Das Leben ist kein Film

19. Februar 2024

„Ohne meine beruflichen Erfahrungen hätte ich das nicht schreiben können“, sagt Emanuel Bergmann über seinen neuen Roman Tahara. Bergmann war viele Jahre selbst Filmjournalist wie sein Protagonist Marcel Klein. Und die Einblicke in die Welt der Filme und die der Filmkritiker sind mit das Beste an diesem Buch, das von der Sehnsucht erzählt geliebt zu werden.

Das Ferkel am Trog

Dabei wirkt dieser Marcel Klein, der für ein Filmjournal schreibt, ziemlich abgebrüht. Er liebt zwar das Kino und den Film, aber er verachtet den Star-Rummel ebenso wie seine vorwiegend männlichen Kritikerkollegen, die sich bei den Filmfestspielen in Cannes so wichtig nehmen: „Man war dort nur das Ferkel am Trog, umringt von Kollegen, die alle um dieselben Bröckchen wetteiferten. Aber wenigstens gab‘s da was zu essen. Es konnte nicht schaden, sich gelegentlich auf Kosten anderer durchzufuttern.“

Liebe und Lügen

Und das tut Marcel auch ausgiebig, nicht ohne ebenso ausgiebig dem reichlich fließenden Alkohol zuzusprechen. Alles wie immer, bis ihm im Hotel die geheimnisvolle Héloise über den Weg läuft, eine melancholische Schönheit. Marcel ist schockverliebt. So sehr, dass er, der Profi, das Interview mit dem Star der Festspiele vermasselt. Das kostet ihn den Job, weil auch all seine Lügen nichts mehr retten können.

Wolkenkuckucksheime

Doch Marcel hat ohnehin nur mehr Héloise im Kopf, Héloise, die Traumfrau, das Rätsel. Sie streiten und sie lieben sich. Bis er dem Geheimnis seiner Geliebten auf die Spur kommt. Diese verzweifelte Liebe hat kein Chance, auch wenn Marcel Wolkenkuckucksheime baut. Er muss auf die harte Tour lernen, von seinen Träumen Abschied zu nehmen.

Relotius lässt grüßen

Emanuel Bergmann, der seit seinem Debüt „Der Trick“ als außergewöhnlicher Erzähler gilt, beweist sein Können auch in diesem Roman, dem freilich die Magie des Erstlings fehlt. Dafür gibt es Einblicke in die Welt des Films und die eines Journalismus, der alles andere als magisch ist. Marcel scheitert nicht nur an sich selbst, sondern auch an den Ansprüchen der Medien. Seine Lügengeschichten erinnern an den tiefen Fall des Claas Relotius, eines jungen Journalisten, der für seine erfundenen Geschichten mit den wichtigsten Preisen ausgezeichnet worden war.

Rädchen im Getriebe

Auch Marcel fällt tief, aber das wird ihm nur quälend langsam bewusst: „Was hieß hier Betrug? Man konnte über Marcel sagen, was man wollte, aber eine Betrüger? Was hatte er sich schon zu Schulden kommen lassen? Gut, hie und da hatte er ein paar Aussagen in seinen Interviews, sagen wir mal, nachgebessert. Aber nur, damit die Gesprächspartner nicht total bekloppt wirkten. War das so falsch? Er war als Filmjournalist sowieso nur ein kleines Rädchen im Getriebe, Teil eines Systems, dem System Hollywood, bei dem es darum ging, die Filme und ihre Macher so gefällig wie möglich zu präsentieren… Er hatte im Grunde nicht anderes getan, als diesem kranken, korrupten System einen Spiegel vorzuhalten. Er war kein Betrüger, er war ein Satiriker, der die unechte Scheinwelt zu enttarnen suchte.“

Geplatzter Traum

Im Gegensatz dazu sind seine Gefühle für Héloise echt. Er würde dieses zarte Pflänzchen Liebe gerne pflegen, aber das Leben ist halt kein Film. Héloise hat das längst begriffen. Sie will noch einmal das Leben voll auskosten, sich selbst spüren. Am Ende ist Marcel wieder allein, der Traum von der großen Liebe ist geplatzt, der Job dahin.

Info Emanuel Bergmann. Tahara, Diogenes, 285 S., 25 Euro

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