Spiegelbild der Liebe

2. April 2024

Als Geisterbaron hat sich Albert von Schrenck-Notzing einen Namen gemacht. Bei den Séancen traf sich die Münchner Bohème. Auch Thomas Mann ließ sich beeindrucken, so sehr, dass er dem Freiherrn einen Auftritt in seinem „Zauberberg“ gönnte. Jetzt hat der Filmemacher Jan Schomburg dem schillernden Mediziner Schrenck-Notzings einen ebenso schillernden Roman gewidmet.

Traumata und Voodoo

Dafür spannt er einen weiten Bogen – vom Geisterglauben im Fin de siècle in München über den Ersten Weltkrieg und seine Traumata, aribische Voodoo-Rituale und ein Massaker in Haiti bis zum Aufkommen des Faschismus in Deutschland und seine zerstörerischen Folgen.

Die große Liebe

Und mittendrin der Freiherr, der die Kunst der Hypnose beherrscht und medial begabte Menschen dazu bringen kann, im Dunkeln schwebende Gebilde hervorzubringen. Ein Mann der Wissenschaft, so sieht er sich. Und ein Mann, der liebt. Ella, die Tochter aus reichem Haus, ist seine große Liebe. Eine selbstbewusste Frau mit ausgeprägtem Eigenleben.

Existentielle Krise

Während ihr Mann das Unbewusste erforscht, ist sie fasziniert vom Wunder des Fliegens. Ihr Tod stürzt Albert in eine existentielle Krise: „Alberts Liebe zu Ella war so tief in ihn eingeschrieben, so vielgestaltig mit seiner gesamten Existenz verknüpft, dass ihm die Vorstellung, es könnte ihn ohne diese Liebe geben, ganz und gar abwegig erschien. Er stemmte sich gegen den Verlust seiner Sehnsucht, wie sich ein im Treibsand Versinkender wehrt.“

Auf der anderen Seite

Den Sohn Gustav, mit dem ihn zwischenzeitlich ein kostspieliges Engagement verband, hat er an die Faschisten verloren. In Europa hält ihn nichts mehr. Als er nach Haiti aufbricht, ist er nur mehr ein Schatten seiner selbst, ein Zombie. „Sie gehören nicht mehr zu den Lebenden und noch nicht zu den Toten“, sagt ihm eine alte Frau, „In unserer Welt stehen Sie nur noch mit einem Fuß, aber mit dem anderen Fuß befinden Sie sich bereits auf der anderen Seite des Spiegels. Die Grenze zwischen den Welten läuft mitten durch Ihren Körper. Sie sind nur noch eine Hälfte, die andere Hälfte ist Ihr Spiegelbild.“

Ein zweites Leben

Albert von Schrenck-Notzing ist 1929 in München gestorben. Mit viel Fabulierfreude und Lust an makabren Details hat ihm Jan Schomburg ein zweites Leben geschenkt. Eine literarische Fahrt mit der Geisterbahn.

Info Jan Schomburg. Die Möglichkeit eines Wunders, dtv, 268 S., 24 Euro

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