Am Ende aller Hoffnung
Rezensionen , Romane / 10. Dezember 2024

Der in Minsk geborene Sasha Filipenko macht aus seiner Gegnerschaft zum Präsidenten von Belarus kein Hehl. In seinem neuen Roman „Der Schatten einer offenen Tür“ zeichnet der heute in der Schweiz lebende Schriftsteller ein düsteres Bild der russischen Gegenwart – inspiriert von einer wahren Geschichte. Ein Geschenk mit Nebenwirkungen Der Roman ist eingeteilt in 24 Gesänge. Am Ende stehen Epilog und Postskriptum. Im Epilog geht es nochmal um die wichtigsten Personen und Handlungen des Romangeschehens: Um den Moskauer Kommissar Alexander Koslow, der als Ermittler nach Ostrog geschickt wurde, nachdem sich in einem Kinderheim mehrere Kinder selbst getötet hatten. Und um das Danaergeschenk des Bürgermeisters, der den Waisenkindern Ferien am Meer spendiert hatte, was dazu führte, dass sie hinterher noch unglücklicher waren. Ein Kauz als Bauernopfer Der Kommissar ist zunächst ratlos, auch weil er primär mit sich selbst beschäftigt ist, seit seine Frau ihn verlassen hat. Warum soll er sich da in der Provinz mit unfähigen Polizisten und sadistischen Wärtern rumschlagen? Deren Opfer ist der gutwillige Kauz Petja Pawlow, der selbst im Kinderheim aufgewachsen ist. Ausgerechnet der harmlose Petja soll die Jugendlichen ermordet haben. Dabei weist nichts auf Fremdeinwirkung hin. Aber bei jedem Opfer wurde seine DNA gefunden. Er muss also…

Asche der Erinnerung
Rezensionen , Romane / 23. Februar 2023

„Meine Funktion war sehr einfach: Leiche rein, Asche raus, Knochenreste im Kremulator zermahlen.“ Der da spricht ist Pjotr Nesterenko, Gründer und Leiter des Moskauer Krematoriums, und als Ich-Erzähler in Sasha Filipenkos Roman Kremulator  genannt. Der belarussische Autor siedelt seinen gleichnamigen Roman in der Zeit der stalinistischen Säuberungen an. Nesterenko wird der Spionage für eine feindliche Macht beschuldigt und ausführlichen Verhören unterzogen. Er muss wohl mit der Todesstrafe rechnen. Trotzdem verlaufen die Verhöre „nicht frei von Komik“, wie der Angeklagte notiert. Bühne für persönliche Rückschau Ganz unschuldig daran ist Nesterenko daran nicht. Er nutzt die Verhöre auch als Bühne für seine ganz  persönliche Rückschau. Denn der Mann war nicht nur der Gründer des Moskauer Krematoriums, er stammt aus altem Adel, hat für die Weißrussen gekämpft,  war in Kiew,  ist in Paris Taxi gefahren, arbeitete  in Istanbul und in Serbien. Kurz, er hat so einiges aus der Welt außerhalb der großen Sowejetunion mitgekriegt. Geschichte einer großen Liebe Diese Weltläufigkeit imponiert dem jungen Ermittler Perepeliza und macht ihn doppelt misstrauisch. Was zum Teufel hat diesen Nesterenko dazu getrieben, von einem Ort zum anderen zu reisen, von einem Job zum anderen zu wechseln? Perepeliza ahnt nichts von der großen Liebe, die den Angeklagten seit…

Ein Land im Koma
Rezensionen / 25. März 2021

Was für ein Buch: Sasha Filipenko, 1984 in Minsk geboren und in St. Petersburg lebend, hat das belarussische Drama in einen Roman gegossen, der niemand kalt lassen kann. Zu gegenwärtig sind noch die verzweifelten Demonstrationen gegen Lukaschenko auf den Straßen von Minsk. „Meine inständige Hoffnung ist, dass diese Buch in meinem Land eines Tages nicht mehr aktuell sein wird“ schreibt der Autor im Vorwort. Keine Hoffnung auf Freiheit Es sieht nicht danach aus, als würde diese Hoffnung bald in Erfüllung gehen. Es sieht eher danach aus, als würde das Land unter dem ungeliebten Diktator weiter im Koma dahinsiechen, als würde alles bleiben wie es ist. Keine Aussicht auf Veränderung, keine Hoffnung auf Freiheit. Filipenko hat dafür Bilder gefunden, die haften bleiben. Angepasstes Leben Im Zentrum des Romans steht der 16-jährige Franzisk Lukitsch, der bei seiner liebevollen aber strengen Babuschka aufwächst und in einem staatlichen Gymnasium Cello lernt. Die Lehrer sind angepasst, unterrichten nach staatlicher Interpretation, andere haben keine Chance. Franzisk und seine Freunde sind es leid, wollen Spaß haben, die Jugend genießen, das Leben feiern. Doch bei einer Massenpanik wird der Junge schwer verletzt und fällt ins Koma. Die Hoffnung der Babuschka Obwohl der behandelnde Arzt und spätere Mann der…

Das Schicksal ist ein Hütchenspieler
Rezensionen / 14. April 2020

Sasha Filipenko, 1984  in Minsk geboren,  hat sich als junger Autor  an ein großes Thema gewagt,  den Stalin-Terrror.  Bewältigt hat er das heute wieder heikle Thema auf eine sehr originelle Weise:  Alexander ist gerade in das Haus in Minsk eingezogen, da lauert ihm die alte Nachbarin auf. Was für eine aufdringliche alte Hexe, denkt der junge Mann aufgebracht. Und doch lässt er sich von Tatjana, so heißt die von Alzheimer Neunzigjährige, in ihr Leben hineinziehen. Ein Leben, geprägt von Leid und Gewalt. Denn, weil Tatjanas Mann in Kriegsgefangenschaft geriet, musste sie um ihr Leben und das ihrer Tochter fürchten – auch wenn sie seinen Namen durch den eines anderen ersetzte. Kriegsgefangene als Landesverräter Dass Kriegsgefangene unter Stalin als „verwerfliche Deserteure“ zu betrachten und ihre Familien „als Angehörige von eidbrüchigen und landesverräterischen Fahnenflüchtigen zu verhaften“ waren, hat Sasha Filipenko zu seinem Roman „Rote Kreuze“ inspiriert. Auch Tatjana entgeht nicht der Verhaftung, sie wird von ihrer Tochter getrennt und tagelang verhört und vergewaltigt. Am Ende landet sie in einem menschenunwürdigen Lager wie Solschenizyns „Gulag“. Nur der Gedanke, irgendwann doch noch Mann und Tochter wiederzusehen, hält sie am Leben – und der Wunsch, sich bei dem Mann zu entschuldigen, dessen Namen sie anstelle…