Amir Gudarzi und die Tragik der Flucht

7. September 2023

Die iranische Tragödie findet inzwischen wieder weitgehend unter dem Radar der Öffentlichkeit statt. Das Mullah-Regime zementiert seine Macht – auf Kosten der Frauen und der Künstler. Vielen Kreativen bleibt nur die Flucht aus ihrer Heimat – wie Amir Gudarzi, inzwischen Österreicher. Der erfolgreiche Dramatiker hat mit „Das Ende ist nah“ seinen ersten Roman veröffentlicht, ein aufrüttelndes Zeitdokument. Denn Amir Gudarzi erlaubt einen „seltenen Einblick in das, was Menschen auf sich nehmen, wenn sie flüchten“, so die Schriftstellerin Julia Franck.

Viele Gemeinsames

Die Lesenden nehmen die Realität so wahr, wie der Erzähler sie erfahren hat. Dieser Ich-Erzähler hat viel gemeinsam mit Amir Gudarzi, der seit 2009 im Exil in Wien lebt. Auch er war in Österreich gestrandet „wie Treibgut“, hat den trostlosen Alltag der Asylsuchenden erlebt, den Alltagsrassismus im Land. Doch wie viel tatsächlich aus seinem Lebenslauf in den Roman eingeflossen ist, will Amir Gudarzi nicht verraten. Er sieht sein Buch als eine Art Archiv, in dem viele Stimmen verschmelzen – auch die eigene.

Ein Roman in Stockwerken

Als A berichtet er aus dem Iran, schildert die Gewalterfahrungen während der Proteste 2009, aber auch die Gewalt innerhalb der Familie und nutzt die Sprache als „Zeitmaschine“. Für die Lesenden sind diese Zeitsprünge nicht ganz einfach, man muss sich einlesen in Gudarzis Collage-Roman. Die einzelnen Kapitel hat er nach Stockwerken benannt. Jede Etage hat mehrere Erzählstränge – neben dem Ich-Erzähler und A ist da auch noch Sarah, der – tote – Engel und wie der Ich-Erzähler eine widersprüchliche Persönlichkeit. Von ihr und ihrem Scheitern erzählen einige Kapitel in der dritten Person, Briefe und Facebook-Einträge.

Aufstieg und Absturz

Die Etagen von eins bis vier, in die sich der Roman gliedert, könnten als Symbol für den gesellschaftlichen Aufstieg des Ich-Erzählers vom Underdog zum gefeierten Autor interpretiert werden. Zugleich erzählen sie aber auch von der Überforderung, von Trauer und Einsamkeit, einem Sturz ins Bodenlose: „Ich bin ein lebendiger Toter“. Es sind bestürzende Schilderungen von Ohnmacht und innerer Instabilität, von Heimatlosigkeit, Abhängigkeit und Schuldgefühlen.

Gewalt und Sex

Den Geflüchteten trifft in Österreich die volle Härte eines allgegenwärtigen Alltagsrassismus. Er muss sich mit Gelegenheitsjobs durchschlagen, durchleidet Hunger, erfährt Gewalt und Hass. Auch die Flüchtlingsunterkünfte sind kein Hort des Friedens, die Geflüchteten haben ihre Traumata im Gepäck.  Der Ich-Erzähler ringt um sein Selbstverständnis, die Konfrontation mit der sexuell enttabuisierten Lebenswirklichkeit ist ein Schock und macht eine echte Beziehung mit der hilfsbereiten Sarah unmöglich: „In dieser Wohnung lagen unsere Körper zum ersten Mal aufeinander. Ich sage nicht, dass wir uns liebten, weil nur unsere Körper aufeinanderlagen. Unsere Seelen standen daneben und starrten uns an.“

Unter die Haut

Amir Gudarzi ist ein extrem guter Beobachter. Für seine Beobachtungen (und Erfahrungen) hat er eine beeindruckende Roman-Form und eine oft poetische Sprache gefunden. „Das Ende ist nah“ geht buchstäblich unter die Haut.

Hineingelesen…

… in das Gefühl des Fremdseins

Noch nie habe ich den Wunsch, mich mit Menschen auszutauschen, so deutlich verspürt. Aber die Möglichkeit dazu gibt es nicht. Mit denen im Heim kann ich nicht reden, weil sie mich trotz der gemeinsamen Sprache nicht verstehen. Ich bin neidisch, weil sie das Leben offenbar besser ertragen, weil sie offenbar weniger leiden als ich. Sie schauen aus, als würden sie ihre Leben genießen, obwohl es kaum zu genießen ist. Wenn sich sie beobachte, merke ich, dass ich weniger überlebensfähig bin. Ich hatte immer ein falsches Bild von mir, sah mich als starken Menschen, dachte, ich hätte meine Emotionen unter Kontrolle.
All das stimmt nicht. Ich habe mich durch mein Wissen, durch meinen Intellekt definiert, vielleicht weil ich meine soziale Herkunft verstecken wollte, Nun, wo ich durch Sprach- und Statusverlust ein Nichts geworden bin, habe ich mich verloren. Ich stehe mir im Weg – beim Leben, beim Überleben. Wenn dieses Heim und die Österreichische Pampa mich nicht umbringen, dann bringe ich mich selbst um, denke ich. Ich heule, ich habe Sehnsucht, ich habe Heimweh, ich leide. Meinen Rucksack habe ich noch immer nicht ausgepackt. Ich lebe wie ein Reisenden, der morgen zurückkehren kann.

Info Amir Gudarzi. Das Ende ist nah, dtv, 412 S., 25 Euro

 

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