Am Anfang war eine Vision, die Idee das „Gebirge Alpen in dem ich seit meiner Kindheit unterwegs bin, einmal in seiner ganzen Länge zu erkunden“. Und die Alpenüberquerung zu Fuß von Wien nach Nizza beginnt direkt vor der Haustür. Der Bergführer Hans Thurner und seine Freundin Anita sind gut vorbereitet – aber nicht auf alles, was ihnen in 101 Tagen Wanderschaft, auf knapp 2000 Kilometern Wegstrecke und immerhin 90 000 Höhenmetern passiert. Da wäre zuallererst das Wetter, mal nasskalt, dann wieder tropisch heiß und immer wieder mit Blitz und Donner. „Ganz im Hier und Jetzt wollen wir sein,“ schreibt Thurner noch am Anfang der Wanderung – und ahnt nicht, dass diese Tour auch für die Partnerschaft zu einer Prüfung werden wird. Nicht nur wegen des engen Zelts und der Wetterunwägbarkeiten, auch weil die Alpenüberquerung doch anstrengender wird als geplant. Zwar war sie nicht als sportliche Herausforderung gedacht, aber eine Herausforderung ist das Besteigen der Berge bei Wind und Wetter allemal, und die versehrte Landschaft vor allem in den Dolomiten deprimiert den Bergliebhaber. Eine Reise der Extreme Doch die schönen Erlebnisse entschädigen das Paar für alle Unbill: Die freundlichen Menschen, die dramatischen Aussichten vor dem nächsten Gewitter, die spektakulären Sonnenaufgänge, die Tiere und Pflanzen….
Ein bisschen viel Klamauk hat J. Paul Henderson schon hineingepackt in seinen Roadmovie- und Alzheimer-Roman „Letzter Bus nach Coffeeville“. Warum muss der kleine Eric unbedingt einen Fahrradhelm zur Tarnung tragen, obwohl er inzwischen schwarz gefärbte Haare hat? Warum muss der arme Jack wegen seiner Haarpracht fast psychotisch sein? Und die Schokoladen-Besessenheit der Schönheitstänzerin Susan ist auch eher grenzwertig. Dabei wäre die Idee hinter dem Buch auch ohne solche Albernheiten gut genug für eine unterhaltsame Lektüre: Drei Freunde, die sich im Lauf des Lebens aus den Augen verloren haben, finden wieder zusammen, um in einem ausrangierten Tourbus der Beatles quer durch die USA bis in das Kaff Coffeeville zu fahren. Fünf ungleiche Weggefährten Hier will Nancy, die Frau im Trio, ihr Leben beenden, das ihr durch die Alzheimer Krankheit immer mehr entgleitet. Helfen soll ihr dabei ihr ehemaliger Studienfreund Doc, der Arzt, der nach dem Unfalltod von Frau und Tochter (die von einem Riesendonut erschlagen wurden!) zum misanthropischen Einzelgänger mutiert ist. Als er und Nancy noch ein Paar waren, hatte er ihr versprochen, im Notfall für sie da zu sein. Jetzt fordert Nancy dieses Versprechen ein. Und Doc wendet sich um Beistand an seinen schwarzen Freund Bob, mit dem Nancy und er in grauer…
Ein 15-jähriger Judenjunge, die Frucht eines mütterlichen Fehltritts, wird von seinem „Vater“, einem Rabbiner im Prag der 1940iger Jahre streng erzogen. Trotzdem oder eher gerade deswegen verfällt Mosche Goldenhirsch der Magie des Zirkus. Er verliebt sich in die Assistentin des Zauberers und wird später selbst zum Magier in der Manege. Über 70 Jahre später sucht in Amerika ein anderer Junge nach diesem Magier, der als der „große Zabbatini“ Erfolge feierte. Der zehnjährige Max Kohn glaubt, nur Magie könne die kaputte Ehe seiner Eltern retten. Und wer wäre besser dafür geeignet als der Mann, der sich der „große Zabbatini“ nannte? Emanuel Bergmans Roman „Der Trick“ hat zwei Erzählstränge auf zwei Zeitebenen, die der Autor nach einem guten Drittel des Buches