Die Rebellin und der Bauernmaler

9. Februar 2023

„Wenn halt nur mehr Leute so wie wir zwei regelmäßig die Augsburger Allgemeine lesen würden, dann würde weniger Schmarrn in die Welt hinausposaunt werden.“ Man schreibt das Jahr 1886 im Werdenfelser Land, und die „Huberin“ ist wohl die einzige Zeitungsleserin im kleinen Dorf Loisbichl. Es sei denn, sie kann die junge Witwe Vroni auf dem abgelegenen Graseggerhof mit der nützlichen Lektüre anstecken. Bei der Heumahd hat die junge Frau schließlich schon unerwartete Stärke gezeigt.

Allein gegen ein Dorf

Susanne Betz‘ gleichnamiger Roman konzentriert sich auf eine trotzige junge Frau, die im Kampf mit den Naturgewalten und überkommenen Vorstellungen tumber Zeitgenossen einen einsamen Hof führen will. Unerwarteten Rückhalt bekommt Vroni dabei von der herrschsüchtigen und reichen Huberin, die das Potenzial der jungen Rebellin sieht. Ganz anders als der Dorfpfarrer, für den die Frauenwirtschaft auf dem Graseggerhof fast schon sündig ist. Gäbe es doch im Ort genügend heiratswillige junge Männer. Auch die hat sich Vroni mit ihrer abwehrenden Haltung zu Feinden gemacht.

Schlimme Erfahrungen

Doch die junge Witwe leidet immer noch unter den schlimmen Ehe-Erfahrungen mit dem deutlich älteren Bauern. Die Narben der Schläge verheilen nur langsam. Trost findet sie beim „Rosl“, der anhänglichen Stieftochter mit dem Down-Syndrom. Dass das Rosl im Ort als Idiotenkind verspottet wird, schmerzt Vroni mehr als ihre eigene prekäre Situation. Mit Josefa, der oft unwilligen Magd, dem gebrechlichen Onkel und dem treuen Knecht Korbinian allein wird sie den verfallenden Hof nicht halten können.

Der Maler als Stammgast

Ein Lichtblick in dieser existentiellen Not ist der Münchner Maler Wilhelm Leibl, der zum Stammgast auf dem Grasegger Hof wird und die junge Witwe nach Kräften unterstützt. Als er auch noch den jungen englischen Mediziner Reginald mitbringt, der mit dem Rosl praktische Übungen macht und auf dem Hof mit anpackt, scheint die Welt für Vroni perfekt. Durch Leibls Brille hat sie die Schönheit ihrer Umgebung neu entdeckt, mit Reginald entdeckt sie eine neue Freude am Leben – und bisher unbekannte Gefühle.

Wechselbad der Gefühle

Um Reginald eine Freude zu machen, lässt sie sich von Leibl porträtieren. Doch das Glück ist unbeständig wie das Wetter in den Bergen, auf die es den britischen Arzt zieht – wie so viele seiner Landsleute in dieser Zeit. Vroni fällt in ein tiefes Loch. Und wieder ist es Leibl, der für sie da ist. Ernüchtert stellt sich die junge Witwe den Anforderungen des Hofes – unter den wohlwollenden Augen der zeitungslesenden Huberin. Womöglich hat Vroni doch noch eine Chance auf ein kleines bisschen Glück.

Ein Porträt als Inspiration

Die gebürtige Gunzenhausenerin Susanne Betz stellt mit der jungen Bäuerin eine starke Frauengestalt ins Zentrum ihres historischen Romans, in dem sie auch Zeitgeschichte streift: Der Tod des Kini, die Eroberung der Berge durch englische Bergsteiger, die ersten Touristen, der Fortschritt. Die bildmächtigen Beschreibungen einer grandiosen Natur und das dumpfe Milieu des Dorfes spiegeln den Seelenzustand der Protagonistin zwischen trotzigem Stolz und abgrundtiefer Verzweiflung. Dazu kommt ein mitreißendes Porträt des „Bauernmalers“ Wilhelm Leibl, der  Susanne Betz mit seinem Porträt „Bauernmädchen mit weißem Kopftuch“ zum Roman inspiriert hat. Gut so!

 Hineingelesen…

… in die Verwandlung des Wilhelm Leibl

Ab da arbeitete Leibl jeden Tag vom frühen Morgen bis zum späten Nachmittag mit. Am Abend, wenn er sich im billigsten Fremdenzimmer des Brückenwirtes in die Bettstatt fallen ließ, spürte er jeden Knochen. Etwas, was ihn stolzer machte als der Muskelkater nach Leibesübungen oder Besuchen im Athletenclub. Er schlief, ohne zwischen ein und vier Uhr morgens an die Decke zu starren. Er war nicht länger der lebendig begrabene Leibl, als der er sich gern in Briefen an Bekannte bemitleidet hatte, sondern ein rechtschaffen müder Mensch. In diesen Septembertagen vergaß Wilhelm Leibl, sich über ignorante Galeristen oder klugschwätzende Kunstkritiker zu ärgern, weil er überhaupt nicht mehr viel nachdachte. Er drehte sich höchstens noch einmal in der für ihn viel zu schmalen Bettstatt um und schlief gleich weiter.
Die Mühsal und Schinderei, die er vorher in den Gesichtslandschaften seiner bäuerlichen Modelle nur gesehen und in Farbvaleurs übersetzt hatte, erlebte er jetzt selbst. Dazu die Befriedigung, mit Wind, Wolken, Sonne und dem Berg als freundlichem Gegenüber zu arbeiten. In diesen Tagen wurde Wilhelm Leibl mit Leib und Seele Bauernmaler.

Info Susanne Betz. Heumahd, C. Bertelsmann,  318 S., 22 Euro

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