Jonathan Coe („Middle England“) wird immer mehr zum Gewissen der englischen Gegenwart. Auch in seinem neuen Roman „Bournville“, der einen Zeitraum von 75 Jahren umspannt, geht es um das Zusammenspiel von Politik und Privatleben – diesmal verdeutlicht durch die einzelnen Kapitel, welche die Lesenden von den Feiern zum Ende des Zweiten Weltkriegs bis zu deren 75. Jahrestag führen. Royale Ereignisse Dazwischen hat Coe Wegmarken britischer Geschichte gesetzt wie die Krönung Elizabeths II., die Investitur von Charles als Prinz of Wales, die Hochzeit von Charles und Diana und die Beisetzung von Diana. Sie zeigen, wie eng verwoben das gesellschaftliche Leben in Großbritannien mit der Monarchie war und vielleicht auch noch ist. Deutsche und Engländer Ein einziges Kapitel fällt aus dem Rahmen: Das Finale der Fußballweltmeisterschaft England gegen (West)Deutschland. Aber im Kontext des Romans ist es ebenfalls wichtig, denn Jonathan Coe geht es auch um die deutsch-englischen Beziehungen und um das Verhältnis von Großbritannien zur Europäischen Gemeinschaft. Das klingt alles nach trockener Theorie, liest sich aber so süffig, dass man die 400 Seiten viel zu schnell gelesen hat. Denn dieser Autor versteht sein Handwerk. Corona und der Tod Der Roman beginnt mit den Einschränkungen durch die Corona-Pandemie, und er endet mit den…
Sie sind ganz normale Bürger in mittleren Jahren und sie leben in den englischen Midlands, da, wo man auch Tolkiens Hobbits verorten könnte. Der lange glücklose Autor Benjamin Trotter, seine Schwester Lois, seine Freund Doug, ein linker Journalist, und Philip, ein Kleinverleger. Jonathan Coe hat über diesen Personenkreis schon öfter geschrieben, etwa 2001 in „The Rotters Club“. Doch „Middle England“, der Roman, den die englische Kritik als „Brexit-Roman“ einstufte, ist anders. „Dies ist ein Buch, das die Gegenwart voraussagt“, urteilte der Guardian. Miese Stimmung im Land Tatsächlich setzt die Handlung 2010 ein, als Cameron mit den Liberaldemokraten die erste Koalition in Großbritannien seit Generationen schmiedete. Die Leser werden Zeugen der Londoner Unruhen und der Ermordung der britischen Labour-Abgeordneten Jo Cox. Sie erleben eine kurze Hochstimmung während der Olympischen Spiele und die Anti-Migranten-Hetze des Nigel Farage. Die Stimmung im Land ist mies, wie Doug feststellt: „Die Leute sind mittlerweile so sauer, und niemand weiß, was man dagegen tun kann. .. Die Wähler sehen diese Typen in der City, die vor zwei Jahren praktisch die Wirtschaft zerstört haben und dafür nie irgendwie belangt worden sind – keiner von ihnen ist in den Knast gewandert, und jetzt streichen alle wieder ihren Bonus ein,…