Die Alpen am Abgrund

16. Mai 2025

Mit dem Autor Burkhard Spinnen und dem Kommunikationswissenschaftler Charles Wolkenstein machen sich zwei Oldies – beide sind Jahrgang 1956 – daran, Szenarien einer nahen Zukunft zu entwerfen. „Erdrutsch“ ist der Auftakt einer geplanten Reihe, in der es um politisches Versagen und persönlichen Egoismus ebenso geht wie um Klimawandel, Greenwashing und Overtourismus.

Der Vogelmann

Schauplatz sind die Alpen, denen der Klimawandel mehr zu schaffen macht als anderen Landschaften. Die Handlung beginnt an einem Steilhang hoch über dem Comer See. Hier trifft Aurelio Campana, wegen seiner bergsteigerischen Abenteuer auch der Tibeter genannt, an einer nur schlecht zugänglichen Stelle auf einen scheinbar verwirrten Mann, der mit den Vögeln redet. Aurelio nimmt sich des „Vogelmanns“ an und bringt ihn mit den Bergrettern in die Casa San Francesco, wo die Mutter Oberin ihn schon bald als Wiedergeburt des Heiligen Franziskus verehrt: „Und Aurelio dämmert, dass ihm da ein Mensch in sein Leben geflogen ist, der ab jetzt womöglich sein Schutzbefohlener sein wird.“

Die Krähenforscherin

Als kurz nach diesem Zusammentreffen der Hang in die Tiefe stürzt, ahnt Aurelio einen Zusammenhang. In kurzem Abstand gibt es weitere Erdrutsche, und vieles deutet daraufhin, dass die Vögel davor gewarnt haben. Gigantische Überschwemmungen suchen die Alpenländer heim. Kann der Vogelmann helfen, solche Katastrophen voraus zu sehen? Die Krähenforscherin Emilia Brunner vom Max-Planck-Institut in Mailand wird hinzugezogen und reist mit ihrer Krähe Rama an.

Die Umweltaktivisten

Derweil bemüht sich auch ein Startup mittels KI  und wenig tierfreundllich um die Entschlüsselung von Vogelstimmen. Die Umweltaktivisten der „Burnt Generation“ machen sich mit aggressiven Aktionen unbeliebt. Und die junge Unternehmensberaterin Carlotta Widmer, die ein Ferienhaus am Luganer See hat, hadert mit ihrem Beruf, der die Nachhaltigkeitsexpertin zum Greenwashing zwingt. Rund um die Seen zwischen Italien und der Schweiz prallen die Akteure aufeinander.

Der Tourismus

Dabei geht es auch um den geplanten Bau eines gigantischen Resorts mit dem Namen „Little Tibet“.  So kann es nicht weitergehen, ahnen nicht nur die Naturschützer und die Umweltaktivisten. Die Auswüchse des Tourismus sind für die Umwelt fast ebenso bedrohlich wie die Unwetter.

Die Lehre

Spinnen/Wolkenstein machen aus ihrer Abneigung gegen touristische Sensationen kein Hehl. Ihre Sympathie gilt den Menschen vor Ort, die für eine intakte Natur kämpfen – auch mit Hilfe des Vogelmanns und der Krähen. Dass sich zwei Krähen im Lauf des Romans finden, ist zwar ein bisschen viel des Guten, aber sei‘s drum: Erdrutsch ist gut geschrieben und kann vielleicht auch solche Menschen von der Notwendigkeit eines effektiven Umweltschutzes überzeugen, die bisher im Glauben verharren, alles könne bleiben wie gehabt.

Info  Spinnen/Wolkenstein. Erdrutsch, Kanon Verlag, 356 S., 25 Euro

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