Schwiegermutter: Die Unverstandene
Rezensionen , Romane / 15. Juni 2025

Schwiegermutter – das ist für viele Paare ein Schreckgespenst. Die Mutter des Partners oder der Partnerin kann eine echte Bedrohung für eine Beziehung sein. Wie in Moa Hergrens Roman „Schwiegermutter“. Nur, wer ist schuld daran, wenn alles schief läuft? Darum geht es in dem Roman, der zwar großenteils aus der Sicht der Schwiegermutter geschrieben ist, aber auch die anderen Beteiligten zu Wort kommen lässt. Symbiotische Beziehung Åsa ist alleinerziehende Mutter, seit Janne sie für eine andere verlassen hat. Mit Andreas verbindet sie die Kommunikationstrainerin eine symbiotische Beziehung. Doch nun ist Andreas mit Josefin zusammengekommen, der nach Åsas Meinung komplizierten Tochter ihrer langjährigen Freundin Stina. Trotzdem bietet sie dem Paar an, für einen kurzen Zeitraum bei ihr einzuziehen, bis sie eine Wohnung gefunden haben. Konkurrenzkampf Doch da, wo sie früher zu zweit ein gutes Team waren, muss sich Josefin wie ein Fremdkörper vorkommen. Die beiden Frauen buhlen um die Liebe von Andreas. Und Åsa macht mit ihren unwillkommenen Hilfsangeboten das Zusammenleben nicht leichter. Ihre Übergriffigkeit nutzt Josefin, um Andreas gegen seine Mutter aufzuhetzen. Als Åsa Andreas zu einer Therapie – ausgerechnet bei einer Freundin – rät, wird alles nur noch schlimmer. Plötzlich sieht sie sich mit Vorwürfen aus Andreas‘ Kindheit konfrontiert….

Ein Mord aus Langeweile
Rezensionen , Romane / 10. Juni 2025

Michael Köhlmeier ist ein grandioser Autor – auch im kleinen Format. Und er ist ein grandioser Erzähler. Besser als er selbst könnte keiner Die Verdorbenen  lesen – distanziert, emotionslos, lakonisch. Dabei geht es um nicht weniger als um das Böse. Hier geschieht es scheinbar grundlos – aus purer Langeweile heraus. Der Protagonist Johann kommt als Mann ohne Eigenschaften daher, farb- und ambitionslos. Mit einem Abstand von 40 Jahren blickt der reife Johann ohne verklärende Nostalgie zurück auf sein Studenten-Ich. Unheilvolle Dreier-Beziehung Der junge Johann studiert Anfang der 1970iger Jahre in Marburg. Bei einem Ausflug, den er als Tutor mit organisiert, lernt er Christiane und Tommi kennen, die seit ihrer Kindheit zusammen sind. Ohne verliebt zu sein kommen Johann und Christiane als Paar zusammen. Weil Tommi nicht loslassen kann, entwickelt sich eine merkwürdige, immer unheilvollere Dreiecks-Beziehung, die alle beschädigt und Johann in die Flucht treibt. Der Wunsch fürs Leben Inmitten dieser von innerer Leere, Ausweg- und Lustlosigkeit gekennzeichneten Zeit erinnert sich Johann an ein Gespräch mit dem Vater: „Einmal, da war ich sechs Jahre alt gewesen und am Beginn der Schule, hatte er mich gefragt: ‚Was ist ein Wunsch für dein ganzen Leben? Überleg‘ es dir gut, morgen frage ich dich…

