Jerusalem ist für Eric-Emmanuel Schmitt („Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“) Moloch und Mythos, Zumutung und Offenbarung: Hier hat der französische Schriftsteller das Gefühl, Christus ganz nahe zu sein, auch wenn die Stadt längst alle Grenzen sprengt. „Die ganze Welt hat sich hier verabredet“, stellt Schmitt in seinem Buch „Jerusalem – Meine Begegnung mit dem Heiligen Land“ fest. Ungewöhnlich wie dieser meditativ-philosophische Reisebericht ist auch seine Entstehungsgeschichte. Die Bitte des Papstes Denn Papst Franziskus selbst hat Eric-Emmanuel Schmitt gebeten, zum Heiligen Jahr, das derzeit in Rom gefeiert wird, das Heilige Land, Israel, zu bereisen. Zusammen mit einer Gruppe aus Réunion macht sich der Autor auf die Erkundung der heiligen Stätten. Seit einer Art Erweckung im Ahaggar-Gebirge sieht sich Eric-Emmanuel Schmitt als Gläubiger. Deshalb ist es für ihn eine ganz besondere Erfahrung, die Orte zu besuchen, an denen Jesus gelebt und gewirkt hat. Auch den Ort, an dem er gelitten hat und gestorben ist: Jerusalem. Nazareth heute Doch die ersten Eindrücke sind enttäuschend: „Die einzige Wiege des Außergewöhnlichen ist das Gewöhnliche“ notiert Schmitt nach der Erfahrung im heutigen Nazareth – „mit den Benzinschwaden und den fettigen Ausdünstungen der Fast-Food-Restaurants, dem Geknatter der Mofas und de Gehupe der Busse, dem Gedudel…
Kleine Dinge können Großes schaffen. Das gilt auch für die kleinen Dinge, die Benoît Coquil in den Mittelpunkt seines gleichnamigen Debüts stellt: Magic Mushrooms, Psilocybe, „schön aufrecht auf der Erde, kaum größer als ein Däumling“. Auf höchst unterhaltsame Art und mit wechselnden Perspektiven erzählt der französische Autor davon, wie die magischen Pilze aus der mexikanischen Hochebene zu den amerikanischen Hippies und in die Labore der Wissenschaft gelangt sind. Die Etholmykologen Einen großen Anteil daran haben der Bankier Gordon Wasson und seine aus Russland stammende Frau Valentina, die ihren Mann mit ihrer Leidenschaft für Pilze ansteckt. Gemeinsam durchstöbern sie Bibliotheken nach der Geschichte der Pilze und werden“Ethomykologen“, Pilzforscher. Und auf der Suche nach immer mehr Wissen über die geheimen Kräfte der Pilze reisen die Wassons in die mexikanische Hochebene zu Maria Sabina, der Hohepriesterin der Magic Mushrooms: Die Schamanin „Es heißt, sie habe sie, schon bevor sie zehn gewesen sei, zum ersten Mal probiert. Es heißt, sie könne zu ihm sprechen, zu Gott, und auch zu den Heiligen, zu Maria und selbst zum verstorbenen Präsidenten der Republik, Benito Juárez. Es heißt, sie heile durch die Sprache, durch die Hohe Sprache der Pilze. Sie nenne sie im Übrigen niemals so, Pilze. Weil…
Hier Draussen, das klingt nach Freiheit, frischer Luft. Wer in einer hektischen Großstadt lebt und noch dazu möglicherweise in beengten Verhältnissen, träumt gern vom Leben auf dem Land. Von viel Platz und viel Natur, von Kühen auf der Weide, frei laufenden Hühnern, kurz von einer Idylle. Doch was ist dran an solchen Träumen? Martina Behm, Journalistin und Strickdesignerin, kennt wohl beide Seiten, die städtische und die ländliche. In ihrem Debüt „Hier Draussen“ erzählt sie mit warmherzigem Verständnis vom dörflichen Leben jenseits der Idylle. Schattenseiten Lara und Ingo sind mit ihren Kindern raus aufs Land gezogen – auf den Reuserhof, einen „Resthof“ im fiktiven Dorf Fehrdorf. Doch die scheinbare Idylle zeigt schnell ihre Schattenseiten. Nichts da von den erträumten Selbstversorgerhöfen mit ein paar Schweinen, Kühen und Hühnern. Statt dessen industrielle Schweinemast und „Bodenhaltung“ von Hühnerhunderten. Und Ingo muss auch noch täglich zu seinem hippen Start-Up nach Hamburg pendeln. Die Sage Als er dann auf dem abendlichen Heimweg eine weiße Hirschkuh anfährt, erschüttert das die ganze Dorfgemeinschaft. Wenn so ein Tier getötet wird, geht die Sage, stirbt ein Mensch im Dorf binnen eines Jahres. Auch deshalb hat der jagende Nachbar die Hirschkuh zusammen mit Ingo getötet. Er wollte nicht allein verantwortlich sein….