verknüpft. Spätestens dann wissen auch die Leser, dass der „große Zabbatini“ sich in einen klapperigen Greis verwandelt hat, der noch dazu nicht allzu sympathisch ist. Ein aufdringlicher Kerl, der Kinder hasst und Frauen als Freiwild betrachtet. Magische Lesemomente Trotzdem: Max glaubt an ihn, muss an ihn glauben: „Er war der Gläubige, der all seine Hoffnungen in eine zerkratzte Schallplatte und einen seltsam riechenden, mürrischen alten Mann gesetzt hatte… Auch Max hatte Angst vor dem Erwachen, dem endgültigen Ende seiner Kindheit. Er wollte noch eine…
Es fängt schon damit an, dass er am Anfang etwas klarstellt und damit erst recht neugierig macht: „Manches von dem Folgenden ist wirklich geschehen,“ schreibt der Österreicher Norbert Gstrein („Das Handwerk des Tötens“, „Eine Ahnung vom Anfang“) noch bevor sein Roman „In der freien Welt“ über den Nahost-Konflikt anfängt: „Aber ich bin nicht ich, er ist nicht er, sie ist nicht sie, die alte Geschichte.“ Stimmt das, will man sofort wissen und vergleicht die Lebensdaten des Autors mit seinem fiktiven Ich-Erzähler Hugo, einem österreichischen Autor. Da gibt es viele Parallelen, aber die sind wohl weniger wichtig für das Verständnis dieses ambitionierten Romans als Hugos Freund John, der jüdische Schriftsteller, der sich selbst als „Muskeljude“ bezeichnet und der in San Francisco erschossen wird. Hugo macht sich auf eine globale Spurensuche und nimmt die Leser mit auf die Reise – von San Francisco und New York nach Alaska und Tel Aviv, nach Jerusalem und ins Westjordanland, ins KZ Mauthausen und ins Salzkammergut. Er will die Wahrheit über den Tod des Freundes wissen und kommt ihm doch nicht wirklich näher. Im Gegenteil. Rätselhafte Zwillings-Metaphern Wie Hugo zwischen den Fronten des Nahost-Konflikts mäandert, scheint sein Bild von John zwischen hell und dunkel zu schwanken….
Kaffee ist für uns ein selbstverständliches Genussmittel. Das war nicht immer so, erst im 17. Jahrhundert wurde das Getränk, damals Kahve genannt, auch in Europa bekannt. Das Monopol auf das begehrte Getränk hatten allerdings die Osmanen. Dieser geschichtliche Hintergrund inspirierte den Autor Tom Hillenbrand, der mit seinen Krimis um den Luxemburger Koch Xavier Kiefer immer schon gerne ein Stück Lebensmittelgeschichte schrieb. Nun also taucht Hillenbrand mit dem „Kaffeedieb“ tief ein in die Geschichte der Ostindien Compagnie, die ihr Handels-Großreich ohne viel Skrupel über die damals bekannte Welt ausdehnt. Auch der Engländer Obediah Chalon, der mit Börsenspekulationen eine spektakuläre Pleite hingelegt hat, gerät in die Fänge der Compagnie. Nicht ganz freiwillig verpflichtet er sich, den Osmanen die wertvollen Kaffeestauden zu stehlen. Das ganze Personal traditioneller Schelmen- und Abenteuerromane Damit beginnt ein Abenteuer, das so ungleiche Partner wie einen bärbeißigen Seemann, eine Hochstaplerin, einen jungen Hugenotten und einen italienischen Feingeist zusammenführt. Hinzu kommen noch ein mit allen Wassern gewaschener Bastard des Sonnenkönigs, eine junge in den Wissenschaften auffällig bewanderte Jüdin – und natürlich Obediah selbst, der sich bei der Planung des Diebstahls auf seine internationalen Beziehungen ebenso stützt wie auf eine intelligente Verschlüsselung der Briefe, die den Inhalt vor den Spähern des…
Ein altes serbisches Ehepaar wird im Kosovo ermordet. Von nationalistischen Albanern, die die Rückkehr der Serben mit Misstrauen betrachten? Weil ihr Onkel liebevolle Erinnerungen an die Frau hat, macht sich Milena Lukin auf die Suche nach dem Mörder – und bringt sich dabei selbst in Lebensgefahr. Doch obwohl sie in dem albanischen Dorf die Feindschaft der Bewohner zu spüren bekommt, erhärtet sich ihr Verdacht, dass hinter dem Mord andere Interessen stecken. Sie sieht das Haus der alten Leute, eine Bruchbude ohne Strom und Wasser. Sie hört von EU-Geldern, die für die Rückführung der vertriebenen Serben fließen und fragt sich wohin. Sohn und Tochter der Ermordeten können ihr nicht weiter helfen, aber der Zufall bringt sie auf die richtige Spur. Nach Kornblumenblau hat das Duo Christian Schönemann und Jelena Volic mit Pfingstrosenrot wieder einen spannenden Krimi vorgelegt, der nicht nur den ungelösten Konflikt zwischen Serben und Albanern im Kosovo thematisiert, sondern auch die Probleme aufzeigt, mit denen die europäische Politik konfrontiert ist. Milena beklagt das Verschwinden einer ganzen Kultur, die Engstirnigkeit der Nationalisten und die ungebremste Vetternwirtschaft: „Über Jahrhunderte waren die Kulturen zusammengewachsen, hatten sich ergänzt und bereichert, und jetzt wurde von Politikern und Nationalisten penibel nach den Unterschieden gesucht. Diese…
Owen Sheers gilt als „Universalgenie der britischen Gegenwartsliteratur“. Der 1974 in Fidji geborene Autor hat Gedichte geschrieben, Romane, Dramen. Auch ein Sachbuch und ein Libretto hat er verfasst. Mit „I saw a man“ hat sich Sheers nach eigener Aussage „erstmals einem Gesellschaftsroman über unsere Zeit zugewendet“. Der Roman startet furios wie ein Psychothriller. Ein Mann betritt das Haus der befreundeten Nachbarn durch die Hintertür. Klingt nicht aufregend, lässt aber durch den ersten Satz („Der Vorfall, der ihrer aller Leben veränderte“) ahnen, dass dieser ungebetene Besuch Folgen haben wird. Auf die Aufklärung, warum das so ist, lässt Sheers die Leser über 160 Seiten lang warten. Denn, was er zeigen will, ist weit mehr. Es geht darum, wie alles miteinander zusammenhängt. Um den berühmten Reissack, der in Indien umfällt, oder den Schlag des Schmetterlings in Südamerika, die beide weltweit Folgen haben. Sheers bricht diese Erkenntnis auf das Privatleben seiner Protagonisten herunter. Michael, ein Autor, der sich immer wieder erfolgreich in das Leben anderer einschleicht und daraus seinen Roman-Honig saugt, hat seine Frau Caroline, eine ehrgeizige Journalistin, die „embedded“ auf Recherche in Pakistan war, bei einem amerikanischen Drohnen-Angriff auf einen Terror-Chef verloren. In London hat er sich mit seinen Nachbarn Josh und Samantha…
„Ich mein‘, wenn man sein ganzes Leben in die falsche Richtung läuft, kann’s trotzdem das Richtige sein?“ In seinem Roman „Vom Ende der Einsamkeit“ gibt Benedict Wells keine einfache Antwort auf diese Frage. Er skizziert verschiedene Lebensentwürfe, die allesamt auf schlimmen Kindheitserinnerungen basieren. Und er zeigt, wie die jahrelang verdrängten Traumata unerwartet in den Alltag einbrechen und die dünne Schutzwand zerreißen können – seelischer Sprengstoff. „Eine schwierige Kindheit ist wie ein unsichtbarer Feind“, heißt es in dem Buch. „Man weiß nie, wann er zuschlagen wird.“ Von diesem Feind und seiner Überwindung handelt Benedict Wells‘ ebenso trauriger wie tröstlicher Roman. Sie wachsen behütet zwischen Deutschland und Frankreich auf und sind doch so unterschiedlich: Jules, der lustige Kerl, überall beliebt. Marty, der grüblerische Einsiedler und Liz, die Träumerin. Und dann kommen die Eltern bei einem Unfall ums Leben, die Geschwister werden auseinander gerissen und alles ist plötzlich ganz anders. Ausgerechnet Jules wird zum Underdog, während Marty sein Nerd-Sein mit Gleichgesinnten pflegt und Liz ihre Lebensgier mit Drogen und Sex auslebt. Wäre da nicht Alva, das stille rothaarige Mädchen mit der Brille, Jules wäre verloren. Daran erinnert sich der mittlerweile längst erwachsene Jules, inzwischen selbst Vater von Zwillingen, als er nach einem Motorradunfall…
Friedrich Wilhelm I. regierte sparsam so wie er lebte. Und doch gab der Pfennigfuchser das Geld mit vollen Händen aus – fürs Militär, am liebsten für die „Langen Kerls“, die er sammelte wie andere Menschen vielleicht Zinnsoldaten. Mindestens 1,88 Meter groß sollten seine Riesen sein. Im damaligen Europa eher eine Seltenheit. Deshalb ließ der König jeden jungen Mann entführen, der auch nur annähernd dem Gardemaß entsprach. Dass er damit Familien auseinanderriss, Lebenspläne zerstörte, Menschen versklavte, kümmerte den Despoten nicht. Thomas Meyer hat mit „Rechnung über meine Dukaten“ eine Geschichte hinter der Geschichte geschrieben, urkomisch und weise. Auch Gerlach, ein Bauernsohn aus Sachsen, entspricht dem Gardemaß und wird entführt. Doch Gerlach will sich nicht mit seinem Schicksal abfinden und plant gemeinsam mit dem Norweger Hendrikson seine Flucht. Der König allerdings hat ihn für Größeres vorgesehen: Unter seinem Kommando soll eine „Gigantenrasse“ entstehen – mit Gerlach als Urvater und der großgewachsenen Bäckerstochter Betje als Urmutter. Gerlach und Betje mögen einander, sahen aber bislang keine Möglichkeit zusammenzukommen. Nun hat sie eine Grille des Königs vereint. Wie schon in seinem letzten Roman „Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme eine Schickse“ zeigt Meyer auch hier eine schier unbändige Fabulierfreude, wobei er sich genüssliche einer altväterlichen…
Bayerische Paradiese: Ein Bildband zeigt Seen, Flüsse und Berge aus der Luft „Die Bilder holen den Himmel auf die Erde“, schreibt Tom Werneck im Vorwort zum Bildband „Bayerische Paradiese“, der grandiosen Luftaufnahmen von Jörg Bodenbender versammelt. Es sind vor allem die bayerischen Berge und Seen, die es dem Fotografen angetan haben. Sie porträtiert er in ihrer ganzen Schönheit: Die Seen wie blaue und grüne Augen in der Landschaft, die Berge Nebel umhangen, Schnee bestäubt, die Täler mit ihren Spielzeughäusern, den Menschlein und den geometrischen Feldern in gelb, grün und ocker. Bodenbender lädt den Betrachter ein, vom Himmel herab auf die Erde zu schauen – mit Adleraugen. Denn die Fotos sind gestochen scharf bis ins letzte Detail, besonders schön zu sehen bei den Booten auf dem funkelnden Wörthsee, der Pferdewallfahrt zum Kirchlein St. Coloman oder der Kampenwand im winterlichen Morgenlicht. Es sind Bilder, die nicht nur Bergfreunden das Herz aufgehen lassen. Bilder auch, die Bescheidenheit lehren, weil sie den Menschen nicht in den Mittelpunkt stellen, sondern ihm angesichts der überwältigenden Natur seine Bedeutungslosigkeit vor Augen führen. Ohne technische Hilfsmittel hätte auch der Fotograf diese Aufnahmen nicht machen können. Doch die schwierigen Umstände, allein mit einem Doppelsitzer und seiner Kamera auf Motivsuche…