Die dunkle Seite der Gabe

6. Mai 2023

Harper Green ist ein ganz normales Mädchen in einer scheinbar intakten Familie, bis sie bei der Beerdigung einer früheren Freundin Lucas trifft und entdeckt, dass sie Gedanken lesen kann. Von da an ist nichts mehr wie es war. Vielleicht war es ja auch nie so, wie Harper gedacht hat.

Verabredung in Kill River

Sie hat sich zwar nie ganz wohl in der Gated Community gefühlt, in der sie seit dem Tod ihres Vaters leben. Eine schicke, geschützte Siedlung für Familien, deren Väter als Helden gestorben sind – beim versehentlichen Abschuss eines Flugzeugs, so die Heldenerzählung. Aber Kill River, der Ort, an dem sie Lucas treffen soll, schockiert sie. Es ist ein verlotterter Stadtteil, bevölkert von Drogensüchtigen, Alkoholikern und anderen Menschen, die am Rand der Gesellschaft leben. Wie Marty, der Drogenhändler, und Tammy, die aggressive 14-Jährige, die Harper am liebsten zu Brei schlagen würde.

Berüchtigte Insel

Wie gut, dass auch Lucas eine Gabe hat: Er kann heilen. Ihr gemeinsames Geheimnis schweißt die beiden zusammen. Doch um Lucas zu treffen, hat Harper ihren besten Freund Caleb als Alibi benutzt. Und dann muss sie mit ansehen, wie er abgeführt wird. Ihm droht die Insel, ein berüchtigtes Arbeitslager im Nirgendwo. Auch Lucas war schon dort und hat Schlimmes erlebt.
Harper fühlt sich verantwortlich für die Verhaftung Calebs und will ihn befreien. Lucas könnte ihr dabei helfen, hofft sie.

Sturz ins Bodenlose

Es ist ein weiter Weg bis sie Caleb wieder in die Arme schließen kann. Ein Weg, auf dem sie sich neu kennenlernt, sich in Lucas verliebt, nur um zu erkennen, dass er eine dunkle Seite hat. Lucas kann nicht nur heilen, er kann auch töten. Und er ist wild entschlossen, all die Menschen zu töten, die er als seine Feinde erkannt hat. Kann Harper ihn aufhalten? Für das 16-jährige Mädchen beginnt ein Absturz ins Bodenlose.

Zwei Seiten der Gabe

Sie weiß inzwischen, dass auch ihre Gabe eine dunkle Seite hat. Sie kann Menschen manipulieren – und diese Möglichkeit setzt sie auch ein. Wobei es merkwürdig ist: Wenn sie nur Gedanken liest, wird sie von heftigen Kopfschmerzen geplagt. Manipuliert sie andere, gerät sie in einen euphorischen Zustand. So ist es auch bei Lucas. Wenn er seine heilenden Kräfte einsetzt, schwächt er sich. Benutzt er die tödlichen, gewinnt er an Stärke. Woher kommt das alles?

Experiment mit Folgen

Harper erfährt, dass fast ihr ganzes Leben auf einer Lüge aufbaut genauso wie die glückliche Familie. Dass die Jugendlichen mit ihren besonderen Fähigkeiten Opfer eines staatlichen Experiments sind ebenso wie ihre toten Väter. Trotzdem will sie nicht alles zerschlagen wie Lucas. Aber kann sie mit dieser Lüge weiterleben?

Eine andere Zeit

Carola Lowitz und Susanna Mewe haben ihren dystopischen Roman Harriet Green in den 1990er Jahren angesiedelt – nach der Präsidentschaft von Ronald Reagan, den sie einem Attentat zum Opfer fallen lassen. Doch das Manipulative der Regierung, die Übergriffigkeit der Behörden, die hirnlose Befolgung sinnloser Anordnungen hätte genauso gut in die Zeit eines anderen Präsidenten gepasst. Der Roman führt in menschliche und politische Abgründe. Er ist spannend, aber nichts für zarte Gemüter.

Info Carola Lowitz/Susanna Mewe. Harper Green, Arena, 350 S., 18 Euro

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