Lebendig werden im Kloster

7. Oktober 2020

Das Kloster  als Gegenentwurf zum Lärm der Moderne.  So sieht es Paolo Rumiz, der Wanderer und der Suchende. Auf dem Po ist er durchs unbekannte Italien gereist, auf der Via Appia hat er nach römischen Spuren gesucht und im Leuchtturm sich selbst gefunden. Nun hat sich der überzeugte aber auch verzweifelte Europäer in den Klöstern des Benediktinerordens mit den Wurzeln des europäischen Gedankens auseinandergesetzt und hat in ihnen viel Tröstliches gefunden: grandiose Einsamkeit, unberührte Natur, herzliche Menschen.

Der Rockende Abt von St. Ottilien

Manche der Mönche haben den Schriftsteller tief beeindruckt. Männer wie der ehemalige Abtprimas Notker Wolf, der nicht nur elf Sprachen spricht und Missionar in Afrika war, sondern auch „Smoke on the water“ von Deep Purple auf der E-Gitarre spielen kann und von großen Wirtschaftsunternehmen als Berater geschätzt wird. Überhaupt bewundert Rumiz die blühende Wirtschaft im bayerischen Kloster mit Biogasanlage, Brauerei, Verlag und „Hi-Tech-Stall“. „Mit Claudio spaziere ich verwirrt und argwöhnisch über die gepflegten Kiesalleen dieses Bauernhofs Gottes“, notiert er.

Klöster quer durch Europa

Eine „waffenlose Welt im Niemandsland“ hat er in den europäischen Klöstern gefunden. Und eine enge Verbindung – auch mit den Frauenklöstern. Den Faden zu seinem Buch hat er an einem Kriegerdenkmal in Triest aufgenommen, ihm ist er quer durch Europa gefolgt, zu Klöstern in Deutschland und Frankreich, in Österreich und in Ungarn und natürlich in Italien. Ganz unterschiedliche Gemeinschaften hat er vorgefunden – reiche und arme, Bierbrauer und Winzer, Urchristen und Einsiedler. Immer aber hat er im Kloster  gute Gespräche geführt und sich willkommen gefühlt.

Hoffnung für die europäische Idee

„Im heiligen Umkreis deiner Abteien, Benedikt“, schreibt er am Ende, „habe ich immer einen sicheren Hafen und eine Zuflucht vor dem teuflischen Geschrei gefunden, vor der Verwirrung der Seelen und dem materialistischen Egoismus, der uns umgibt.“ Paolo Rumiz kann begeistern, er spielt mit der Sprache wie auf einem Musikinstrument, und er zehrt von einem großen Wissensschatz, an dem er die Leser gern teilhaben lässt. So folgt man gern seinem „unendlichen Faden“ durch die Benediktiner-Klöster und hofft mit ihm, dass die europäische Idee auch die derzeitige Krise überlebt und dass Europa trotz wachsender und unchristlicher Fremdenfeindlichkeit ein gastfreundlicher Raum bleibt.

Hineingelesen…

…. Rumiz‘ Europa

Auf diesen Reisen habe ich unzählige Male gehört, wie dein Name, Europa, vergebens heraufbeschworen wurde. Du hast das belagerte Sarajewo im Stich gelassen. Deine Soldaten haben beim Massaker von Srebrenica zugesehen, ohne mit der Wimper zu zucken. Ich habe gesehen, wie du mit Diktatoren auf der ganzen Welt paktiert hast, du hast die Aufständischen in der Ukraine im Stich gelassen, die von Erdogan unterdrückten türkischen Intellektuellen, die jungen Serben, die sich gegen die nationalistische Bande aufgelehnt haben, die das Land in Geißelhaft hielt. Jetzt lässt du die Migranten im Meer sterben und siehst zu, wie das Mittelmeer zum größten Massengrab des Planeten wird. Du, meine Mutter, hast Ausschwitz hervorgebracht, den Tod von Zivilisten in Kauf genommen, schreckliche Kriege angezettelt. Das alles ist in jüngster Vergangenheit passiert, doch uns „Zivilisierten“ erscheint das wie graue Vorzeit, ein Schrecken der sich unmöglich wiederholen kann. Und das ist furchtbar, denn die Erinnerung an den Schrecken ist das einzige Mittel zu verhindern, dass er sich wiederholt.

Info: Paolo Rumiz. Der unendliche Faden – Reise zu den Benediktinern, den Erbauern Europas, Folio Verlag, 237 S., 22 Euro

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