Gut abgeschmeckt

26. Februar 2024

Auch mit knapp 90 Jahren beweist die Altmeisterin des deutschen Krimis Scharfsinn und Biss. „Gruß aus der Küche“ heißt ihr neuer, gut abgeschmeckter Roman, in dem sie wieder Abgründe ans Tageslicht befördert, die auch in ganz normalen Menschen schlummern.

Übersichtliches Personal

Das Personal ist übersichtlich: Die etwas klein geratene und rundliche Irma hat das Traditionsgasthaus „Zum Hirschen“ in das hippe Veggie-Restaurant Aubergine verwandelt. Unterstützt wird sie von dem gut aussehenden und ein paar Jahre jüngeren Josh, der allerdings ein Faible für weibliche Reize hat. Auch Irmas geistig eher minder bemittelte Freundin Nicole verfügt über solche und weiß sie entsprechend einzusetzen. Doch sie bekommt Konkurrenz von der selbstsicheren 16-jährigen Praktikantin Lucy. Und dann ist da noch der schwerhörige „Gemüsemann“. Der alte, geistig durchaus fitte Vinzent schnippelt in der Küche Gemüse und wird vom Küchenpersonal als alter Trottel abqualifiziert.

Das Geheimnis des Gemüsemanns

Nicht so von Irma, die den Alten wegen seiner Klugheit bewundert. Was die anderen nicht ahnen, Vinzent hört dank seines Mini-Hörgeräts alles, was sie sagen. Er zieht daraus nicht nur seine Schlüssel, sondern schreitet auch zur Tat und sorgt damit nicht nur für einige Verwirrung, sondern für eine ganze Serie von Ereignissen, die Irmas Leben von Grund auf erschüttern.

Individuelle  Perspektiven

Ingrid Noll erzählt die Geschichte aus der Perspektive der einzelnen Personen samt unterdrückter Gefühle und nicht aussprechbarer Gedanken. Das entbehrt nicht der manchmal auch unfreiwilligen Komik, vor allem wenn sie Lucy im Slang der Generation Z plappern lässt. Authentischer kommt da schon rüber, wenn sie dem alten Vinzent nostalgisch verbrämte Träumereien gönnt. Auch der Hallodri Josh darf sich selbst ordentlich bloßstellen. Und die patente Irma entdeckt in sich ungeahnte mörderische Ideen.

Unerwartetes Happy End

Nolls Gruß aus der Küche ist gut gewürzt mit reichlich Zitaten von Goethe über Grimms Märchen bis zu den Beatles, von den Heinzelmännchen bis zu Heinrich Heine. Die offenen Bekenntnisse der Protagonisten lesen sich locker und ohne schwache Nerven zu strapazieren – bis zum eher unerwarteten Happy End.

Hineingelesen…

… in Lucys Welt

Meine Eltern wollten mich in ein Internat stecken, auch weil sie meine Clique für prollig hielten. Doch ich weigerte mich standhaft. Als Übergangslösung versprach ich, erst einmal einen Job anzunehmen und dabei zu überlegen, wie es mit mir weitergehen sollte. In seinem akademischen Dünkel hoffte mein Vater wahrscheinlich, das ich von körperlich anstrengenden Arbeiten sicherlich bald die Schnauze voll hätte und reumütig etwas später das Abi machen würde. Aber hier im Restaurant gefällt es mir auf jeden Fall besser als in dieser fucking Schule, ja eigentlich bin ich mega happy.
Das liegt zum Teil an meiner Arbeitgeberin Irma, einer horizontal benachteiligten Person, aber irgendwie sweet und keine Stressbombe wie meine Mutter. Für ein bisschen Nonsens ist sie auch manchmal zu haben. In ihrem violetten Kittel und der freaky Mütze sieht sie ziemlich spooky aus, doch das gefällt mir. Wenn noch keine Gäste da sind, bevorzugt sie aber den Obelixstyle; von Bodyshaming hat sie wohl noch nie gehört. Ich mag keinen Mainstream, keine stylish angezogenen Snobs, aber auch keine Jack-Wolfskin-Muttis.
Hier ist alles anders. Vor allem der Kellner Josch ist hammergeil und reinstes Boyfriend-Material. Seine Stimme ist cremig wie Softeis. Zwischen seinen Augen hat er eine nachdenkliche Falte, die ihn besonders cool aussehen lässt. In seiner Gegenwart bin ich voll on fire und spüre bloß positive Vibes.

Info  Ingrid Noll. Gruß aus der Küche, Diogenes, 304 S., 25 Euro

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