Abstieg in die Unterwelt

8. Oktober 2019

„Seit jeher vertrauen wir dem Unterland an, was wir fürchten und loswerden wollen und was wir lieben und bewahren wollen“, stellt Robert MacFarlane im Eingangskapitel zu seinem großartigen Buch „Im Unterland“ fest. In drei „Kammern“ nimmt der ausgezeichnete Literaturwissenschaftler und Naturschriftsteller die Leser mit auf die Reise in unterirdische Gefilde.

Reise über drei Kammern ins Unterland

Zunächst in seiner Heimat Großbritannien in stillgelegte Bergwerke, zu Forschern, die sich mit der dunklen Materie beschäftigen, und ins Unterholz, zum Netzwerk von Bäumen und Pflanzen. Dann in Europa zu unterirdischen Städten, zu den Katakomben von Paris, in die Kanalisation, wo Obdachlose hausen und in slowenische Abgründe der Partisanenzeit. Die dritte Kammer schließlich ist dem Norden vorbehalten: den Höhlen aus der Urzeit, dem Kampf gegen die Ölbohrungen in Naturschutzgebieten, dem schmelzenden grönländischen Eis, den Grabkammern radioaktiver Abfälle auf der finnischen Insel Olkiluoto.

Die Hinterlassenschaften unserer Zivilisation

MacFarlane, eigentlich ein begeisterter Höhenbergsteiger, hat sich körperlich und seelisch viel zugemutet, um die Leser teilhaben zu lassen an seinen Exkursionen in die Unterwelt, die hin und wieder tatsächlich an die biblische Hölle erinnert. Er ist hinabgestiegen in enge Räume, die ihm die Luft zum Atmen nahmen, hat sich im Norden dem Wüten der Natur ausgesetzt und ist in den stillgelegten Bergwerken dem begegnet, was unsere Zivilisation hinterlassen wird. Er hat Schönheit erlebt, die ihn fast ehrfürchtig machte, und sich in unterirdischen Labyrinthen beinahe selbst verloren.

Erkenntnisse über die Welt unter unseren Füßen

Seine ebenso eindringlichen wie poetischen Reportagen aber führen den Lesern vor allem vor Augen, dass unsere Welt nur als Ganzes funktioniert. Das Unterland als Gedächtnisspeicher ist ebenso wichtig wie alles, was darauf fußt. „Im Unterland habe ich Dinge gesehen, die ich nie vergessen möchte – und Dinge, die ich lieber nie gesehen hätte“, schreibt MacFarlane. Wie gut, dass er die Leser daran teilhaben lässt in einer wohl einzigartigen Mischung aus Essay, Reportage, mythologischen Verweisen und naturwissenschaftlichem Exkursen, gewürzt mit denkwürdigen Begegnungen. Man könnte die eine oder andere Exkursion nachmachen. Aber darum geht es nicht. Wichtig ist, dass dieses Buch uns alle sensibilisiert für die Welt unter unseren Füßen.
Info: Robert MacFarlane. Im Unterland, Penguin, 560 S., 24 Euro

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