„Ich habe Harry Potter in meinem Kopf“

24. Juli 2023

Harry Potter ist sicher eine der erfolgreichsten Kinder- und Jugendbuchserien.  Die sieben Bände über den Zauberlehrling haben seine Mutter  J. K. Rowling berühmt und reich gemacht.  Allein in Deutschland wurden über 33 Millionen Harry-Potter-Bücher verkauft.  Das hätte wohl niemand erwartet,  als vor 25 Jahren der erste Band „Harry Potter und der Stein der Weisen“ erschien. Anlässlich des Jubiläums  lohnt ein Rückblick.  Und einer der besten Gesprächspartner dafür ist der Schauspieler Rufus Beck, der alle sieben Harry-Potter-Bänd für den HörVerlag eingesprochen hat – mit einer Stimmenvielfalt, die ihresgleichen sucht.

Im Juli vor 25 Jahren erschien bei uns der erste Band über den Zauberlehrling „Harry Potter und der Stein der Weisen“. Damals ahnte niemand, wie sehr die mit der Zahl der Bücher wachsende Potter-Mania eine ganze Generation prägen würde. Erinnern Sie sich noch daran, dass Jugendliche vor Bücherläden campierten, um als erste den nächsten Harry Potter in der Hand zu halten?
Rufus Beck.  Natürlich, das war ja immer ein unglaublicher Hype vor dem nächsten Harry-Potter-Band. Da campierten die Fans vor den Buchläden, um möglichst als erste um Mitternacht das Buch oder auch das Hörbuch, das gleichzeitig erschien, zu ergattern. Ich kann mich auch noch sehr gut daran erinnern, als 2001 der erste Band „Harry Potter und der Stein der Weisen“ erschien, das waren neun CD, knapp neun Stunden. Die Aufnahmen fanden im Jahr 2000 statt, also knapp zwei Jahre, nachdem der erste Harry Potter in England erschienen ist. Ich hatte zuhause das Manuskript gelesen und fand das unglaublich witzig. Was mir sehr gut gefallen hat, war die Idee, dass die Zaubererwelt heutzutage stattfindet und nicht in in irgendeinem Mittelalter. Sondern es gibt eine Parallelwelt, und wir Menschen sind Muggel. Und immer wenn wir mit Magie konfrontiert werden oder Zauberer entdecken, gibt es eine Erinnerungslöschung des Ministeriums. Unglaublich witzig diese ersten Erzählungen. Joanne Rowling musste sich damals sehr kurz fassen. Es war ja der erste Band, und ich wusste damals noch nicht, dass sechs weitere folgen sollen.

 

Ein Glücksfall

Sie waren damals 40 und damit nicht unbedingt die Zielgruppe für das Kinderbuch. Wie kamen Sie zu Harry Potter?
Rufus Beck.  Ich wurde vom HörVerlag gefragt, ob ich das Hörbuch sprechen würde. Als Schauspieler am Bayerischen Staatsschauspiel war ich in München nicht gerade unbekannt. Ich hatte bis dahin auch einige Kinofilme gemacht und 1994 Tabaluga mit Peter Maffay. Auch im Kindersegment war ich im Rundfunk relativ bekannt. Und das war ein Glücksfall für beide Seiten. Ein Glücksfall für den HörVerlag und ein Glücksfall für mich, dass ich dieses wunderbare Buch sprechen konnte.

Was hat Sie an der Figur des Zauberlehrlings fasziniert?
Beck: Wir haben einiges gemeinsam Harry Potter und ich. Ich habe auch die meiste Zeit meiner Jugend im Internat verbracht. Und ich weiß, was es bedeutet, fernab der Eltern „überleben“ zu müssen. Du brauchst Freunde, und es gibt aber auch Menschen, die dir nicht wohl gesonnen sind. Du musst sehr früh wissen, wo du hingehörst und welche Rolle du spielst. Und Abenteuer hatten wir natürlich auch bei uns im Internat. Es ist natürlich eine große Belastung, denk‘ ich mal, in zwei Familien zu leben – in der Internatsfamilie und der eigenen Familie. Bei Harry ist das viel schwieriger, weil die Eltern nicht mehr leben. Davon handelt ja eigentlich auch Harry Potter. Von einem Erwachsenenwerden und dem Verlust der Eltern und der großen Frage, wer bin ich. Warum bin ich auf der Welt? Was ist meine Reise, was ist meine Vision, was ist der Sinn? Wo stehe ich grade im Leben? Das sind die großen Fragen, die sich Harry Potter stellt.

