Werner Herzog – ein Leben im Ausnahmezustand

22. Dezember 2022

Werner Herzog ist eine Ausnahmeerscheinung – als Regisseur, als Autor und als Mensch. Auch deshalb ist dieses Buch über sein Leben so außergewöhnlich. Herzog erzählt in „Jeder für sich und Gott gegen alle“ nicht linear, er reiht Erinnerungen aneinander. An die Kindheit in Sachrang, wo es nur im Herbst und Winter Schuhe gab und alles „in einem Zustand der Anarchie“ war. An die Frauen in seinem Leben, ohne die sein Leben „ein Nichts gewesen wäre“.

Artverwandte Film-Heroen

Aber dieses inzwischen 80 Jahre währende Leben war alles andere als ein Nichts. Es hat ihn durch die ganze Welt geführt, hat ihn lebensgefährliche Abenteuer erleben und Freundschaften schließen lassen. Vieles, was er erlebt hat, ist in seine Filme eingeflossen. Und die Heroen dieser Filme, schreibt er, „sind alle artverwandt“, unterschätzte Visionäre wie Echnaton, „er ein halbes Jahrtausend vor Moses eine frühe Form des Monotheismus einführte“.

Kinski,  der liebste Feind

Immer wieder kommt der alte Herzog auf seine Kindheit zurück, auf die Care Pakete, von denen eines das Buch „Pu der Bär“ enthielt, „eine Offenbarung“. Und dann München in der Nachkriegszeit, ein Abenteuerspielplatz für die Kinder. Später die Wohnung in Schwabing und das erste Zusammentreffen mit Klaus Kinski, der Herzogs „liebster Feind“ wurde. Kinskis Tobsuchtsanfälle imponierten dem jugendlichen Herzog. Sie erschienen ihm „wie ein Tornado, der eine Schneise der Verwüstung hinterlässt“.

Ein fernes Echo von Gott

Mit 14 ließ er sich taufen, nach ein paar Jahren trat er wieder aus der Kirche aus – ein ewiger Zweifler. Aber in vielen seiner Filme hat er selbst „ein fernes Echo von Gott“ gesehen. Etwa in „Jeder für sich und Gott gegen alle“ oder in „Aguirre, der Zorn Gottes“. Auch das Bayerische hat er nie ganz abgelegt: „Bayerisch ist meine erste Sprache, die Landschaft ist meine Landschaft, und wo meine Heimat ist, weiß ich nicht“, schreibt der Vielgereiste, der mit seiner Frau Lena, einer Fotografin, in Los Angeles lebt.

Ein Tanz auf dem Seil

Schon früh ist er gereist, erst innerhalb Europas, aber mit 18 bis an die Grenze zum Kongo. Eine Reise, die ihn selbst an die eigenen Grenzen brachte. Wie viele seiner Filme war sein Leben immer wieder ein Tanz auf dem Seil. Schließlich sollten seine Filme so authentisch wie möglich sein. Und dafür scheute Herzog weder Mühen, Plagen noch Naturgefahren. Bei Fitzcarraldo, erinnert er sich, kam „alles an Katastrophen, die man sich ausdenken kann … über mich“. Er hat durchgehalten, hat mit einer scheinbar nie versiegenden Neugier immer wieder neue Projekte in Angriff genommen.

Der Innenminister  in der Kühlkammer

Dabei hat er auf seinen Reisen auch Unaussprechliches gesehen wie den halben Innenminister Bokassas in einer Kühlkammer: „Er hing dort noch, wie man eine Schweinehälfte an einer Ferse aufhängt. Bokassa hat ihn wegen Hochverrats erschießen lassen und im Anschluss ein Bankett gegeben, bei dem seine Gäste den Innenminister aßen.“

Die Kategorie der Einsamen

Diesen Mann kann so leicht nichts erschüttern, auch nicht die Auseinandersetzungen mit dem Star seiner berühmtesten Filme, Klaus Kinski. „Wir planten wechselseitig Mord an einander“, schreibt Herzog rückblickend. Glücklicherweise haben beide diese Zeiten körperlich unbeschadet überlebt. Auch andere Männer haben Herzog beeindruckt, Reinhold Messner ist für ihn „der größte Bergsteiger“ und mit Bruce Chatwin verband ihn eine Freundschaft. Auch mit seinen Brüdern hat er einen engen Kontakt. Trotzdem ist er überzeugt: „Ich gehöre wohl in die Kategorie der Einsamen.“

Ein Jahrhundert-Fehler

Filme drehen will er auch mit 80 Jahren. Die Ideen gehen ihm nicht aus. „Die Welt zu lesen“ habe ihn nie losgelassen. „Ich komme nie nach!“ Mit dem 20. Jahrhundert hat Werner Herzog  allerdings abgeschlossen. Er hält es „in seiner Gesamtheit für einen Fehler“.

Info Werner Herzog. Jeder für sich und Gott gegen alle, Hanser Literaturverlage, 352 S., 28 Euro

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