Am Ende der Liebe

28. März 2023

Nein, dieses Paar ist nicht „Das Liebespaar des Jahrhunderts“, wie Julia Schoch im Titel vorgibt. Es ist ein ganz normales Paar mit einer ganz normalen Geschichte. Aber wie die 1974 in Bad Saarow geborene Autorin diese Geschichte erzählt, ist schon etwas Besonderes. Auch, weil vieles, was sie schreibt, so nachvollziehbar ist, so normal.

Überschwang der Liebe

Julia Schoch spürt in dieser Autofiktion einer Liebe nach, die groß begann und sich im Alltag verliert. 30 Jahre sind die beiden zusammen, und alles beginnt ganz zauberhaft: „Ich liebte dich sofort“. Er ist anders als die anderen, liebt es elegant, will herausstechen. Und sie himmelt ihn an, schneidet sich die Haare ab, um ihm ähnlich zu sein. Denn so ganz kann sie es nicht fassen, dass sie diesen Mann getroffen hat. „Du und ich – das Liebespaar des Jahrhunderts“.

Geteilte Erinnerungen

Beide kommen aus Ostdeutschland, teilen viele Erinnerungen und brauchen dafür keine Worte. Nach dem Mauerfall nutzen sie die Gunst der Stunde, studieren im Ausland, sammeln jeder für sich neue Erfahrungen. Doch trotz so mancher leuchtender Momente schleicht sich die Ernüchterung ein.

Nüchterne Bilanz in Zahlen

Sie werden älter und Eltern. Der Alltag verschlingt die Zeit, sie sprechen kaum mehr mit einander und immer öfter denkt die Frau darüber nach,  den Mann  zu verlassen. Nach 30 Jahren zieht sie eine magere Bilanz aus nüchternen Zahlen: „Wir haben vier Küchen angeschafft… Sechsmal wurden wir bestohlen… Wir haben 912 Partien Halma gespielt… Wir hatten vier Operationen, davon eine schwere.“

Zeitgeschichte im Hintergrund

Julia Schoch schreibt auf eine ganz eigene Art über das Verebben der Gefühle, das Verstummen der Kommunikation, das Auseinanderdriften eines Paares, über Lügen und Affären, gegenseitige Vorwürfe und anödende Routine, das Vergehen der Zeit. Und im Hintergrund findet auch Zeitgeschichte statt.

Ehrliche Bestandsaufnahme

Es ist diese ebenso nüchterne wie radikal ehrliche Bestandsaufnahme einer langjährigen Liebe, die dieses Buch so besonders macht. Dabei ist es gleichgültig, ob sich die Frau am Ende tatsächlich dazu durchringt, die drei Worte zu sagen, die dieser Liebe ein Ende setzen: „Ich verlasse dich“.

Hineingelesen…

… in die Inszenierung der Liebe

Ich stelle mir zwei Türen vor. Auf der einen steht: Die Liebe fängt an. Und auf der anderen steht: Hier hört die Liebe auf. Durch eine Tür kommt man herein, und durch die andere geht man wieder hinaus. Wie bei einem Theaterstück. Wenn im Theater jemand eine Tür aufreißt oder eine Tür zuschmeißt, wackeln die Wände. Im Text heißt es dann immer nur knapp: Geht ab.
Ich frage mich, was mit unserer Geschichte passiert, wenn ich gehe. Wer wird sich darum kümmern, wenn es uns als Paar nicht mehr gibt? In meiner Vorstellung ist unsere Geschichte wie ein Kind. Wir tragen die Verantwortung für sie. Das hört sich komisch an, ich weiß. Ich wünschte, unser Geschichte könnte auch ohne uns weiterexistieren. Aber solche Sachen sind nicht möglich, außer vielleicht im Traum.

Info Julia Schoch. Das Liebespaar des Jahrhunderts, dtv, 192 S., 22 Euro

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