Donna Leon persönlich
Rezensionen , Romane / 6. Juni 2025

Über ihre Brunetti-Krimis ist Donna Leon vielen Deutschen sehr vertraut. In dem Büchlein Backstage gibt die inzwischen 83-jährige Autorin aber einiges aus ihrem Privatleben preis, das womöglich auch in ihre Krimis eingeflossen ist. Immerhin hat Donna Leon ein ziemlich interessantes Leben gelebt, ehe sie sich für Venedig als Wohnsitz und später für die Schweiz entschieden hat. Rassismus  in den USA Geboren wurde sie in den USA,wo sie an einer Abendschule ihren Master in Englischer Literatur machte und als Aushilfslehrerin an Grundschulen von Newark mit Rassismus konfrontiert wurde. Über den Schüler Cedric, der ihr wohl ans Herz gewachsen ist, schreibt sie: „Er war schwarz und lebte in Amerika, also hatte er von Anfang an kaum eine Chance.“ Erfreulicher wenn auch nicht undramatisch ist ihre Erfahrung bei einem Frank-Zappa-Konzert in Montreux, das in einem Brand endete und Deep Purple zu „Smoke on the Water“. Doch das hat sie selbst erst 40 Jahre später bei einem Besuch in Südtirol erfahren. Erlebnisse im Iran Im Iran stand Donna Leon noch nach der Macht-Übernahme von Ajatollah Khomeini vor einer unsicheren Zukunft, als zwangspensionierte Englischlehrerin – und erlebt eine abenteuerliche Ausreise. Und dann ist da noch ihr Besuch bei der der Sexarbeiterin Regina, die ihr von…

Zeit der Verlogenheit
Rezensionen , Romane / 5. Juni 2025

Christine Kochschmieder lässt in ihrem neuen Roman „Frühjahrskollektion“ die Zeit des Wirtschaftswunders wieder aufleben – eine Zeit, in der Männer noch das Sagen hatten und die Wirtschaft boomte. Doch die 60-iger Jahre, in denen sie ihren Roman um die geschäftstüchtige Lilo ansiedelt, haben so gar nichts von der guten alten Zeit, von der ewig Gestrige bis heute schwärmen. Auch wenn sich damals die meisten Deutschen im allgemeinen Vergessen bequem eingerichtet hatten. Alte Seilschaften Auch Lilo und Harry bauen an ihrer neuen Zukunft, und die Tochter Reni soll Karriere als Mannequin machen. Lilo will mit einer Bademoden-Kollektion durchstarten, für Harry hat sie einen Job bei dem erfolgreichen Versandhändler Neckermann gefunden – über alte Kanäle. Genau diese Netzwerke funktionieren noch, ja sie haben das Wirtschaftswunder beflügelt. Zwar werden in den gleichzeitig laufenden Ausschwitz-Prozessen alte Verstrickungen offenbar, aber findigen Unternehmern gelingt es, sich gegen jeden Verdacht der Täterschaft zur Wehr zu setzen. Die junge Bundesrepublik setzt auf sie und ihren Erfolg. Wiedergutmachung passt da nicht ins Konzept. Dunkle Vergangenheit Christine Koschmieder hat gründlich recherchiert. Sie erzählt von den Verstrickungen, nennt die Profiteure beim Namen. Zu ihnen gehört auch Josef Neckermann, der Mann, der es für die Deutschen möglich machte, günstig in den Urlaub…

Haltlos im Lebensstrudel
Rezensionen , Romane / 3. Juni 2025

Vito hat Probleme mit seinem Leben oder das Leben hat Probleme mit ihm. Die Freundin hat ihn verlassen, seine Wohnung ist kalt und trist. Mit 30 Jahren fühlt sich Vito „super einsam“, so auch der Titel dieses aufwühlenden Debüts von Anton Weil. Angst und Trauer Vitos Vater ist zwar Diplom-Psychologe, tut sich aber schwer, sich auf den Sohn einzulassen. Da fehlt die Mutter, die an Krebs gestorben ist, als Vito 17 war. Dass sie schon früher eine Affäre hatte, als er noch ein kleiner Junge war, wird ihm erst später bewusst. Schon damals hatte er Angst, sie zu verlieren. Die Trauer über ihren Tod begleitet ihn auf seinem Weg ins Erwachsenen-Dasein: „Eine Woche vor ihrem Tod stehe ich mit ihr auf dem Friedhof am Südstern. Ich soll die Stelle aussuchen. Warum hält mich keiner? Mama versucht es, Mama berührt mich, streichelt mich, aber gibt keinen Halt, kann ja selbst kaum stehen, wir kippen. Sie ist zu schwach, gar nicht mehr ganz da.“ Die Lücke im Hirn Das Verlustgefühl hat ihn seither nicht mehr verlassen. Vielleicht ist er auch deshalb so unfähig, sein Leben auf die Reihe zu bringen.  Auch als Schauspieler versagt er, vergeigt seine Termine. Nur am Tresen in…

Leiden an der Mutter
Rezensionen , Romane / 30. Mai 2025

Alex Schulman arbeitet sich in seinen autofiktionalen Romanen an seiner Familie ab, auch in seinem neuen Buch „Vergiss mich“, in dem er über das ambivalente Verhältnis zu seiner alkoholkranken Mutter schreibt. Er tut das mit gewohnter Sensibilität, aber auch mit harscher Kritik: Mutter und Sohn „Wie soll ich ihr jemals verzeihen können, was in dieen Nächten geschieht? Diese Nachrichten auf meinem Handy, mit denen ich jeden Morgen erwache? Selbst wenn sie eines Tages trocken ist, wie soll ich ihr in die Augen schauen, nachdem sie mir solche Dinge geschrieben hat? Ich weiß einfach nicht, wie das gehen soll! Wie kann ich nach alldem noch ihr Sohn sein und sie meine Mutter?“ Wehmütige Erinnerungen Und doch will dieser Sohn, den die Mutter von sich gestoßen hat, nachdem er ihren Alkoholmissbrauch angesprochen hat, den Kontakt nicht ganz abbrechen. Mit Wehmut erinnert er sich an sorglose Zeiten mit der Familie im Ferienhaus, an die Nähe zur liebevollen Mutter, an ihre zeitweilige Komplizenschaft. Aber das alles ist lang vorbei. Das Schweigen der Eltern Allerdings erinnert sich der Sohn auch an eine Frau, die ihre Launen an den Kindern auslässt, sie durch Nichtbeachtung manipuliert. Ihn, der die Mutter so innig liebt, trifft das besonders. Auch…

Die Alpen am Abgrund
Rezensionen , Romane / 16. Mai 2025

Mit dem Autor Burkhard Spinnen und dem Kommunikationswissenschaftler Charles Wolkenstein machen sich zwei Oldies – beide sind Jahrgang 1956 – daran, Szenarien einer nahen Zukunft zu entwerfen. „Erdrutsch“ ist der Auftakt einer geplanten Reihe, in der es um politisches Versagen und persönlichen Egoismus ebenso geht wie um Klimawandel, Greenwashing und Overtourismus. Der Vogelmann Schauplatz sind die Alpen, denen der Klimawandel mehr zu schaffen macht als anderen Landschaften. Die Handlung beginnt an einem Steilhang hoch über dem Comer See. Hier trifft Aurelio Campana, wegen seiner bergsteigerischen Abenteuer auch der Tibeter genannt, an einer nur schlecht zugänglichen Stelle auf einen scheinbar verwirrten Mann, der mit den Vögeln redet. Aurelio nimmt sich des „Vogelmanns“ an und bringt ihn mit den Bergrettern in die Casa San Francesco, wo die Mutter Oberin ihn schon bald als Wiedergeburt des Heiligen Franziskus verehrt: „Und Aurelio dämmert, dass ihm da ein Mensch in sein Leben geflogen ist, der ab jetzt womöglich sein Schutzbefohlener sein wird.“ Die Krähenforscherin Als kurz nach diesem Zusammentreffen der Hang in die Tiefe stürzt, ahnt Aurelio einen Zusammenhang. In kurzem Abstand gibt es weitere Erdrutsche, und vieles deutet daraufhin, dass die Vögel davor gewarnt haben. Gigantische Überschwemmungen suchen die Alpenländer heim. Kann der Vogelmann…

Rache à la Margaret Atwood
Rezensionen , Romane / 5. Mai 2025

„Hieb und Strich“ ist nur ein kleines Buch, aber es hat‘s in sich. Geschrieben hat die hintersinnige Geschichte um vier ältere Damen die Kanadierin Margaret Atwood. Mit dem „Report der Magd“ hat sie Weltruhm erlangt, und immer wieder fällt auch ihr Name, wenn es um den Literaturnobelpreis geht. Denn Atwood, Jahrgang 1939, lässt sich nicht auf den Bestseller reduzieren. Die engagierte Feministin und Umweltaktivistin hat im Lauf ihren langen Lebens wichtige Preise eingeheimst wie den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels oder den Booker Prize. Atwood schreibt Lyrik, Romane, Essays und Kurzgeschichten. Ihre Bücher wurden in mehr als 30 Sprachen übersetzt. Viel Engagement Bis heute mischt sich Margaret Atwood ein, gegen die globale Erwärmung und für die Gleichberechtigung von Frauen. Unter dem Titel „Brennende Fragen“ erschien 2023 im Berlin Verlag ein Sammelband mit Essays und „Gelegenheitsarbeiten“. Spitzzüngig und unbeirrt verteidigt sie darin unter anderem ihr Klima-Engagement: Zeit für Härte „Schon hart, Schlafwandler aus ihrer Trance zu wecken. Alle würden lieber hören, dass alles gut wird, nichts passieren kann, wir alle nette Leute sind und niemand je an irgendetwas die Schuld trägt – und vor allem, dass wir weiterhin folgenlos tun können, was wir nur wollen, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, unseren…

Lügen und Intrigen
Kinderbücher , Rezensionen , Romane / 5. Mai 2025

Martin Suter kann das: Wendungsreiche Geschichten bauen, die bis zum Ende überraschen. Das gilt auch für seinen neuen Roman Wut und Liebe . Zwar fällt es anfangs etwas schwer, die existentielle Krise der schönen Camilla nachzuvollziehen. Sie liebt zwar den erfolglosen Künstler Noah, sagt sie, aber nicht das Leben mit ihm. Das stellt sie sich anders vor, luxuriöser. Und deshalb verlässt sie Noah, um mit einem älteren, gut situierten Bonvivant ihr Glück zu versuchen.  Dass sie damit Noah fast das Herz bricht, scheint sie kaum zu interessieren. Unsichere Kantonisten Doch das ist nur der Anfang dieses Romans, in dem Suter noch einige Protagonisten vorstellt, denen nicht zu trauen ist. Da wäre die frustrierte Betty, die Noah in einer Bar kennenlernt und die ihm von ihrem verstorbenen Partner vorschwärmt, der von seinem Kompagnon bis zum Herztod „ausgebeutet“ worden sei. Ihre Wut auf diesen, einen alerten Unternehmer namens Zaugg, geht soweit, dass sie dessen Mörder mit einer Million Franken alimentieren würde. Für den mittellosen Künstler Noah, der die verwöhnte Camilla zurück erobern will, durchaus eine Option. Die Reichen und Schönen Und so gerät Noah immer mehr in Bettys Bannkreis, während Camilla erkennen muss, dass man selbst besten Freundinnen nicht trauen kann. Auch…

Ist das Glück?
Rezensionen , Romane / 24. April 2025

Ein Dorf in Irland, in dem die Zeit stehen zu bleiben scheint: Niall Williams hat das fiktive Faha in mehreren seiner Romane zum Leben erweckt – auch in seinem neuen Buch „Das ist Glück“. Es ist das Jahr 1958, in Faha brennt noch das Torffeuer im Kamin, das Wasser kommt aus dem Brunnen, das Licht lässt sich noch nicht an- und ausschalten. Die Menschen hier leben wie im 19. Jahrhundert – und sie scheinen zufrieden. Trotz des Regens, der „von hinten und von vorn und aus allen anderen Richtungen kam“. Sonne und Strom Und dann, mitten in der Karwoche, hört es plötzlich auf zu regnen. Faha erlebt Tage voller Sonnenschein und fast spanischer Hitze, während die Vorbereitungen zur Elektrifizierung beginnen. Und das Dorf wird Zeuge einer Liebesgeschichte, die das Zeug zur Legende hat. Denn mit der Sonne kommt Christy ins Dorf, der für die Elektrifizierung werben soll. Für den Ich-Erzähler Noel, genannt Noe, wird der welterfahrene Mann schnell zum Freund und Wegweiser. Große Gefühle Nicht alle im Dorf heißen die kommenden Errungenschaften für das Dorf gut. Auch Noels schrullige Großeltern Ganga und Doady, bei denen Christy sich einquartiert hat, wehren sich dagegen. Der Untermieter bringt einiges durcheinander in dem Dorf,…