Familiäre Abgründe

23. Februar 2023

„Meine Krimis sind immer auch ein Spiegel des Jahres, in dem sie geschrieben wurden“, schreibt Nicola Förg im Nachwort zu ihrem neuen Krimi „Dunkle Schluchten“. Das mache sie aktuell, „womöglich aber auch schnell veraltet“. Aktuell ist auch „Dunkle Schluchten“, brandaktuell. Denn mit dem verdächtigen Unternehmer von MyEi bringt Förg das Problem der Bruderhähne ins Buch. Sie werden zwar nicht mehr geschreddert, tiergerecht ist ihr meist kurzes Leben aber dennoch nicht.

Profitgier contra Tierwohl

Profitgier und desinteressierte Konsumenten sorgen dafür, dass das Tierwohl meist hinten runter fällt. Das macht der engagierten Tierschützerin Nicola Förg genauso zu schaffen wir ihrer Kommissarin Irmi Mangold.

Furioses Ende

Und dieser Fall um zwei tote Restaurateure fordert Irmis Spürnase ganz besonders. Dabei steht sie kurz vor dem Ruhestand, was ihr auch Kopfzerbrechen bereitet. Wohin dann mit all ihrer Energie? Doch vorerst braucht sie die noch, um den verzwickten Fall aufzuklären, der immer groteskere Züge annimmt und fast schon furios, zumindest aber filmreif endet.

Gastro-Tipps am Lago

Bis zur – unerwarteten – Lösung hat Nicola Förg reichlich Gelegenheit, nicht nur aktuelle Probleme wie die Eingliederung von ukrainischen Flüchtlingen, die Existenzsorgen der Landwirte und generell die mangelnde Rücksicht auf Nutztiere anzusprechen, sondern auch die landschaftlichen Schönheiten rund um den Lago Maggiore zu feiern, inklusive einiger Gastro-Tipps. Auch darin ist die Reisejournalistin ja durchaus Fachfrau.

Private Harmonie

Ansonsten läuft es geschmeidig im Privatleben der Kommissarin – dank dem gebildeten, geduldigen und aufmerksamen „Hasen“. Und im Kommissariat haben sich die aufbrausende Kathi und die ruhige aber emsige Andrea auch zusammengerauft. Allerdings müssen die Ermittlerinnen in diesem Fall in ganz besonders dunkle Abgründe blicken…

Hineingelesen…

… ins Hühnerleben 

„… Es gibt hundertachtzig Höhnerrassen in Europa. Früher waren alle Hühner Zwiehühner., die Eier legten und später zum Suppenhuhn wurden.“
„Und die da?“
„Tja, das sind Legehybriden.“
„Das heißt entweder Ei oder Fleisch?“ fragte Kathi. „Auch wenn es die Tiere ganz nett haben, ist das doch irgendwie industrielle Massenproduktion?“ Sie sah Veronika direkt an.
„Ich würde meinen Betrieb  jetzt nicht so bezeichnen, aber wenn du eine bäuerliche Haltung wie bei der Oma im großen Maßstab willst, also echte Ethik in derTierhaltung, dann geht das nur über den Verzicht. Dann muss der Deutsche weniger Eier essen, und zwar vor allem in Convenience-Produkten. Man glaubt ja gar nicht, wo überall Ei drin ist. Leg mich jetzt nicht fest, aber dich denke, es gibt fünfundvierzig Millionen Hühner in Deutschland, die für die Eierproduktion gehalten werden.“
„In diesen Legebatterien? Ich hab da so Bilder vor Augen“, meinte Kathi.
Die sind seit 2012 in der EU verboten, dafür gibt es nun Kleingruppenkäfige, die man bis 2026 verbieten will, mit Übergangsfristen bis 2029. Die sind in den Großbetrieben durchaus noch üblich, ich sag mal, ab zweihunderttausend Hennen. Die Fläche für jedes Huhn in der Legebatterie war kleiner als ein DIN-A4-Blatt,in der Kleingruppenhaltung hat jedes Tier achhundert Quadratzentimeter zur Verfügung, das ist ein DIN-A4-B latt plus fünf  EC-Karten. Nicht so toll! Sechzig Prozent der Legehennen leben heute in Deutschland in Bodenhaltung, also in großen Hallen in Gruppen bis zu sechstausend Tieren, und das bei eintausendeinhudertelf Quadratzentimeter je Huhn, das kannst du jetzt wieder in EC-Karten umrechnen.“
„Scheiße!“ sagte Kathi.
„Eher die Realität.“
Wieder betrachteten sie die Hennen, und Irmi fühlte sich plötzlich schwer und müde. Sie war froh, dass Kathi weiterfragte.
„Und wie alt werden die dann?“
„Während Rassehühner zum Teil über eine Dauer von drei bis vier Jahren zuverlässig Eier legen, lässt die Legeleistung bei Hybriden schnell nach. Zwar produzieren die Hybridhühner im ersten Jahr oft mehr als dreihundert Eier, doch schon im zweiten Jahr zeigt sich, dass die Hennen eben doch keine Maschinen sind. Die Legeleistung sinkt bis zum Ende des zweiten Lebensjahres immer weiter ab. Wir tauschen nach eineinhalb Jahren aus“, sagte Veronika.<
Wie das klang! Wir tauschen aus…
„Und dann?“
„Suppenhühner“, sagte sie lapidar.

Info
Nicola Förg. Dunkle Schluchten, Piper, 304., 17 Euro

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