Ewald Arenz ist Lehrer an einem Nürnberger Gymnasium, bekannt geworden ist er vor allem als Romanautor. Seine „Gebrauchsanweisung für Franken“ ist ein launig-liebenswertes Porträt des Frankenlandes, in dem er aufgewachsen ist und in dem er heute noch lebt. „Ganz unbemerkt“ schreibt Arenz, habe er Franken „lieb gewonnen“. Historisches Erbe Von einem Autor wie ihm darf man mehr erwarten als eine platte Beschreibung. Und Ewald Arenz erfüllt die Ansprüche; seine Gebrauchsanweisung bleibt nicht an den touristischen Highlights hängen, stellt nicht nur Frankens Schönheiten aus wie ein Instagram-Post. Arenz beschäftigt sich mit dem historischen Erbe, wobei immer wieder die Hohenzollern ins Spiel kommen. Er lässt auch nicht die neuere Geschichte aus, in der Franken keine rühmliche Rolle gespielt hat. „In vielen fränkischen Orten liegen eine Menge historische Schichten aufeinander, und hell sind sie nicht alle“, schreibt er. „Das gehört dazu.“ Ehrenrettung für Fürth Doch trotz so mancher Schattenseiten, trotz des fränkischen Minderwertigkeitsgefühls gegenüber Oberbayern ist Franken für den Autor ein Schatzkästlein. Vor allem das unterschätzte Fürth, in dessen Nähe er lebt, hat „großartige Ensembles, die es so in ganz Süddeutschland nicht noch einmal gibt“. Aus Fürth kamen Henry Kissinger und Max Grundig, Gustav Schickedanz und Ludwig Erhard. Fürth, davon ist Arenz überzeugt,…
Auch wenn die Temperaturen so waren wie in anderen Sommern auch war dieser Sommer doch nicht wie andere. Denn Oliver Hilmes erzählt in dem Buch „Ein Ende und ein Anfang“ davon, „wie der Sommer 45 die Welt veränderte“. Und er tut das, indem er den Alltag der Menschen neben die politischen Entscheidungen stellt, die unsere Welt veränderten. Indem er Politiker, Prominente und ganz normale Personen nebeneinander stellt. Da wird nichts gewichtet. Schließlich passieren die Dinge ja auch gleichzeitig. Es wird viel zitiert in diesem so spannenden wie vielstimmigen Zeit-Porträt. Dafür hat der Autor viel gelesen, wie die Anmerkungen im Anhang und die vielseitige Bibliographie beweisen. Der reizende Herr Hitler Er war ja nicht dabei, als Swetlana und Josef Stalin nach dem Sieg über Hitler-Deutschland telefonierten. Auch nicht, als Hermann Göring, „der letzte Renaissance-Mensch“, in Augsburg vernommen wurde und der US-Soldat Klaus Mann ihn fragte, ob Hitler tot sei. Er hat nicht gehört, wie Winifred Wagner über ihren Freund Hitler sagte „Er war reizend.“ Oder wie Heinrich Himmler sich in Lüneburg stellte. Und doch liest sich das alles wie ein Augen- und Ohrenzeugenbericht. Das ist Oliver Hilmes‘ große Kunst. Die Zeitenwende Er hetzt die Lesenden von Berlin nach Tokio, von München…
