Ein Mord aus Langeweile

10. Juni 2025

Michael Köhlmeier ist ein grandioser Autor – auch im kleinen Format. Und er ist ein grandioser Erzähler. Besser als er selbst könnte keiner Die Verdorbenen  lesen – distanziert, emotionslos, lakonisch. Dabei geht es um nicht weniger als um das Böse. Hier geschieht es scheinbar grundlos – aus purer Langeweile heraus. Der Protagonist Johann kommt als Mann ohne Eigenschaften daher, farb- und ambitionslos. Mit einem Abstand von 40 Jahren blickt der reife Johann ohne verklärende Nostalgie zurück auf sein Studenten-Ich.

Unheilvolle Dreier-Beziehung

Der junge Johann studiert Anfang der 1970iger Jahre in Marburg. Bei einem Ausflug, den er als Tutor mit organisiert, lernt er Christiane und Tommi kennen, die seit ihrer Kindheit zusammen sind. Ohne verliebt zu sein kommen Johann und Christiane als Paar zusammen. Weil Tommi nicht loslassen kann, entwickelt sich eine merkwürdige, immer unheilvollere Dreiecks-Beziehung, die alle beschädigt und Johann in die Flucht treibt.

Der Wunsch fürs Leben

Inmitten dieser von innerer Leere, Ausweg- und Lustlosigkeit gekennzeichneten Zeit erinnert sich Johann an ein Gespräch mit dem Vater: „Einmal, da war ich sechs Jahre alt gewesen und am Beginn der Schule, hatte er mich gefragt: ‚Was ist ein Wunsch für dein ganzen Leben? Überleg‘ es dir gut, morgen frage ich dich noch einmal.‘ Ich hätte es ihm gleich sagen können, aber es war etwas, das man nicht sagen, nur denken darf, so viel wusste ich bereits von der Welt. Die Antwort hätte gelautet: Einmal in meinem Leben möchte ich einen Mann töten.“

Wie nebenbei

Dieser Wunsch, das ahnt man bald, wird sich erfüllen. Bis es soweit ist, irrt Johann durch ein frustrierendes Studentenleben, das ihm wenig gibt, schon gar keinen Antrieb. Fast nebenbei bestiehlt er seine Eltern und ebenso nebenbei gelangt er nach Oostende. Als er im Schlaf am Strand überfallen wird, erschlägt er den Angreifer – auch das fast nebenbei. Danach kehrt er zurück nach Marburg, wo Christiane Tommi erschlagen hat. Johann nimmt den Mord auf sich, doch diese Ersatzhandlung scheitert am Unglauben des Ermittlers.

Ein hartes Urteil

Dessen Diagnose ist so treffend wie vernichtend: „Ich denke mir das so: Du bist verdorben auf die Welt gekommen. Ein verdorbener Mensch und dennoch unschuldig. Das gibt es. Aber es klingt interessanter, als es ist. Du bist kein Held der Liebe. Solche sind immer irgendwie schuldig. Du aber bist ein durch und durch und von allem Anfang bis in Ewigkeit Unschuldiger, und das ist fürwahr das Widerlichste, wozu es ein Mensch bringen kann.“

Studie über das Böse

„Die Verdorbenen“, gelesen von Michael Köhlmeier, ist eine unheimliche Geschichte, spannend und deprimierend – eine existenzialistische Studie über das Böse, das sich nahezu beiläufig ereignet. Man hört Köhlmeiers Stimme gerne zu, die womöglich Szenen aus dem eigenen Leben erzählt. Auch Michael Köhlmeier hat in Marburg studiert und damals wahrscheinlich auch Albert Camus gelesen.

Info. Michael Köhlmeier. Die Verdorbenen, gelesen vom Autor, der Hörverlag, 4 CD, 20,99 Euro

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