Frauen ohne Lobby

8. November 2023

Was für ein Roman: Die Frauen von Shonagachi nötigen uns jede Menge Respekt ab. Rijula Das holt diese von der Gesellschaft geächteten Frauen ins Rampenlicht. Denn sie sind allesamt Huren und arbeiten in einem Bordell in Südasiens größtem Rotlichtviertel in Kolkata. Die „Bordellmutter“ Shefali Madam regiert ihr Reich mit harter Hand. Erzählt wird der aufwühlende Roman entlang der erfahrenen und ziemlich abgebrühten Prostituierten Lalee und ihres Verehrers, des schüchternen Möchtegern-Autors Tilu.

Der Retter von der traurigen  Gestalt

Im Moloch von Kolkata treffen die beiden immer wieder aufeinander. Tilu ist Lalees bester und sicherster Kunde, auch wenn er kaum Geld zum Überleben hat. Aber er liebt diese Frau, die ihn kaum beachtet. Und als Lalee eines Tages verschwunden ist, ahnt er, dass sie in Gefahr ist und stürzt sich in eine Rettungsaktion wie Don Quijote in den Kampf gegen die Windmühlen.

Ordnungshüter ohne Ordnung

Rijula Das braucht diese humoristischen Einlagen, damit das, was sie zu erzählen hat, erträglich wird. Denn da geht es um Mord, um Kindsmissbrauch, um religiösen Fanatismus und um einen Guru, der seinen Einfluss dazu nutzt, seine perversen Gelüste auszuleben. Auf der anderen Seite, der Seite der staatlichen Gewalt, Polizisten ohne Plan und ohne Engagement. Verpeilte Männer, die ihr eigenes Leben nicht im Griff haben und nur allzu gern nach unten treten.

Die Schuld des Opfers

Der Protestmarsch der Huren nach dem gewaltsamen Tod einer der Ihren fordert ihre ganze Aufmerksamkeit. Frauen sind für diese Art von Ordnungshütern ohnehin unglaubwürdig. Selbst schuld, wenn sie vergewaltigt werden. Wäre ja noch schöner, wenn man dafür die Männer verurteilen würde: „Mann, ich sag‘ dir, ein Vergewaltigungsopfer, aber die hat kein Schamgefühl. Sie versucht gar nicht, es geheim zu halten oder zu vergessen oder so. Es ist, als ob sie unbedingt will, dass die Leute erfahren, was passiert ist. So was hab‘ ich noch nie erlebt.“

Kleine Fische und große Haie

Diese Polizei wird keinen Finger rühren, um eine Hure aus den Fängen eines sadistischen Gurus zu befreien: „Der Ashram war ein No-Go. Die Sache reichte zu weit und zu hoch hinauf für jemanden wie Samsher. Er war ein kleiner Fisch mit kleinen Befugnissen und hatte gefälligst keine Haie zu jagen.“ Lalee weiß, wie so etwas läuft. Und deshalb stimmt sie dem Plan der schönen und schlauen Sonia zu, selbst aktiv zu werden…

Jenseits der Genre-Grenzen

Am Ende weiß man nicht so recht, was man da gelesen hat. Einen Krimi? Eine Gesellschaftssatire? Eine soziale Tragödie? Eine Liebesgeschichte? Womöglich alles zusammen. Jenseits literarischer Grenzen hat Rijula Das einen von Blut triefenden und vor Witz sprühenden Roman geschrieben, der keine Leserin kalt lassen kann.

Hineingelesen…

… in Mohamayas Tod

Mohamaya. Das war ihr Name. Sie war achtundzwanzig.
Lalee musste ihre Tür zumachen, weil sie es nicht mehr ertragen konnte. Mahamaya hatte fst ein Jahr neben ihr gewohnt. Die Frau vor Mohamaya war abgehauen, und Lalee erfuhr nie, was aus ihr geworden war. Dann zog eines Tages Mohamaya ein. Anfangs sprach sie nicht viel. Lalee brachte in Erfahrung – ein paar Schnipsel kamen von ihr und ein paar von den anderen – dass Chintu sie wohl in der Gegend um den Bahnhof Sealdah aufgelesen hatte, Hunger und die Sehnsucht nach einem Dach über dem Kopf sorgten dafür, dass sie ihm zum Blauen Lotus folgte. Sie sah jung aus. Natürlich hatte Lalee noch viel jüngere Mädchen gekannt – ein paar waren erst sieben gewesen , aber Mohamaya hatte so eine unverbrüchliche Ruhe an sich, die Lalee schützenswert fand. Es fühlte sich falsch an, in ihrer Nähe etwas Derbes zu sagen. Mohamaya erinnerte Lalee an eine ganz junge Braut, die sie mal in ihrem Dorf gesehen hatte, vor sehr langer Zeit. Eine klassisch altmodische Schönheit, rehäugig, langhaarig, hellhäutig. Wie geschaffen dafür, in rotgoldene Seide gewickelt und mit Juwelen geschmückt zu werden und souverän über einen begüterten Haushalt zu herrschen. In Mahamayas Gegenwart hätte Lalee am liebsten ihre dunklen Hände versteckt, ebenso wie ihr kantiges Gesicht, das bittere Grinsen, das immer um ihren Mund zu spielen schien, und die Flüche, die ihr selbstverständlicher als alles andere von den Lippen gingen.
Mohamaya war lieb zu ihr. Nannte sie Laal-Didi, ältere Schwester, einen Hauch echter Zuneigung in ihre sanften Singsangstimme. Lalee seufzte und schüttelte den Kopf. Von Mahamaya war nichts übrig, sie war über den Boden vergossen, ein geschwollenes Gesicht, in der Kehle eine zerbrochene Glasflasche, die Blut spiel wie ein Zapfhahn…
… Lalee hat nicht viel geschlafen, nachdem sie in Mohamays Zimmer gewesen war. Ehe der Pulk von Frauen noch recht begriff, was sie da vor sich hatten, ließ Shefali Madam es räumen und verrammeln. Eine dichte Mauer aus ihren Schergen – manche davon kannte Lalee, aber viele auch nicht – schob sie und Malini und Amina und die anderen kurzerhand aus dem Raum. Gleich darauf wurden die Fenster verschlossen und die Tür verriegelt. Lalee erhaschte gerade noch einen Blick auf Shali Madams breiten, tatkräftigen Rücken, der ihr die Sicht auf das tote Mädchen am Boden nahm.

Info  Rijula Das. Die Frauen von Shonagachi, Deutsch von Else Laudan, Ariadne, 336 S., 23 Euro

 

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