Erfundenes Leben

26. August 2022

Baret Magarian wurde in London geboren, hat armenische Wurzeln und lebt in Florenz, er hat als Journalist, Schauspieler, Theaterleiter und Aktmodell gearbeitet, hat Persönlichkeiten wie Salman Rushdie oder Peter Ustinov interviewt und sich seit Schulzeiten als Autor versucht. Auch diese Erfahrungen münden wohl in den surrealistischen Roman „Die Erfindung der Wirklichkeit“ – zugleich Medienschelte und Gesellschaftssatire.

Zwei Männer, ein Plan

Im Mittelpunkt stehen zwei höchst ungleiche Männer: Der Autor Daniel Bloch, ein Mann in der Midlife-Krise, der an einer Schreibblockade leidet und auf der Suche nach Intuition ist. Und der junge Oscar Babel, scheinbar ein geborener Looser, der als Filmvorführer arbeitet, nachdem er sich erfolglos als Maler versucht hat. Dann kommt Bloch die Idee: „Ich könnte eine Geschichte über dich schreiben“, sagt er zu Oscar. „Ich würde mir gern ein anderes Leben für dich ausdenken. Eine Parallelwirklichkeit. Ich könnte eine mögliche Zukunft in Worte meißeln.“

Scheinwelt der Social Media

Gesagt, getan. Was dann passiert, erschreckt den Autor zu Tode: Oscars Leben passt sich Blochs literarischen Skizzen an. Es beginnt mit einer Katze und führt geradewegs hinein in die Scheinwelt der Social Media. Und während Bloch dem eigenen Projekt immer ängstlicher gegenüber steht – „Weißt du, dass Kunst töten kann?“ hatte ihn eine Stimme aus dem Off gewarnt – genießt Oscar die Freuden eines unerwarteten Erfolgs.

Allmachts-Phantasien

Die Ereignisse überstürzen sich, als Oscar auf Ryan Rees trifft, einen skrupellosen Star-Agenten, der ihn zum neuen Guru wenn nicht gar zum Messias hochjazzen will. „Man konnte jeden gehirntoten Schwachkopf in einen Promi verwandeln, aber aus einem völligen Niemand einen Propheten machen? Das erforderte eine außergewöhnliches Maß an Propaganda, Gerissenheit und Erfindungsreichtum, kurzum, ein Wunder der Meinungsmache, das nur er vollbringen konnte. Wenn es ihm gelänge, einen neuen Jesus Christus in die Welt zu setzen, ihn einfach aus dem Nichts zu zaubern, würde das bedeuten, dass er, Ryan Rees, buchstäblich alles tun konnte.“

Massenorgie und Medienhype

Rees sorgt dafür, dass Oscar zu Promi-Partys eingeladen wird, mietet ihn in einer Suite in einem Luxushotel ein und bringt ihn bei einem Kunst-Event ins Gespräch. So beginnt Oscars Karriere als umjubelter Influencer. Als seine Rede eine Massenorgie auslöst und damit einen Medienhype, scheint er auf dem Weg zum Heilsbringer nicht mehr zu stoppen. Und Bloch? Füttert Oscar weiter mit seinen Ideen, während sein eigenes Leben zu verlöschen droht.

Meister der Sprache

Bis zur letzten Abrechnung schlägt die Geschichte noch einige absurde, teilweise auch absurd witzige, Volten. Und manchmal überkommt einen das Gefühl, dass es Baret Magarian mit seiner Fabulierlust doch etwas übertrieben hat. Denn neben dem Haupterzählstrang über die Erfindung der Wirklichkeit gibt es noch einige durchaus interessante Nebenstränge – über die Blumenfrau Lilliana, eine alte Freundin Oscars. Oder über die Künstlerin Najette, in die sich Oscar unsterblich verliebt. Doch Magarian weiß mit dieser Erzählfülle umzugehen – und mit der Sprache.

Info Baret Magarian. Die Erfindung der Wirklichkeit, folio, 485 S., 28 Euro

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