Andreas Altmann und wie er die Welt sieht

10. Oktober 2023

„Morning has broken“ – der Titel des neuen Buches von Andreas Altmann über Leben, Reisen, Schreiben nimmt den Cat-Stevens-Hit zum Motto. Altmann, der unermüdlich Reisende und Schreibende kann sich sicher mit der Zeile identifizieren: Mine is the sunlight, mine is the morning (mein ist das Sonnenlicht, mein ist der Morgen), eher weniger mit dem Lobpreis Gottes. Denn, obwohl auch Andreas Altmann altersmilde geworden ist und das „moralisch Hochgerüstete“ ihn verlasen hat, mit dem lieben Gott hat er seine liebe Not.

Leben und Schreiben

Sein Buch ist aber eine Hymne auf das Leben, das für ihn gleichzusetzen ist mit „Erleben“. Und ein Lob des Schreibens, das ihm dieses Erleben erst ermöglicht: „Mein Hauptwohnsitz ist die deutsche Sprache, nebenbei wohne ich in Paris.“
Es ist ein ehrliches Buch geworden ohne Selbstüberhöhung, auch ohne allzu große Selbstentblößung. Ein Buch über die Schönheit der Sprache: „Ich genieße die kleinen Siege der Poesie. Nie wird sie Berge versetzen, aber mit nichts als ein paar Worten Nähe und Wärme zwischen zwei Fremden zaubern.“

Über das Reisen

Natürlich ist es auch ein Buch über das Reisen, wobei Andreas Altmann auch dabei Grenzen setzt: „Ich misstraue allen, die rastlos abwesend sind, ich kann das nicht. Ich muss zwischendurch stehen bleiben. Zum Tanken, zu Hause. Weil nach drei Monaten on the road der Speicherplatz im Kopf Überläuft. Irgendwann haben kein Bild und keine Story mehr Platz. Das Herz will Atem holen, wie die Augen, die erblinden, die sehen und doch nicht sehen, nicht wirklich nicht haargenau, nicht haarscharf.“

Mit offenen Augen

Dass auch ihm, dem Globetrotter, auf Reisen so einige Missgeschicke passiert sind, räumt er fast augenzwinkernd ein. Episodenhaft erzählt er von frechen Dieben, unerfreulichen Flugerlebnissen und folgenreichen Fahrrad-Stürzen. Grundsätzlich teilt Andreas Altmann die These von Joseph Conrad, dass Reisen dabei helfen soll, sehen zu lernen. „Auch die finsteren Ecken, auch da, wo der Blick das Herz aufschneidet, ja, den Lebensmut anfranst.“

Schonungslose Offenheit

Da ist er dann wieder, der alte Altmann, der sich und andere nicht schont – auch nicht die Lesenden, wenn er zum Beispiel die Verbrennung einer jungen Toten in Indien in allen Details schildert: „Immer wieder starre ich auf die Tote, deren Kopf sich langsam aufrichtet, mit den versengten Haaren und den züngelnden Flammen aus den Augenhöhlen…“ So etwas muss man verkraften. Aber Andreas Altmann sieht sich auch als Chronist, als einer, der davon berichtet, was ist – ohne Scheu und ohne Tabus.

Wider die Cancelkultur

Umso mehr ärgert den Weltreisenden die neue Cancelkultur, geißelt er die Wortminen, die „tugendreiche Rechthaberei“: „Keine einzige schlimme Silbe darf geflüstert werden, keine einzige kontroverse Idee soll vorkommen, ja, nie und nimmer etwas Schweinisches zu hören sein.“ Das allerdings wäre das Ende für Andreas Altmann. Denn wie kaum andere liebt er die Provokation. Und seine Leserinnen und Leser lieben ihn dafür.

Info  Andreas Altmann. Morning has broken, Piper, 263 S.,22 Euro

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