Entzauberter Heldenmythos
Rezensionen / 17. September 2020

Natürlich kennt auch Charles Lewinsky die ruhmreichen Eidgenossen aus Schillers „Wilhelm Tell“. Doch der Schweizer Autor will nichts vom Heldenmythos wissen. In seinem Roman „Der Halbbart“ lässt er einen elfjährigen Knaben vom Kampf der Eidgenossen gegen die Habsburger erzählen – aus dem Blickwinkel der kleinen Leute. Geschichte und Geschichten Die Welt des jungen Sebi, der mit den ungleichen Brüdern Poli und Geni aufwächst, ist geprägt von Tod und Teufel – und von der Macht des Klosters Einsiedeln. Anfang des 14. Jahrhunderts stritten die Schwyzer im „Marchenstreit“ mit dem unter dem Schutz der Habsburger stehen Kloster über die Nutzung von Wald- und Weideflächen. Am Dreikönigstag unternahmen sie einen folgenschweren Überfall, der später zur Schlacht am Morgarten führte. Auch die ein Mythos in der Schweizer Geschichte. Doch Charles Lewinsky geht nicht der bekannten Geschichte auf den Leim, ihm geht es ums Geschichtenerzählen. Himmel und Hölle Und das kann der Sebi, der sonst zu wenig taugt. Ist er doch beim Teufels-Anneli, der wandernden Märchentante, in die Lehre gegangen, nachdem er aus dem Kloster geflohen war. Denn eine Kindsleiche beseitigen, wie der Abt es ihm befohlen hat, das wollte der Sebi denn doch nicht. Lieber gräbt er dem kleinen Leichnam im Wald ein Grab,…