Der verstummte Sänger
Rezensionen / 27. April 2019

Mit der Melodie „Ein Lied geht um die Welt“ wurde der kleinwüchsige Tenor Joseph Schmidt endgültig zum Liebling der Deutschen. Und doch war seiner Karriere ein baldiges Ende beschieden, geriet der Sänger in Vergessenheit. Denn Joseph Schmidt war Jude. Der Mann, der noch 1937 in der Carnegie Hall aufgetreten war, dessen Stimme Millionen rührte, war in Nazideutschland unerwünscht. Keine Gegenwart ohne Vergangenheit Heimatlos wie so viele andere irrte er durch Europa und hoffte auf Asyl in der Schweiz. Aber auch bei den Eidgenossen war der jüdische Emigrant unerwünscht. Schon schwer krank wurde er ins Internierungslager Girenbad überwiesen, wo er an einer Herzschwäche starb. Lukas Hartmann holt den vergessenen Tenor mit seinem Roman „Der Sänger“ ins Rampenlicht – zu einer Zeit, in der wieder einmal über die Beschränkung der Flüchtlingszahlen diskutiert wird und über die Opfer, die der Bevölkerung angesichts der Menge der Immigranten aufgebürdet werden. Der Schweizer Autor, der in seinen Romanen immer wieder zeigt, dass die Gegenwart ohne Vergangenheit nicht denkbar ist, geht dabei mit seinem Heimatland, das sich in der Rückschau selbstgerecht als Bastion der Demokratie feiert, ins Gericht. Nationaler Egoismus verstellte den Blick auf das Elend der Emigranten, man verschloss die Augen vor der Tragödie vor der…

Amour fou in der besten Gesellschaft
Rezensionen / 27. März 2018

Die Geschichte ist filmreif: Die einzige Tochter des mächtigsten Schweizers des 19. Jahrhunderts heiratet den Sohn eines Bundesrats, der mit ihrem Vater verfeindet ist. Dann verliebt sie sich in den Jugendfreund ihres Mannes, einen unberechenbaren Künstler, der ein Bild von ihr malen soll – und brennt schließlich mit ihm durch. Worauf er ins Gefängnis und sie in eine Anstalt gesteckt wird. Wenig später bringen sich beide um. Kein Roman, sondern die die wahre Liebesgeschichte von Lydia Welti-Escher (1858–1891), Tochter des Gotthard-Königs Alfred Escher, und Karl Stauffer-Bern (1857–1891). Die Tragödie aus der Sicht des Dienstmädchens  Lukas Hartmann, der vorzüglich Historisches in Romanform gießen kann, hat daraus einen Roman gemacht, in dem er die Tragödie aus der Sicht des Hausmädchens Marie Louise Gaugler erzählt. Auch dieses Mädchen gab es tatsächlich, wie Hartmann herausgefunden hat. Als 15-Jährige kam Luise in den herrschaftlichen Wohnsitz der Familie Welti-Escher. Das anfangs unbedarfte Mädchen wird zur engen Vertrauten der unglücklichen Millionenerbin, und die beiden so ungleichen Frauen nähern sich einander immer mehr an. Luises Liebe ist der Gegenentwurf zu Lydias Leidenschaft Auch Luise lernt die Liebe kennen, verzichtet aber aus Treue zu ihrer Arbeitgeberin lange Zeit auf deren Erfüllung. Erst nach dem Tod Lydias heiratet sie ihren…