Sie kennen die Figur Harry Potter in- und auswendig, haben alle Bände eingesprochen und sich in jede Figur eingefühlt. Nun ist der junge Zauberlehrling zum biederen Familienvater mutiert. Können Sie diesen Werdegang nachvollziehen?
Rufus Beck.  Ich finde nicht, dass ein Familienvater unbedingt bieder sein muss. Ein Familienvater hat eine unglaubliche Verantwortung, und in einer gesunden Familie ist man füreinander da. Man zeigt seine Liebe es ist ein Geschenk, lieben zu dürfen und Verantwortung zu übernehmen. Joanne Rowling hat ja schon in ihrem letzten Band im Epilog festgehalten, dass Harry Potter Familienvater werden wird. Und ich finde das absolut nachvollziehbar. Harry Potter ist nun einmal das größte Werk, das sie geschrieben hat. Da wird kein größeres folgen. Es ist sehr schwer, von dieser gewaltigen Geschichte, sieben Bände, loszukommen.

Mit der Stimme spielen

Sie haben nicht nur Harry Ihre Stimme verliehen, sondern allen Figuren, die Rowling für Ihr Harry-Potter-Universum erschaffen hat. Wie ist es Ihnen gelungen, stimmlich vom jungen Helden zum teuflischen Voldemort zu wechseln?
Rufus Beck. Ich muss dazu sagen, dass der HörVerlag mir alle Freiheiten gelassen hat. Gerade im ersten Band, wo ich ja die meisten Figuren stimmlich angelegt habe. Ich durfte machen und tun, was ich will, was mir in den Kopf kam. Das war sozusagen auch eine Bedingung. Ich habe mich sehr aus dem Bauch heraus für verschiedene Dialekte, Idiome oder sprachliche Eigenarten entschieden. Doch ich muss dazu sagen, ich habe ein visuelles Gedächtnis. Ich habe mir bestimmte Figuren ganz konkret vorgestellt. Wie die sich bewegen, was für Eigenarten, was für Ticks sie hatten, wie sie sich angezogen haben. Und das hat einfach Einfluss auf die Figur. Es gibt natürlich ein großes Spektrum, und da Harry Potter eine fantastische Geschichte ist, habe ich auch sehr griffige, starke Effekte gewählt. Denn so eine Figur wie Mad Eye Moody, der ein Auge vorn und eins hinten hat, der kann nicht einfach ganz normal sprechen. Oder Voldemort, das muss schon sehr geisterhaft, sehr unheimlich sein. Hagrid wird ja beschrieben, so ein Drei-Meter-Riese, der muss eine sehr dunkle Stimme haben. Dobby, zum Beispiel, der erst in den späteren Bänden auftaucht, das ist ja ein masochistischer Charakter, der unglaublich Selbstmitleid hat und gleichzeitig so um Aufmerksamkeit bettelt, der hat eine ganz nervige Stimme, und das muss auch so sein, weil er auch als nervige Figur beschrieben wird. Und gleichzeitig hat man mit ihm als Hauself auch gewissermaßen Mitleid, aber man kann ihn nicht lange ertragen. Also es gibt schon psychologische Gründe für die verschiedenen Figuren. Und offensichtlich hat mir der liebe Gott, sofern es ihn gibt, einfach dieses Talent gegeben mit meiner Stimme zu spielen und Bilder zu schaffen.

Gab es denn Vorbilder für die Stimmen im Kopf?
Rufus Beck. Ich habe immer Vorbilder für die verschiedenen Stimmen, aber ich werde nicht verraten, wen ich da vor meinem inneren Auge hatte. Auch muss man dazu sagen, dass die Figuren dann doch anders klangen als die Vorbilder, die ich im Kopf hatte.

Viel Sympathie für Hagrid

Hatten Sie auch einen Lieblingscharakter?
Rufus Beck. Ich habe den Hagrid sehr gerne, den ich mir als Motorrad fahrenden Hells Angel vorstellte – aus Norddeutschland. Ein Riesentyp. Ich finde ihn deswegen so besonders, weil er erstmal furchterregend ist, ganz eigenartige Hobbys hat, gefährliche Tiere süß und spannend findet und sie auch manchmal einfängt. Aber er hat eine Kinderseele und eine große Naivität. Also es gibt da Widersprüche in ihm. Ja, das ist fast meine Lieblingsfigur, Hagrid.

Sie haben viel Zeit mit Harry Potter verbracht, um weit über 100 CD einzusprechen. Hatten Sie da nicht auch mal Probleme, vom Harry-Paralleluniversum zurück zum Muggel-Alltag zu finden?
Rufus Beck. Es sind, glaube ich, 133 CD. Insgesamt hat es zehn Jahre gedauert, weil Joan Rowling sich manchmal ein Jahr, eineinhalb Jahre Zeit gelassen hat, bis der neue Band erschienen ist. Für mich war das kein Problem, vom Harry-Paralleluniversum zurück zum Muggel-Alltag zu finden. Meine Kinder haben sehr davon profitiert, weil ich ihnen oft abends noch Geschichten vorgelesen habe, bevor ich am nächsten Tag ins Studio gegangen bin. Und ich liebe die Studio-Arbeit. Ich habe mir das immer sehr offen gehalten. Ich hatte keinen richtigen Plan, wusste nur grob, wie eine Figur klingen wird, wenn eine neue Figur auftaucht. Aber eigentlich habe ich das sehr aus dem Bauch entschieden.

