Rafik Schami lässt die Wüste erblühen

7. September 2023

Da ist er wieder, der geniale Erzähler Rafik Schami, ein würdiger Erbe orientalischer Geschichtenerzähler. So ein Hakawati steht auch im Zentrum von Schamis neuem Roman „Wenn du erzählst, erblüht die Wüste“. Es ist wieder ein dickes Buch geworden aber weniger ein Roman als eine Geschichtensammlung.

Ein bisschen 1001 Nacht

Die Rahmenhandlung ist eher dürftig und erinnert ein bisschen an 1001 Nacht: Jasmin, die Tochter des Königs ist verliebt in einen Fischer und ahnt, dass die Beziehung unpassend ist. Weil sie keine Hoffnung sieht, erkrankt sie und kein Arzt weiß Rat. Da kommt Karam, der Hakawati, und bietet seine Hilfe an. Heilen will er die lebensmüde Prinzessin mit Hilfe von Geschichten. Nicht nur den eigenen, möglichst viele sollen erzählen.

Zehn Nächte und ein gutes Ende

Und so strömen die Untertanen in die große Halle, wo der König, die Prinzessin und ihre Zofe Nura den Geschichten lauschen. Zehn Nächte braucht Karam, um Jasmin ihre Lebenslust zurückzugeben – und sie mit ihrem Liebsten zu vereinen. Während dieser Zeit entspinnt sich auch eine Liebesgeschichte zwischen dem Witwer und der smarten Zofe Nura sowie zwischen Karams Tante Samia und dem Bettler Nader. Ein Ende wie es sich für ein Märchen gehört.

Dramatische Vorgeschichte

Die Vorgeschichte war dramatisch genug: Karam hatte als Kaffeehauserzähler angeblich den Herrscher Assad al Din beleidigt und kam ins Lager der Staatsfeinde. Seine geliebte Frau starb an Kummer, sein Haus wurde geplündert. Auch der König ist Witwer, seine Frau fiel bei einem Ausflug einem Anschlag zum Opfer.

Ein Erzählschatz

Doch das wichtigste sind die Geschichten, lustige und traurige, kurze und lange, ein ganzer Erzählschatz. Sie berichten von Gaunern und Einfaltspinseln, von Neid und Aberglauben, von Liebe und Hass, von Freundschaft und Freiheit. Karam hat jeden Abend unter ein bestimmtes Thema gestellt, und jede und jeder kann erzählen, was ihr oder ihm dazu einfällt. Da hat der aus Syrien stammende Rafik Schami auch einige Spitzen gegen die Behandlung von Frauen im arabischen Raum eingeschmuggelt und gegen das Terror-Regime in Damaskus.

Ein Teppich mit vielen Mustern

Manche Geschichten erinnern an bekannte Märchen, ein anderes an Schillers „Bürgschaft“. Man liest sie gerne diese Erzählungen, denn wie es die Märchenerzähler in alten Zeiten taten, webt auch Rafik Schami einen großen Erzählteppich aus vielen Mustern, die er übereinander legt. Noch lieber aber würde man diese Geschichten aus dem Mund des mittlerweile 77-Jährigen hören. Denn mit seiner wunderbaren Erzählstimme macht er selbst die dünnste Erzählung zu einer Offenbarung.

Das Erbe von Damaskus

Die Lust am Erzählen hat der promovierte Chemiker schon als Kind in den Gassen von Damaskus aufgesogen, wo er als Sohn eines Bäckers im christlichen Viertel aufwuchs,. Den Roman hat er den Erzählabenden seines Großvaters Karam nachgebildet, schreibt er im Nachwort. Und den glücklichen König, der natürlich die Liebe seiner Tochter absegnet, lässt er sagen: „Meine Seele war eine Einöde. Und du warst es, der mir eines Tages sagt: Wenn du erzählst, erblüht die Wüste. Dein Vorschlag war der Funke, der dieses Feuerwerk an Geschichten entzündet hat. Es brachte die Wüste in meiner Seele zum Blühen und ließ sie in vielen Farben leuchten.“ Bleibt zu hoffen, dass auch die Seelen möglichst vieler Lesender bei der Lektüre aufblühen…

 Hineingelesen…

… in die Geschichte vom Gottesretter

Ein armer Mann suchte Arbeit und stieß überall auf Ablehnung. Eines Tages wanderte er am Rande der Stadt durch die Ruinen eines griechischen Tempels, da sah er einen Mann, der aus einem Klumpen Bienenwachs kleine Figuren formte, etwa so groß wie eine Hand. Als er mit einer fertig war, rief er: „Adam, Adam, warum hast du auf deine Frau gehört und uns das Leben im Paradies versaut?“ Er hob die Faust und schlug auf die wachsweiche Figur ein, da wurde Adam zu einem Klumpen. Dann formte der Mann das Wachs zu einer kleinen Frau mit übertriebenem Busen. „Und du, Eva“,rief er, „warum hast du auf den Teufel gehört und deinem Mann und euren Kindern den ganzen Schlamassel eingebrockt““ Und genau wie vorher schlug er Eva auf den Kopf, und auch sie wurde wieder zu einem elenden Klumpen. Sodann formte er die nächste kleine Figur, und der arme Mann beobachtete aus seinem Versteck gespannt die Hände des anderen, die nun der Gestalt Hörner und Schwanz gaben. „Und du, verdammter Teufel“, rief der Mann, „warum hast du Eva verführt? Hättest du nicht irgendeine Ziege oder Kuh verführen können und unsere Mutter in Ruhe lassen?“ Die Faust des Mannes sauste wütend herab und machte aus dem Teufel eine dicke Scheibe.
Nun formte der Mann eine Figur mit einem langen Bart.
„Und jetzt zu dir, Gott“, rief der Mann. „Warum bist du so engstirnig? Nur weil unsere Eltern, Adam und Eva, mal von der Frucht der Erkenntnis genascht haben, hast du gleich einen Wutanfall bekommen. Ich mache dich fertig!“ Und er hob die Faust.
„Nein, das machst du nicht!“ schrie der arme Mann aus vollem Halse. Der Figurenmacher sprang auf wie von einem Skorpion gestochen, rannte zu seinem Pferd und ritt fluchtartig davon. Sein Mantel lag auf dem Boden. Als der arme Mann aus seinem Versteck trat und den Mantel aufhob, fand er in der Manteltasche einen Beutel mit zwanzig Dinaren. Er nahm ihn mit, ebenso wie den Wachsklumpen, und ging nach Hause. Dort angekommen, gab er seiner Frau einen Dinar und bat sie, endlich etwas Gutes zu kochen. Sie bewunderte den schönen Mantel und war über das viele Geld sehr glücklich.
„Woher hast du das?“
„Ich habe Gott gerettet“, antwortete der Mann und erzählte seiner Frau die ganze Geschichte.
„Vergiss bitte nicht, beim Einkaufen auch einen Docht mitzubringen“, sagte er zu ihr, als sie sich auf den Weg in die Stadt machte. Sicherheitshalber gab er ihr einen Kuss. Die Frau lachte. „Die Fortsetzung bei Kerzenschein“, sagte sie.

Info Rafik Schami. Wenn du erzählst, erblüht die Wüste, Hanser, 470 S., 26,80 Euro

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