Warum fühlen sie sich nicht als Europäer? Auf der Suche nach Erklärungen für das Verhalten seiner Schülerinnen und Schüler geht Jan Kammann, Lehrer an einer Europaschule, auf eine Reise in deren Heimatländer – nach Griechenland, Nordmazedonien, Serbien, in die Türkei, nach Ungarn, in die Ukraine und – ja auch das – nach Nordirland. Heterogener Kontinent Auch er muss lernen, wie heterogen dieser Kontinent ist, was die einzelnen Nationalitäten voneinander trennt, wie lange Kriege und Konflikte nachhallen – nicht nur im Balkan, auch in Nordirland. Der unkonventionelle Lehrer, der am liebsten in Hostels absteigt und keiner Plauderei aus dem Weg geht, erlebt viel herzliche Gastfreundschaft, stößt aber auch immer wieder an seine Grenzen. Wichtige Hintergründe Nach dem Erfolg seines Bestsellers „Ein deutsches Klassenzimmer“ lässt sich Jan Kammann auch in diesem Buch gern auf neue Erfahrungen ein, er entdeckt dabei nicht nur kulinarische Besonderheiten, sondern auch spannende Hintergründe – etwa zum russischen Überfall auf die Ukraine. Hier wird ihm klar, dass für die Menschen damals ihr bisheriges Leben endete und „es nie wieder so sein wird wie es war“. Zusammen und doch allein Das gilt auch für seine Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine: „In den ersten Tagen in der Schule tauschten…
„Als Wolfgang Mühlberger am Telefon vom Tod seiner einzigen Tochter Nathalie hört, bricht er zusammen. Nachdem seine Frau an Krebs gestorben ist, hatte Mühlberger den Kontakt zu seinem Kind verloren. Sie war dem ängstlichen und trauernden Vater zu viel geworden, mit ihrem Leid, den Schmerzen des Erwachsenwerdens. Nathalies Tod in der Psychiatrie ist rätselhaft. Ist sie an gebrochenem Herzen gestorben? Wer ist Schuld an Nathalies Tod? Im Laufe seiner Recherche trifft Mühlberger auf einen alten Bekannten, mit dem er einen schicksalhaften Streit hatte, in den achtziger Jahren, an der Humboldt-Universität, den damaligen Fachbereichsbeau Zorniger…“ Die Inhaltsangabe klingt so, als könnte Eva Förster mit der Erzählung „Zorniger“ die literarische Aufarbeitung komplizierter Gefühlswelten gelungen sein. Überzogene Vergleiche Das Erzählgerüst stimmt ja auch und könnte Grundlage für einen interessanten Film sein. Selbst das absurde Ende würde passen. Auch der Rückblick auf die schicksalhaften Entscheidungen in der DDR. Aber leider mangelt es der Theaterwissenschaftlerin Eva Förster am stilistischen Handwerk – und dem Verlag an einem guten Lektorat. Die Dialoge sind simpel, hin und wieder auch verquast. Die Vergleiche wirken oft überzogen: „Sein Gehirn war wie diese Maschine vom Tele-Lotto in der DDR, wenn die Kugel, die später Zahlenscheiben umlegte, aus dem vulkanförmigen Kegel stieg…
Kann ein gebrauchter Mantel Visionen hervorrufen? Sarah Wynne macht in ihrem Jugendroman „Tod im Samtmantel“ eben diesen Mantel zum Zeugen einer bösen Tat, die 40 Jahre später Aufklärung verlangt – von zwei cleveren Mädchen. Der Mantel aus dem Second-Hand-Shop Die stille Grace und die schrille Suzy sind beste Freundinnen. Sie können sich aufeinander verlassen – nicht nur in der Schule. Doch dann wird ihre Freundschaft auf eine harte Probe gestellt, ihr Leben ist bedroht. Und das alles wegen des grünen Samtmantels, den Grace in einem Second-Hand-Shop erworben hat. Eine andere Zeit Der Mantel passt wie angegossen, aber kaum hat sie ihn an, fällt sie aus der Zeit. Was sie sieht, ist vor 40 Jahren passiert. Das Mädchen, um das es geht, war damals etwa so alt wie Grace. Und wenn sie die Szenen, deren Zeugin sie wird, richtig interpretiert, wurde diese Olivia, Liv genannt, ermordet. Grace fühlt sich zuerst hilflos. Was kann sie schon machen so lange Zeit nach dem Mord? Doch der Mantel lässt ihr keine Ruhe. Nur gut, dass Suzy ihre beste Freundin bei diesem Abenteuer nicht allein lässt: „Suzy atmete zitternd aus: „Wir steigen also wirklich in den Fall ein?“ Grace nickte. „Mir kommt‘s auch total verrückt…
