Vergewaltigt

21. Mai 2021

„Warum hast du nicht geschrien?“ fragte die Freundin, der Sophie Hardcastle von der Vergewaltigung durch ihren Freund erzählte. „Warum hast du nicht geschrien?“ fragt auch einer der Mitsegler auf dem Boot, nachdem Olivia verstört auftaucht. „Unter Deck“ so der Titel des Romans greift diese oft gestellte Frage auf und beantwortet sie auch. Was hätte es genutzt, wenn sie geschrien hätte, denkt Oli. Unter Deck hätte sie keiner gehört. Und wie ihr bleibt sexuell bedrängten Frauen oft der Schrei im Hals stecken.

Dem Meer verfallen

Olivia, die schon von ihrem Freund Adam gegen ihren Willen zum Sex „verführt“ worden war und sich dann von ihm trennte, hätte es eigentlich besser wissen müssen. Doch nach einer überaus harmonischen Erfahrung mit dem alten Mac und seiner charismatischen Freundin Maggie auf See, ist sie der Magie des Meeres verfallen und kommt vom Segeln nicht mehr los. Deshalb heuert sie auch auf dem Segelschiff von Vlad und seinen Kumpanen an.

Fünf Männer und eine Frau

Alle auf den ersten Blick ziemlich sympathisch, ja attraktiv. Vor allem von AJ fühlt sich Olivia angezogen, auch wenn es Cam ist, der ihr ganz offen Avancen macht. Nach einer gemeinsamen Nachtwache passiert es dann: AJ nimmt sich, was er haben will – gegen den Widerstand Olis.  Die Vergewaltigung ist schon hart genug, doch noch härter ist, was dann folgt.

Ausgesetzt im Beiboot

Weil sie frühzeitig ihre Menstruation bekommt und das Bett voll geblutet hat, setzen die Männer die junge Frau wie eine Aussätzige im Beiboot aus, das sie hinter sich herziehen. Das zutiefst demütigende Erlebnis stürzt Oli in eine psychische Krise, über die ihr Mac und Maggie nur oberflächlich hinweghelfen können. Denn das Trauma der Vergewaltigung verfolgt sie auch noch, als sie schon längst erfolgreiche Galeristin ist. Ihr Verhältnis zu Männern ist nachhaltig gestört.

Meeresungeheuer

Sophie Hardcastle beschreibt die Vergewaltigung und die darauf folgende Ausgrenzung Olivias verstörend drastisch. Der Gegensatz zwischen dem ersten Teil „Meeresgarten“, in dem die Kapitel Blumennamen tragen, und dem zweiten „Meeresungeheuer“, in dem das letzte Kapitel den Namen „Medusa“ trägt, könnte nicht größer sein. Der dritte Teil „Wüste“ spielt mit viel farbigem Sand und endet mit einem „Eisberg“.

Viel Symbolik

Es ist viel Symbolik in diesem schmerzhaft eindringlichen Roman, leider aber auch ein bisschen viel esoterisches und feministisches Geschwurbel. Gegen Ende des Buches gibt es so etwas wie eine Katharsis, nachdem Olivia endlich die lange unterdrückten Schreie loswerden konnte. Was für Oli der Schrei ist für Hardcastle dieser Roman, mit dem sie sich ihr eigenes Trauma von der Seele geschrieben hat. Entstanden ist ein ehrliches, aufwühlendes Buch über ein lange tot geschwiegenes Thema.

Hineingelesen…

… in AJ‘s Vorspiel

AJ schiebt die segel auf dem Bett zur Seite und schafft dadurch Platz für eine Person. Das Boot schlingert, und unsere Köpfe stoßen gegeneinander. Sein leises Lachen streift meine Wange. „Hast du dir wehgetan?“
„Nein.“
„Gut“, flüstert er und schiebt mir die nassen, verfilzten Haare aus dem Gesicht. Seine Augen lächeln im Dunkeln.
Er berührt mein Kinn, hebt es sanft mit Daumen und Zeigefinger nach oben. Unsere Lippen berühren sich.
AJ nähert sich erst langsam. Und ist dann plötzlich überall gleichzeitig.
Schlagartig stößt er mir seine Zunge in den Hals, schiebt seinen Arm unter mein durchweichtes Oberteil, packt meine Brust mit seiner kalten Hand, als wollte er eine Zitrone auspressen.
Und schon erlöschen sämtliche Farben des Verlangens, sämtlich sich berührenden Fingerspitzen, sämtliche leisen Worte und Grübchen und lächelnden Augen. Wie ein brennender Docht, den jemand zwischen Daumen und Zeigefinger ausdrückt. Ein Zwicken, heftig und beißend.
Schwielige Haut. Bedrohliche Dunkelheit.
Ich drücke AJ ein Stück nach hinten, zwänge das Wort „Warte“ in den schmalen Korridor zwischen seinem Mund und meinem.
„Ich warte schon so lange darauf, dich zu küssen.“
„AJ, stopp.“
Er küsst mich erneut, kneift mich so fest in die Brustwarze,dass rosa Flecken vor meinen Augen auftauchen.
Ich würde, ersticke an Fleisch.
„Du bist so verdammt sexy.“
Ich stehle einen Atemzug. Die Luft ist schwer und feucht.
„AJ.“
„Mm.“ er grinst. Leckt sich die Lippen. „Ich liebe es, wie du meinen Namen sagst.“
„Bitte!“ Meine Kehle schnürt sich zusammen, mir schießen die Tränen in die Augen.

Info Sophie Hardcastle. Unter Deck, Kein & Aber, 318 S., 23 Euro

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