lavendelblüte in der Provence. Aber wer will schon so kleinlich sein? Holländisches Viertel und Hindu-Tempel Natürlich kann das holländische Viertel in Potsdam nicht die Grachten in Amsterdam ersetzen, und die farbenfrohen Hummerbuden auf Helgoland erinnern nur von außen an die Badehäuschen der Muizenberg Beach bei Kapstadt. Den Sri-Kamadchi-Ampal-Tempel haben Mitglieder der tamilischen Hindugemeinde in Hamm zwischen tristen Lagerhallen erbaut. Doch mit seinen leuchtenden Farben erinnert er an das Vorbild im südindischen Madurai. Auch die Rheinbrücke Emmerich nennt sich zwar „Golden Gate Bridge am Niederrhein“, reicht aber längst nicht an ihr Vorbild heran. Trotzdem: Am…

Der Asket im Wald
Rezensionen / 1. Mai 2020

Es könnte das Buch zur Corona-Zeit sein – Walden von Henry D. Thoreau, ein Plädoyer fürs einfache Leben.  „Ich bin in den Wald gegangen, weil mir daran lag, mit Bedacht zu leben, es nur mit den wesentlichen Tatsachen des Daseins aufzunehmen und zu sehen, ob ich nicht lernen könne, was es zu lernen gibt, damit mir in der Stunde des Todes die Entdeckung erspart bleibe, nicht gelebt zu haben.“ Thoreaus Buch Walden, das aus dieser gut einjährigen Erfahrung der Waldeinsamkeit hervorgegangen ist, katapultierte den Sohn eines Bleistiftfabrikanten „zum Hohepriester der Tranzendentalisten“, wie Susanne Ostwald im Nachwort der sorgfältig kommentierten und überarbeiteten, „klimaneutralen“ Neuauflage schreibt. Überraschend aktuelle Bezüge Tatsächlich ist vieles, was dem humanistisch gebildeten Amerikaner mit einem Faible für die indische Mythologie durch den Kopf ging und was er sogleich niederschrieb, heute aktueller denn je: Er plädiert für Nachhaltigkeit und einen einfachen Lebensstil, beklagt den Raubbau an der Natur und den Fortschrittsglauben und kritisiert die unhinterfragte Reiselust: „Es lohnt sich nicht, rund um die Welt zu reisen, nur um die Katzen in Sansibar zu zählen.“ Ostwald würde Walden der heutigen Jugend als Begleiter empfehlen, liefere es „doch gute Argumente dafür, mit leichtem Gepäck zu reisen und Neues auszuprobieren; es stemmt…

Trampen bis ans Ende der Welt
Rezensionen / 1. Mai 2020

Stefan Korn ist um die ganze Welt getrampt. 58 Länder hat er durch- und den Atlantik in einem Segelboot überquert. Als „Trainhopper“ ist er auf amerikanischen Güterzügen mitgefahren, hat im Kleinflugzeug und auf dem Cargo-Schiff getrampt. Das Buch „Warm Roads!“ – ein Grußwort unter (russischen) Trampern – erzählt von diesen Abenteuern, die in diesen Corona-Zeiten kaum mehr vorstellbar sind. „Ich spüre, wie sich Freiheit anfühlt. Die Freiheit, wenn alles vor einem liegt und die Welt keine Grenzen zu kennen scheint… Ich war frei und konnte machen, was ich wollte. Alles stand mir offen.“ Zweieinhalb Mal um die Erde Eine grellfarbene Tramper-Uniform hat Stefan Korn mit im Gepäck – und viele Pläne. Am Ende hat er zweieinhalb Mal die Erde umrundet, wobei er kaum Zeit hatte, die einzelnen Länder näher kennenzulernen. Denn dem Tramper ging es nicht um Ländersammeln, sondern ums Unterwegssein – am liebsten in Autos und Trucks, in denen er Bekanntschaften schließen konnte – mit ganzen Familien aber auch mit einsamen Wölfen, mit großzügigen Fahrern und mit irren Typen, die nur im Suff zu ertragen waren. 1156 Menschen haben ihn auf seiner langen Tour mitgenommen, mal aus Eigeninteresse, um unterhalten zu werden, mal aus Menschenfreundlichkeit, oft aus Neugier. Hitze…