Mutmenschen in den Bergen

17. März 2020

„Das ist doch der Gipfel“ hat Andreas Lesti seine „Geschichten von den Bergen der Welt“ überschreiben.  Von Mutmenschen und Pionieren handelt diese Essay-Sammlung und auch davon, „wie aus dem ehemaligen Schreckensort Alpen ein Sehnsuchtsort wurde“.  Der Alpinist und Autor Andreas Lesti hat manche der geschilderten Routen selbst  begangen und mit einigen der Porträtierten gesprochen. Aus seiner Faszination für die Welt der Berge und die „Helden der Vergangenheit“ macht er kein Hehl. An 15 Porträts und Geschichten hangele sich das Buch durch Zeit und Raum, schreibt er im Vorwort. Es lohnt sich, jede einzelne zu lesen – und dazu auch Rekordsammlung hinter den einzelnen Kapiteln. Denn Andreas  Lesti ist ein ebenso versierter Kenner der Alpingeschichte wie ein guter Erzähler.

Der Dichterfürst auf der Furka

Da erfährt man etwa, dass Belsazar Hacquet 1785 von einem Bergsteiger erwartete, er müsse „in allen Fällen beherzt seyn und keine Furcht vor hohen, noch gähen Abstürzen haben“. Oder dass Deutschlands Dichterfürst 1779 auf der Furka Kälte und Eis erlebte und später die Bergkletterei als etwas Barbarische verurteilte. Man liest mit Interesse, dass Alexander von Humboldt, der eher als Universalgelehrter denn als Alpinist bekannt ist, 1802 am Chimborazo einen Höhenrekord aufgestellt hat. Und man wundert sich über die Brüder Schlagintweit, „die Huber-Buam des 19. Jahrhunderts“ oder auch „die Brüder Grimm des Alpinismus“, die in Indien einen neuen Höhenweltrekord aufstellten und gänzlich in Vergessenheit geraten sind. Ganz anders als Miss Jemima Morell, die 1863 mit einer Thomas-Cook-Gruppe über den Gemmi-Pass stieg und diese Reise ziemlich bissig kommentierte.

Touristenbeschimpfung 1864

Auch eine erste Touristenbeschimpfung hat Lesti in diesem Zusammenhang notiert. 1864 schrieb Leslie Stephen in „The Playground of Europe“: „Mit weltanschaulichen Augen vertiefe ich mich in das Wesen des gemeinen Touristen, der wohl zu den übelsten Abarten des gehobenen Affen gehört.“ Wer weiß schon, dass 1869 mit der Hündin Tschingels das erste weibliche Wesen auf einem Gipfel stand? Und dass es Tschingels damit zur „offiziellen Ehrenmitgliedschaft im Britsh Alpine Club“ geschafft hat – eine Ehre, die ihrem Frauchen verwehrt blieb. In den ehrenwerten Club wurden Frauen erst 1974 aufgenommen. Zu spät für Meeta Brevoort, die mit Hund und Neffen eine ganze Gipfelliste abarbeitete.

Teuflischer Alpinist und mutige Frau

Aleister Crowley, der seinerzeit als Teufel in Menschengestalt galt, hat sich am K2 versucht ebenso wie später der Sachse Fritz Wiessner, der an dem Berg ein „bizarres Drama“ (Reinhold Messner) erlebte. Schließlich Wanda Rutkiewicz, die 1992 am Kjangchenzönga tödlich verunglückte, ein Opfer ihres Ehrgeizes. Rutkiewicz, die 1973 als erste Frau durch die Eiger Nordwand kletterte und 1978 als erste Europäerin auf dem Everest stand, träumte davon, der weibliche Reinhold Messner zu sein. Die Leser lernen den alten Norman Dyhrenfurth kennen, der 1963 die 1. Amerikanisches Mount Everest Expedition leitete, sie lesen über eine Alpendurchquerung auf Skiern entlang des Alpenkamms und über zwei Österreicher, die 1981 den Manaslu bestiegen und mit Skiern abfuhren.

Der Tod lauert hinter jedem Felsen

Am Ende steht eine Art Nachruf auf David Lama, einen der profiliertesten Solo-Kletterern der Welt, der 2019 in Kanada zusammen mit Hansjörg Auer und Jess Roskelley in einer Lawine ums Leben kam. „Der Tod gehört zum Alpinismus wie das Tal zum Berg“, resümiert Andreas Lesti. Selbst wenn Seilbahnen bis auf den Gipfel führen, wenn Karawanen von Touristen den Everest bedrängen, die Berge lassen sich ihr Geheimnis nicht entreißen. Auch das ist eine Lehre aus diesem schön gemachten Büchlein.
Info: Andreas Lesti. Das ist doch der Gipfel – Geschichten von den Bergen der Welt, Bergwelten, 143 S., 18 Euro

Keine Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert