Spiegelbild der Liebe
Rezensionen , Romane / 2. April 2024

Als Geisterbaron hat sich Albert von Schrenck-Notzing einen Namen gemacht. Bei den Séancen traf sich die Münchner Bohème. Auch Thomas Mann ließ sich beeindrucken, so sehr, dass er dem Freiherrn einen Auftritt in seinem „Zauberberg“ gönnte. Jetzt hat der Filmemacher Jan Schomburg dem schillernden Mediziner Schrenck-Notzings einen ebenso schillernden Roman gewidmet. Traumata und Voodoo Dafür spannt er einen weiten Bogen – vom Geisterglauben im Fin de siècle in München über den Ersten Weltkrieg und seine Traumata, aribische Voodoo-Rituale und ein Massaker in Haiti bis zum Aufkommen des Faschismus in Deutschland und seine zerstörerischen Folgen. Die große Liebe Und mittendrin der Freiherr, der die Kunst der Hypnose beherrscht und medial begabte Menschen dazu bringen kann, im Dunkeln schwebende Gebilde hervorzubringen. Ein Mann der Wissenschaft, so sieht er sich. Und ein Mann, der liebt. Ella, die Tochter aus reichem Haus, ist seine große Liebe. Eine selbstbewusste Frau mit ausgeprägtem Eigenleben. Existentielle Krise Während ihr Mann das Unbewusste erforscht, ist sie fasziniert vom Wunder des Fliegens. Ihr Tod stürzt Albert in eine existentielle Krise: „Alberts Liebe zu Ella war so tief in ihn eingeschrieben, so vielgestaltig mit seiner gesamten Existenz verknüpft, dass ihm die Vorstellung, es könnte ihn ohne diese Liebe geben, ganz…

Vom Zauber der Berge
Reisebücher , Rezensionen / 10. März 2022

Andreas Lesti liebt die Berge – und die Literatur. Und so hat sich der in Augsburg geborene und in Berlin lebende Journalist und Autor auf den Weg gemacht, in der Schweiz den Zauber zu erforschen, den die Berge dort auf Künstler und Literaten ausübten. Sein Buch „Zauberberge“, zauberhaft aufgemacht mit einem Leineneinband und alten Fotografien vor jedem Kapitel, folgt den Spuren deutscher Dichter und Denker in der Schweiz. Ein Berg an Büchern Lesti hatte sich im ersten Jahr der Pandemie aufgemacht und musste aufgeben. Im Sommer kehrte er zurück. Als erstes stand Davos auf dem Reiseplan. Davos, natürlich, Schauplatz von Thomas Manns „Zauberberg“. Der Roman über einen jungen Mann, „der sieben Jahre nicht mehr wegkam aus den Schweizer Bergen“. So lange hält es Andreas Lesti nicht in der Gebirgsstadt, obwohl er einen ganzen Berg Lektüre dabei hat – neben Thomas Manns Zauberberg auch den weitgehend unbekannte „Zauberlehrling“ von Erich Kästner, Nietzsches „Also sprach Zarathustra“ oder Theodor Adornos „Minima Moralia“. Das Schicksal der Villa Stein Er wird also viel lesen auf dieser Reise – und sich verzaubern lassen. Die Spurensuche führt ihn in Davos von der Schatzalp zum Waldhotel und ins Medizinische Museum, wo er versucht, dem morbiden Kult um die…

Mit Max Frisch auf der Baustelle
Rezensionen / 12. September 2019

Rainer Moritz weiß,  dass Schriftsteller aus ihrer Umgebung – dem Umfeld, den Mitmenschen – schöpfen , auch wenn es lange verpönt war, darüber zu reden. Nun hat der versierte Literaturkritiker und -Liebhaber  einen ebenso schönen wie lesenswerten Bildband zur Verortung von Literatur veröffentlicht. „Zum See ging man zu Fuß – Wo die Dichter wohnen“ lädt dazu ein, bekannte Schriftsteller wie Kafka und Hauptmann, Thomas Mann und Anna Seghers, Hesse und Schnitzler in ihrem Lebensumfeld kennen zu lernen und zugleich die Orte neu zu entdecken. Das Ortsbild von Travemünde Moritz ist ein wacher Beobachter, der in der Geschichte Bescheid weiß, aber auch die Realität der Gegenwart im Auge behält. So weist er bei Thomas Mann nicht nur darauf hin, dass das Buddenbrookhaus erweitert wird und mit zeitgeistigen Inszenierungen aufwarten soll, er spart auch nicht mit Kritik an den Errungenschaften der Moderne wie in Travemünde: „Kaum woanders ist es geglückt, mit einem einzigen Neubau ein Ortsbild so nachhaltig zu beschädigen.“ SUVs und Selfiestangen Der Autor registriert die SUVs vor dem Wohnhaus Schnitzlers in der Wiener Sternwartstraße und die Warteschlangen vor dem Kaffeehaus Central, die Besuchermassen in Prag und die „hochgereckten Selfie Stangen im Goldenen Gässchen“, auch die Touristen beim Tätscheln der Pessoa-Statue…