Verzweifelter Mut
Rezensionen / 18. November 2018

Fabio Geda hat viele Jahre mit Jugendlichen gearbeitet.  Das kommt ihm als Autor zugute.  Auch den Roman „Vielleicht wird morgen alles besser“ hat er auch der Sicht eines Jugendlichen geschrieben: Ercole hat keine guten Erfahrungen mit Erwachsenen. Seine Mutter hat seinen Vater verlassen, als er noch klein war. Und sein Vater ist überfordert – vom Leben und von seiner Aufgabe als Erzieher. Nur Ercoles große Schwester Asia gibt dem Jungen noch Halt. Sie übernimmt die Rolle der Mutter, mit ihr fühlt sich Ercole auch vor den Monstern hinter der Wand sicher. Ein mutiger Kerl Und dann lernt der Vierzehnjährige Viola kennen, das Mädchen aus gutem Haus, das Ercole auf Wolken schweben lässt und seinen Kopf „von Nordlicht erfüllt“. Die beiden kommen zusammen. Denn für Viola ist der Junge aus der Gosse etwas Besonderes, ein mutiger Kerl, der sich ihrer Liebe würdig erweist. Auch wenn er mit seiner hirnlosen Eifersucht alles kaputt macht, mutig ist Ercole wirklich. Zumindest dann, als es darauf ankommt. Verantwortung für den kleinen Bruder Als der Junge nach seiner verzweifelten Suche doch noch auf seine Mutter stößt und dabei auch seinen sechsjährigen Bruder Luca kennen lernt, übernimmt er schnell die Verantwortung für den Kleinen. Aus eigener Erfahrung…

Lust aufs Land
Rezensionen / 22. Februar 2018

„Vera ließ sich von seiner vernarbten Fassade und dem drangierten Reedach nicht täuschen: Das Haus moche angeschlagen sein, aber es würde hier noch stehen, wenn sie schln längst ihren Abgang durch die Brauttür gemacht hatte, Füße voran.“ Die Sehnsucht nach der heilen Welt Das alte Haus steht im Mittelpunkt von Dörte Hansens Roman „Altes Land“, der sich überraschend monatelange auf den Bestsellerlisten behauptete.  Der erste Hype ist schon wieder abgeebbt, aber Landleben zieht noch immer. Die Sehnsucht nach einer „heilen Welt“, zurück zu den Wurzeln, pflanzen und ernten. Dörte Hansens hat sich diesen Hype zunutze gemacht und ihn gleichzeitig karikiert. Ihr Roman spielt in den Apfelgärten der Elbmarsch südlich von Hamburg – und in dem alten Haus spielen sich Dramen ab – Flüchtlingsdramen. Im Zweiten Weltkrieg stranden dort die ostpreußische Adelige Hildegard von Kamcke und ihre Tochter Vera, von der Hofherrin als Gesindel verachtet.  Später erbt Vera das Haus mit „seiner vernarbten Fassade“. Und als die schroffe Zahnärztin schon in die Jahre gekommen ist und das Haus heruntergekommen, flüchtet sich ihre Nichte Anne mit Sohn Leon unter das brüchige Reetdach. Anne hat genug von der Großstadt, vom allseits zur Schau gestellten Mutterglück, genug von dem Mann, der sie betrogen hat. Das…

Sheherazade lässt grüßen
Rezensionen / 29. Oktober 2017

Einen seltsamen Deal bietet die alte Jean Culver der jungen Kate an: Ihre Familiengeschichte gegen deren Alkoholabstinenz. Denn Kate hat Probleme, ihr Leben auf die Reihe zu kriegen. Nach dem gewaltsamen Tod ihres Vaters bei Ashland & Vine hat sie ihr Studium geschmissen und lebt in einer schwierigen Beziehung mit dem exzentrischen Lauritz. Dass Kate sich auf den Deal einlässt, ist ein erster Schritt in ein neues, bewussteres Leben. Die Tiefpunkt der amerikanischen Geschichte John Burnside erzählt in dieser neuen Sheherazade-Adaption kein Märchen, sondern mit Jeans Familiensaga – eine verlorene Geliebte, der Neffe im Krieg verschollen, die Nichte im revolutionären Untergrund – auch die Geschichte Amerikas in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und vor allem die verstörenden Tiefpunkte wie das Massaker von My Lai im Vietnamkrieg, die Kommunistenhatz der McCarthy Ära, die bombenden Weathermen. Über die Macht der Erzählung Im engen Austausch mit Jean in deren Haus im verzauberten Garten gewinnt Kates Leben wieder eigene Konturen. Wie Lauritz hat sie mehr in der Inszenierung als in der Realität gelebt. Es geht um viel in diesem mit großer Meisterschaft geschriebenen Roman: Um Identität und Idealismus, um Liebe und Engagement, vor allem aber geht es um die Macht der Erzählung und…

Leben wie in der Geisterbahn
Rezensionen / 5. Dezember 2016

Er wollte immer anders sein als sein Vater. Das hat John Burnside auch geschafft. Immerhin ist der Schotte Schriftsteller geworden und lehrt als Professor kreatives Schreiben an der Universität von St. Andrews. Trotzdem ist er überzeugt davon, dass sein Vater nicht stolz auf den Erfolg gewesen wäre. „Er hätte gesagt: Das ist etwas für Weicheier, Bücher lesen und mit Studenten sprechen“, sagte der 61-Jährige in einem Interview. In dem Roman „Lügen über meinen Vater“ hat er mit dem alkoholkranken Stahlarbeiter abgerechnet, dessen Brutalität seine Kindheit überschattet hat. Die Fortsetzung heißt „Wie alle anderen“, und Burnside beschreibt darin, wie er selbst in den 1980er-Jahren drogensüchtig und alkoholabhängig war und zudem noch schizophren. Seltsame Höhenflüge  –  nah daran an der Selbstzerstörung Damals war sein größter Wunsch, wie alle anderen zu sein, also ein normales Leben zu führen – am besten in der Vorstadt und „aufs angenehmste betäubt“. Doch die Betäubung hält nicht an, er gerät wieder in den Sog der Abhängigkeit und fällt ganz tief, so tief, dass ein Kneipenbekannter ihn als Mörder seiner Frau engagieren will. Sein Leben wird zur Geisterbahn, heimgesucht von den Gespenstern der Vergangenheit. Er ist verliebt, hat Sex, reist und erlebt in selbst gewählter Einsamkeit seltsame Höhenflüge…