China und das Glück

28. September 2020

China, das Riesenland, die aufstrebende Großmacht, das Reich der Milliardäre. China, das nach unseren Industrie-Champions greift, das uns mit Plastikspielzeug zumüllt und sich Taiwan einverleiben will. Wir wissen viel über die Volksrepublik und kennen sie doch nicht. „China, wer bist du?“ fragt Simone Harre in ihrem Buch, das aus vielen Gesprächen mit Chinesen entstanden ist, mit Milliardären und Bauern, mit Designern und Verkäufern, Künstlern und Taxifahrern, mit Frauen und Männern, Jungen und Alten, mit Christen, Buddhisten, Muslimen, mit Vertretern von Homosexuellen und ethnischen Minderheiten.

Was fehlt zum Glück?

Sie wollte hinter die Kulissen blicken, die Seele des Landes er-spüren, und fragte die Menschen danach, was sie glücklich macht. Die Antworten, die sie bekam, waren höchst unterschiedlich. Sie zeigen, dass die Chinesen weit von einer einheitlichen Denkungsart entfernt sind, wie wir es immer wieder argwöhnen. Und sie zeigen, dass Reichtum nicht glücklich macht, auch wenn so einige auf „Vom-Tellerwäscher-zum-Milliardär-Karrieren“ zurückblicken können. Trotz ihrer Erfolge konnten sie nicht aufhören, nach immer mehr zu streben – so wie dieser Millionär: „Hungern muss keiner mehr in seiner Familie. Doch glücklich? Ist er glücklich. Wei Jinji schaut mich fragend an. Ja. Nein. Er wiegt den Kopf. Und er weiß. Irgendetwas stimmt nicht, irgendetwas fehlt…“

„Zu viel Ego, zu wenige Werte“

Vielleicht, so vermutet die Autorin, ist der Ehrgeiz so groß, weil die Eltern oder Großeltern vor und unter Mao im Mangel leben mussten. „Glück ist Prozess. Zufriedenheit ist das Ende“, sagt ein alter Kalligraph. Und ein Künstler, der aus den USA nach China heimgekehrt ist, meint: „Chinesen mögen es, ein schweres Leben zum Ausdruck zu bringen. Aber ich versuche auch ihr Glück zu zeigen.“ Doch der Tai-Chi-Meister ist überzeugt: „Es ist die schlechteste Zeit in China überhaupt. Zu viel Ego, zu wenige Werte.“ Anders der Diplomat, der sich inmitten deutscher Souvenirs wie einer Kuckucksuhr und Bildern von Schloss Neuschwanstein als Glückspilz definiert.

Intime Gespräche und viele Facetten

Simone Harre hat sich durchgefragt in China, hat schöne Gegenden kennengelernt, viel Gastfreundschaft erlebt und in Quingdao die „deutsche Altstadt“ besucht. Am Ende ihrer fünfjährigen Recherche aber stellt sie sich immer noch die Frage „China, wer bist du?“ Denn im Lauf ihrer Recherchen nahm die Unbefangenheit ihrer Gesprächspartner ab – und die Überwachung zu. Umso interessanter sind in dem außergewöhnlich schön gestalteten Buch diese oft intimen Gespräche, die so viele unterschiedliche Facetten des Riesenlandes zeigen.

Hineingelesen…

… in  die  Seele Chinas

Und doch war da etwas, das mich bei aller Entdeckerfreude rasch traurig machte. Nicht dass die Menschen in China nicht geredet hätten, nicht dass sie Angst gehbat hätten – noch nicht – , oder einfach nur ihre Schale schwer zu knacken gewesen wäre, es war vielmehr so, dass es ihnen schwer fiel, von sich selbst und ihrem Empfinden zu erzähle. Eigene Gedanken, Kontakte mit tiefen Sehnsüchten, sind selten. Ich hatte das Gefühl, immer wieder ins Leere zu greifen, in Ratlosigkeit. Ich nannte es „das leere Herz“. Susu, der ich meinen Eindruck behutsam zu erklären versuchte, sagte darauf, genau diesen Ausdruck habe neulich ein Professor bei ihr an der Uni auch benutzt. Die Negation von Fantasie, Traum und Selbst. Doch: „Wagt zu fühlen!“ seit die Aufforderung des Professors an die Zuhörendend gewesen. „Wagt es, euer Leben selbst zu bestimmen.“
Das ist freilich leichter gesagt als getan in einem Land, dessen Regierungslinie als Dauergeflüster in die Menschen dringt, so sehr, dass man es mehrheitlich als selbstverständlich empfindet, bis tief ins Innerste gläsern und fremdbestimmt zu sein, und die Parolen sogar als ein Mantra des eigenen Herzens versteht.

Info: Simone Harre. China, wer bist du? Reisedepeschen 369 S., 26 Euro,

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