Nicola Förg gönnt ihrer pensionierten Ermittlerin Irmi Mangold keinen Ruhestand. Im neuen Irmi-Mangold-Krimi mit dem bezeichnenden Titel „Verdammte Weiber“ will die rastlose Ex-Kommissarin nicht an den Unfalltod einer Frau glauben, mit der sie gerade erst Freundschaft geschlossen hat – ausgerechnet bei einem Skikurs. Die Geburt der Gruppe 47 Die ehemalige freie Journalistin Cordula, genannt Coci, ist im Eis des Grüntensees eingebrochen. Jede Hilfe kam zu spät. Hatte jemand Interesse an ihrem Tod? Mit ihrer impulsiven Art hat sich Coci einige Leute zu Feinden gemacht, womöglich auch mit ihren Recherchen zum Leben und Sterben der Ilse Schneider-Lengyel. Die in Vergessenheit geratene Schriftstellerin hatte 1947 in ihrem Haus am Bannwaldsee ein Literaten-Treffen organisiert, bei dem sich die Gruppe 47 gründete. Die ungewöhnliche Gastgeberin ging als „Hex‘ vom Bannwaldsee“ in die örtlichen Annalen ein; angeblich starb sie verarmt im psychiatrischen Krankenhaus. Hatte Coci mehr über diesen rätselhaften Tod herausgefunden? Vernachlässigte Künstlerinnen Irmis Neugier ist geweckt. Und weil die Beziehung zum Ex-Kollegen Hase buchstäblich auf Eis liegt, nimmt sie sich eine Recherche-Auszeit. Zusammen mit einem schottischen Literaturstudenten macht sie sich auf Spurensuche, was Nicola Förg reichlich Gelegenheit gibt, über die Ungerechtigkeit der Kunstwelt gegenüber Frauen zu schreiben. Die Schriftsteller der Gruppe 47 haben ihre…
Ich mag Joel Dicker, ich mag auch seine komplex aufgebauten, nicht immer logischen aber stets spannenden Romane. Deshalb hatte ich mich auch auf das neue Buch „Ein ungezähmtes Tier“ gefreut. Doch diesmal hat mich der Autor enttäuscht. Der Roman wirkt wie mit heißer Nadel gestrickt. Womöglich liegen die stilistischen Brüche an der Übersetzung. Aber auch den handelnden Personen fehlt die Tiefe, sie bleiben schemenhaft. Figuren, deren Existenz nur dazu dient, dem Autor dabei helfen, die Lesenden in die Irre zu führen. Verwirrende Zeitsprünge Das ist schließlich seine Spezialität. Mit großer Lust arbeitet er in seinen Romanen an einem Labyrinth, aus dem er erst am Ende den Ausweg zeigt. Auch in diesem Roman ist nichts wie es scheint. Was schwarz war, wird weiß und umgekehrt. Grautöne gibt es kaum. In verwirrenden Zeitsprüngen nähert Dicker sich einer Aufklärung, die aufmerksame Leserinnen schon im deutschen Titel finden könnten. Ein Raubüberfall als Leitmotiv Doch der Weg dahin ist noch weit. Auf über 400 Seiten hat der französische Autor reichlich Gelegenheit, falsche Fährten zu legen. Worum es geht? Vordergründig um einen spektakulären Raubüberfall in Genf mit zwei Beteiligten, der im Buch zum Leitmotiv wird. Vor allem aber geht es um zwei Paare, die zufällig über…