Die Hörbücher wurden auch durch Ihre Interpretation zu einem ganz eigenen Kunstwerk, vielfach ausgezeichnet. Nun plant Warner Bos. eine Neuverfilmung mit Unterstützung von J.K. Rowling und als Serie. Alles neu also. Und was ist mit den Hörbüchern?
Rufus Beck. Ich muss gestehen, ich habe noch nie einen Harry-Potter-Film gesehen. Die Filme kamen ja viel, viel später auf die Leinwand. Da gab es ja schon drei Hörbücher, und das vierte war in der Mache. Ich habe es bis heute nicht geschafft, mir einen Film anzuschauen, weil ich auch meinen eigenen Harry Potter, so wie ich ihn mir vorstellte und interpretiert habe, nicht beeinflussen lassen wollte. Ich habe Harry Potter in meinem Kopf und ich hoffe, ich habe eine eigene akustische Welt geschaffen. Das Besondere ist ja, dass es drei verschiedene Medien gibt. Das Buch, das ist etwas Kontemplatives, man stellt sich selbst die Figuren vor, man liest und es dauert natürlich viel länger. Dann natürlich das Hörbuch, wo ich ganz eigene Charaktere geschaffen habe. Und dann eben das visuelle Ereignis, der Film und in Zukunft dann auch die Serie. Das sind drei vollkommen verschiedene Medien.

Harry würde sich engagieren

J.K. Rowling ist in letzter Zeit hart in der Gegenwart aufgeschlagen, nachdem sie sich zu Genderfragen und queerer Identität geäußert hatte. Tatsächlich gibt es in ihrer Zauberwelt durchaus diverse Charakter wie den Halbriesen Hagrid oder den Werwolf Lupin. Doch mit Ihrer Distanzierung von Begriffen wie „menstruierende Menschen“ hat sie nicht nur die queere Community gegen sich aufgebracht, auch die Stars der Harry Potter Filme wie Daniel Radcliffe (Harry) oder Emma Watson (Hermine) stellten sich gegen die Autorin. Was würde wohl Harry dazu sagen?Rufus Beck. Harry ist ein Diplomat. Er würde wahrscheinlich sagen, Kinder lasst uns auf dem Boden bleiben. Es ist doch alles nicht so schlimm. Wir können es doch wirklich in Ruhe besprechen. Wir müssen uns nicht immer gleich zu 100 Prozent empören. Ja, ich denke, Harry würde einen Ausgleich finden.

Die Welt hat sich in 40 Jahren verändert. Nicht nur von Gender und Trans war bei Harry Potter nicht die Rede, auch nicht vom Klimawandel. Wo würden Sie heute Harry Potter sehen? Bei den Klimaklebern?
Rufus Beck.  Harry hat ein großes Gerechtigkeitsempfinden. Die heutigen Klimaaktivisten sagen ja zu Recht, diese Welt ist uns geliehen. Wir haben eine Verantwortung für die nachfolgende Generation. Wir können diese Welt nicht zu Tode wirtschaften. Wir müssen etwas tun. Wir haben nur diese Erde. Wir können nicht ausweichen. Und das Klima ist bedroht und damit auch dieser Erdball. Ich bin sicher, Harry Potter würde sich bei den Klimaaktivisten engagieren. In welcher Form sei dahingestellt.

Es sieht allerdings fast so aus, als sei die Zeit über Harry Potter hinweg gegangen. Oder können Sie sich vorstellen, dass er für die nächste Generation noch eine prägende Rolle spielt?
Rufus Beck. Das kann ich mir tatsächlich vorstellen. Ich sehe es auch nicht so, dass die Zeit über Harry Potter hinweg gegangen ist. Harry ist eine unglaublich wichtige Figur. Er hat alle Eigenschaften, die man gerne einem Menschen zuschreibt, den man liebt. Er ist treu, er ist gefühlvoll, mutig, aber auch verletzlich, und er hat ganz viel Empathie. Das ist heute womöglich noch wichtiger als vor 25 Jahren.

Weltrekordversuch zum Jubiläum

Geben Sie denn überhaupt noch Lesungen zu Harry Potter oder ist die Lesung beim Jubiläumsfest eine Ausnahme?
Rufus Beck.  Ich habe in den letzten zehn, zwölf Jahren fast keine Lesungen gemacht, weil ich auch die Rechte nicht bekam von Warner Bros. In den vergangenen Jahren gab es ein paar Jubiläumsveranstaltungen, da konnte ich auftreten, weil ich so eine Harry-Potter-Show hatte. Das waren ja nicht direkt Lesungen, sondern ein Happening, ein Event, weil ich auch spielte. Jetzt werde ich demnächst in Hamburg eine Veranstaltung machen. Da wird es einen Weltrekordversuch geben, wo ganz viele Menschen sich als Harry Potter verkleiden und ich werde da eine Harry Potter Performance oder Lesung machen. Das ist am 26. August in Hamburg.

Keine Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert