Der Wolf im Wald

5. Mai 2023

Saša Stanišić kam mit seinen Eltern aus Bosnien nach Deutschland und hat als Autor schon einige Preise abgeräumt. Der Vater eines Sohnes hat auch zwei Kinderbücher geschrieben. „Wolf“ ist sein erster Kinderroman. Es geht um ein Ferienlager im Wald, um Ausgrenzung, Null Bock, Mut und Mobbing – und um einen Wolf.

Außenseiter und Opfer

Kemi – den Namen des Ich-Erzählers erfährt man ganz zum Schluss – wäre eigentlich der „perfekte Kandidat zum Andersig gemacht zu werden“, denn er ist anders. Einer der gern liest, der viel weiß, aber Null Bock auf Spiel und Sport hat. Mit seiner alleinerziehenden Mutter dagegen führt er gern Gespräche über Erwachsenen-Themen. „Meine Reputation ist die von einem, der sich gern beschwert und der gern keine Lust auf nichts hat“, sagt er von sich selbst.
Dass er mit der Einstellung in der Klasse zwar Außenseiter aber nicht Opfer ist, hat er Jörg zu verdanken. Der ist anders als Kemi kein Nörgler, sondern ein freundlicher Typ, aber mit den abstehenden Ohren, dem altmodischen Outfit und ebensolchen Sprüchen einfach uncool.

Kein Mumm gegen Mobbing

Es kommt, wie es kommen musste. Kemi und Jörg teilen sich im Ferienlager ein Zimmer mit Stockbett, und Kemi beginnt zu ahnen, wie schwer es Jörg hat. Doch bevor er sich dazu durchringen kann, den Oberfiesling Marko zu stellen, dauert es. Dabei weiß er, dass er sich vor Jörg stellen müsste, ihn vor den Gemeinheiten von Marko und seiner Entourage bewahren sollte.
Er hadert auch mit sich, unternimmt aber nichts.

Einer mischt sich ein

Auch die Betreuerinnen und Betreuer halten sich weitgehend raus. Stellen sich auf den Standpunkt, dass die Kids ihre Konflikte untereinander lösen sollen. Nur der dicke Koch mit der auffälligen Schläfen-Tätowierung ist anders, er mischt sich ein. Und dann kommt es doch noch zu einem Show-Down, als Kemi erkennt, dass es auf ihn ankommt, ob Jörg den Klettergarten unverletzt übersteht.

Die Rolle des Wolfs

Vielleicht ist es ja der Wolf, der ihn zum Umdenken gebracht hat. Der Wolf, der ihn mit seinen gelben Augen verfolgt, aber nichts tut. Ein Traumtier, das ausgerechnet Jörg zu verstehen scheint. Dieser Wolf ist scheu, aber auch wild, ein wehrhaftes Tier. Was soll Kemi von ihm lernen? Wird er in Zukunft mutiger sein, sich einmischen?

Offenes Ende

Vielleicht werden er und Jörg doch noch Freunde. Vielleicht auch nicht. Saša Stanišić lässt das Ende offen. Aber sein Ich-Erzähler kommt anders aus dem ungeliebten Ferienlager zurück, nachdenklicher, selbstkritischer. Stanišić gibt Kemi eine zeitgemäße Stimme, lakonisch, selbstironisch, ehrlich.  Das macht seine Erzählung so glaubhaft. Und Regina Kehn nimmt den Wolf mit den gelben Augen zum Vorbild für ihre Illustrationen in schwarz und gelb. Ein Kinderroman mit Zähnen und Klauen.

Info  Saša Stanišić. Wolf, Mit Bildern von Regina Kehn, Carlsen, 160 S., 14 Euro, ab 11

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