Quo vadis, Europa?

5. Oktober 2023

Paolo Rumiz erzählt in seinem neuen Buch  von einer Reise, einer Reise zu Wasser auf einem alten Segelboot. Vier Freunde haben sich zusammengetan, um gemeinsam das Meer zu bereisen, das Europa von Asien trennt. Doch das Mittelmeer, wie Paolo Rumiz es erlebt, hat seine Unschuld verloren. Es ist „ein Schlachtfeld, aber auch das Meer des Massentourismus, der autokratischen Kräfte, der Schiffsbrüche, des Klimawandels“, so beschreibt der Reise erfahrene Autor es in einem Interview.

Liebeserklärung an Europa

Von diesem Meer handelt sein Buch – und von Europa. Es ist eine Liebeserklärung an den alten Kontinent, die der griechische Kapitän Petros formuliert: „Er kannte keine andere Region, so wunderschön gelegen zwischen Bergen, Ozeanen und Steppen, wo auf einem Raum die Birke mit dem Feigenbaum und der Agave wächst, wo es Kathedralen gibt und alpine Schutzhütten, Inselgruppen und mäandernde Flüsse, Synagogen, Leuchttürme und Minarette.“

Flucht in die Antike

Doch dieses Europa ist bedroht, von innen und von außen. Auch die Touristen tragen ihren Teil dazu bei: „Die Ferienflieger stürzten sich herab auf das Bergplateau… Es waren Heerscharen auf All-inclusive-Urlaub, sie degradierten die Griechen zu Servierkräften und plünderten die Seele eines jeden Orts.“ Die Seefahrer wollen sich nicht mit diesen Menschen gemein machen, bleiben unter sich und reisen in ihren Träumen lieber zurück in die Antike: Zu Odysseus, dem Vater aller Irrfahrten, zu der Sage um den Göttervater Zeus und die schöne Europa.

Die schöne Flüchtige

Eine solche Europa ersinnt auch Paolo Rumiz, eine schöne Flüchtige aus Syrien, die auf dem Segelschiff Schutz sucht und die Sinne der vier Männer verwirrt. Die junge Frau steht sinnbildlich für die Menschen aus dem Orient, die von den Verhältnissen in ihren Ländern in die Flucht getrieben werden und für die das Mittelmeer allzu oft zum Grab wird.

Endstation Europa

„Wir sind die Endstation aller Flüchtlinge aus dem Osten“, sagt Paolo Rumiz und fordert von den Europäern mehr Geschichtsbewusstsein. In seinem „Gesang“ verwebt er das Reiseabenteuer mit Mythen und christlicher Überlieferung.

Weckruf an die Europäer

Das Buch ist nicht immer leicht zu lesen, setzt Grundkenntnisse griechischer Mythologie und christlicher Religionslehre voraus. Aber die poetisch verpackte Verzweiflung des 76-jährigen Autors an der Entwicklung Europas verfehlt nicht ihre Wirkung. Sein Gesang wird zu einem Weckruf, zur Aufforderung, Europas Werte nicht zu zerstören.

Plädoyer für die Flüchtenden

„Jahrhundertelang haben wir – als sei es unser universal geltendes Recht – darauf gepocht, auswandern zu dürfen, und weil sich jetzt der Strom auf uns zu bewegt, beauftragen wir ruchlose Milizen, die Außengrenzen gegen die Allerschwächsten … zu verteidigen, unsere Türen öffnen wir nur ausgewählten Individuen, aber nicht sogenannten Anderen. Armseliges Europa.“
Auch weil es unsere Wahrnehmung für Ungerechtigkeiten schärft, könnte dieses so andersartige Buch von Paolo Rumiz ein lesenswerter Begleiter bei Reisen ans Mittelmeer oder innerhalb Europas sein.

Info  Paolo Rumiz. Europa – Ein Gesang, Folio, 280 S., 25 Euro, ISBN 978-3-85256-877-5

Keine Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert