Hass und Hetze statt Shelter

12. Oktober 2021

QAnon-Anhänger, Querdenker, Esoteriker – Corona scheint Verschwörungstheorien jeglicher Art zu beflügeln. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Ursula Poznanski das Thema aufgreifen würde. Die österreichische Autorin ist mit ihren Büchern (fast) immer am Puls der Zeit. Auch mit  Shelter, ihrem neuen Roman, in dem eine Schnapsidee zu ungezügelter Hetze führt.

Hashtag Shelter

In Partylaune bringen ein paar Jugendliche über Social Media eine Fake-Realität unters Volk – von Aliens, die sich Menschen als Wirte aussuchen, um irgendwann unseren Planeten zu kapern. Hashtag Shelter läuft schnell aus dem Ruder und entwickelt sich aus der virtuellen zu einer realen Hexenjagd. Im Zentrum der Hasskampagne steht der Schauspiel-Eleve Benny, der sich immer mehr verfolgt fühlt.

Octavios Spielchen

Denn es gibt einen einen neuen Player, Octavio. Er hat in Windeseile die Story gekapert und nutzt sie für seine Zwecke. Benny will den Spuk so schnell wie möglich beenden, doch seine Aufklärungsversuche machen ihn nur zur Zielscheibe der „Octavianer“ und entfremden ihn von seinen Freunden. Die Sache eskaliert, es gibt die ersten Verletzten.

Mit heißer Nadel

So weit so nachvollziehbar und auch spannend. Doch die Auflösung bleibt diesmal eher unbefriedigend, obwohl es Poznanski gelingt, gegen Ende noch eine Breitseite gegen den Heiler-Wahn unterzubringen.  Da hilft es auch wenig,  das Bennys Trauma noch rasch aufgeklärt wird und mit Daryas Bruder das Flüchtlingsproblem angesprochen wird.
Man merkt dem Buch leider an, dass es mit heißer Nadel gestrickt wurde, auch wenn es im Mittelteil nicht an Spannung mangelt und der rothaarige Protagonist Benny ein Sympathieträger ist.

Hineingelesen…

… in die Entstehung von Shelter

Er richtete eine öffentliche Facebook-Gruppe mit dem Titel OC-gelandet ein und schickte Einladungen an die Fake-Accountes der ganzen Runde…
Das erste Posting überließen sie Darya, die erneut den richtigen Ton traf:
Ich bin froh, dass wir endlich einen Ort haben, um uns auszutauschen. Wer etwas Neues erfährt, kann es den anderen hier erzählen. Ich fange gleich mal an: drei neue Sichtungen heute in Wien. Macht ganz den Eindruck, als ginge es los. Ich bin gespannt wie noch nie in meinem Leben.
Dazugestellt hatte sie eines ihrer eigenen Graffiti- Fotos, das aus einer Straßenbahnunterführung am Stadtrand stammte und Düsternis verströmte.
Fünf Minuten später antwortete Liv mit einem ihrer männlichen Fake-Accounts.
-Hallo! Danke an den Admin für die Einladung. Es tut so gut, endlich reden zu können. Habt ihr bemerkt, wie warm es heute wieder war?
-Ja! schrieb Benny darunter. Es ist fast alles bereit für die Übernahme. Ich habe gestern Nachricht bekommen.
„Übernahme?“ Darya hatte ihm beim Tippen über die Schulter gesehen und hob nun erstaunt die Augenbrauen.
„Na ja, die Übernahme des Planeten.“ Er blickte in die Runde. „Sonst haben wir ja keine Verschwörung, oder? Wir sind die, die jetzt die Außerirdischen beherbergen. Wie Parasiten, erinnerst du dich? Wir helfen ihnen , den Planeten aufzuheizen, und dafür … kriegen wir von ihnen Macht und Geld.“
„Delod würde mir fürs Erste schon reichen“, war Nando ein.
Liv zog ihre Unterlippe zwischen die Zähne. „Das Konzept müssen wir noch besser verkaufen. Bis jetzt ist noch keinem klar, wie das mit den Außerirdischen funktioniert, dass es eine Invasion gibt und die Aliens auf der Suche nach menschlichen Wirten sind.“ Sie legte die Stirn in Querfalten. „Dafür brauchen wir dann noch einen coolen Begriff – ha!“ Sie begann zu schreiben und Sekunden später sah Benny einen neuen Beitrag im Thread erscheinen.
Ich bin so froh, dass ich euch gefunden habe! Bei mir wurde die Übernahme gestern vollzogen. Ihr müsst keine Angst davor haben, es tut nicht weh. Im Gegenteil. Es ist angenehm, es kribbelt nur ein wenig in den Schultern und im Rücken. #shelter
„Was?“ Nando ließ sein Handy sinken. „Wieso denn shelter? Was heißt shelter?“
„Das ist das englische Wort für Unterschlupf“, erklärte Liv. „Ich finde es schöner, wenn wir uns etwas Eigenes einfallen lassen und nicht einfach ‚Wirte‘ zu denen sagen, die von einem Alien bewohnt werden.“
Benny fing einen Blick von Nando auf, irgendwo zwischen zweifelnd und unbehaglich. „Wird das nicht langsam ein bisschen zu … schräg?“ Nando kratzte sich am Ohr. „Was tun wir, wenn Leute Panik kriegen, weil sie danken, sie sind von Aliens besessen, bloß weil es sie ein bisschen im Nacken kribbelt?“
„Erstens war das deine Idee mit den Parasiten und den menschlichen Wirten. Und zweitens: Das wäre doch genau das, was wir erreichen wollen!“

Info Ursula Poznanski Shelter, Loewe,430 S., 19,95 Euro

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