Drei Frauen gegen das System

26. September 2019

Lange hat Margaret Atwood die Leser auf diese Fortsetzung warten lassen.  Über die Jahre  haben sich gefragt, wie es Desfred, der Protagonistin aus  „Der Report der Magd“ geht. Ob sie Gilead überlebt hat, diesen totalitären, christlich-fundamentalistischen Staat, in dem Frauen nichts und Männer alles sind. Nun, nachdem ihr Buch durch IS und einen Frauen verachtenden Trump neue Aktualität bekommen und zugleich als Serie reüssiert hat, hat sich Atwood zu einer Fortsetzung veranlasst gefühlt, in der sie die offenen Fragen beantworten lässt – von den „Zeuginnen“, drei sehr unterschiedlichen Frauen.

Die Leichen im Keller

Die eine, Agnes, wächst in Gilead behütet in einem Kommandantenhaushalt auf, bis ihre „Mutter“ stirbt und die Stiefmutter die 13-Jährige zur Heirat freigibt. Die andere, die rebellische Daisy, lebt in Kanada bei politischen Aktivisten, die sich für die Flüchtlinge aus Gilead engagieren und durch eine Autobombe ums Leben kommen. Und die Dritte, Tante Lydia, ist als Chefin der „Tanten“ im Haus Ardua, einer Art Frauen-Disziplinierungs-Lager, mitten drin und nah dran an der Diktatur von Gilead: „Über die Jahre habe ich viele Leichen in den Keller gebracht, nun bin ich geneigt, sie wieder an Tageslicht zu holen – und sei es nur zu deiner Erbauung, mein unbekannter Leser.“

Rachegefühle einer Tante

Lydia hat am eigenen Leib Gileads Macht erfahren, anders als andere ist sie gestählt aus der Folterhölle hervorgegangen – und mit dem Vorsatz: „Das kriegt ihr zurück. Es ist mir egal, wie lange es dauert oder wie viel Scheiße ich in der Zwischenzeit fressen muss, aber das geb‘ ich euch zurück.“ Alle drei haben irgendwie mit dem Fall der von ihrer Mutter nach Kanada „entführten kleinen Nicole“ zu tun. Wie, das ahnen manche Leser schon früher als die Protagonistinnen. Nur ganz allmählich enthüllt Atwood die Verbindungslinien, was ihr Zeit gibt, den frauenfeindlichen Alltag in Gilead zu schildern, Zeit auch für diplomatische Gespräche zwischen Tante Lydia und dem Kommandanten Juud, dessen unersättlichen Appetit auf junge Mädchen sie sich zunutze macht.

Die Männer bleiben Schatten

Juud ist neben einem pädophilen Zahnarzt, den ein Todesurteil trifft, der einzige Mann in Gilead, der etwas Profil bekommt. Alle anderen bleiben Schattenbilder. Das ist vielleicht eine der Schwächen dieses Romans, in dem sich Atwood auch sarkastische Einschübe erlaubt. Die Geschichten der beiden Mädchen werden in Form historischer Dokumente überliefert, in denen die Aussagen der jungen Frauen aufgezeichnet sind. So kann Atwood die unterschiedlichen Charaktere von Agnes und Daisy gut herausarbeiten. Das letzte Wort hat ein Professor, der die Geschichte zusammenfasst, nicht ohne Zweifel an der Richtigkeit aller Aussagen zu säen: „In unserer Zunft ist es so: Schließt man eine mysteriöse Truhe auf, enthält sie nicht selten eine zweite.“

Parallelen zur Realität

Was auch diesen Roman, der bis auf den Professor am Ende ausschließlich aus weiblicher Sicht geschrieben ist, so faszinierend macht, sind die Parallelen der Dystopie zur Realität. Ob heute im Islamischen Staat oder vor Jahrzehnten in der Enver Hoxha Diktatur in Albanien: Die Unterdrückung von Frauen gehört zum System. Auch dagegen schreibt Margaret Atwood an.
Info: Margaret Atwood. Die Zeuginnen, Berlin Verlag, 575 S., 24 Euro.

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