Heiß umkämpftes Eis

23. Mai 2022

Wolf Harlander ist als Journalist immer am nah dran am Zeitgeschehen. Das hat er mit seiner Öko-Dystopie „42 Grad“ und dem Thriller „Systemfehler“ zum Thema Cyberattacken bewiesen. Und sein neues Buch „Schmelzpunkt“ passt in die Serie. Denn vieles, worüber Harlander darin schreibt, kennen wir aus den Schlagzeilen: Die Erderwärmung, die Gletscherschmelze, den Kampf um die Arktis und ihre Ressourcen.

Es geht um Geld und Macht

Wolf Harlander packt alles in einen spannenden Thriller, in dessen Zentrum die Wissenschaftlerin Hanna vom Alfred-Wegener-Institut und der grönländische Inuit Nanoq stehen. Hauptschauplatz ist ein unter ungewohnter Hitze stöhnendes Grönland, auf dem sich Spione, Abenteurer und Söldner aus aller Welt tummeln. Es geht um Geld, viel Geld. Und um die Macht am nördlichen Ende der Welt.

Wieder mal der BND

Auch der BND ist alarmiert und schickt den jungen Nelson Carius und seine kühle Kollegin Diana Winkels, die man schon aus „Systemfehler“ kennt, in die Problem-Zone. Die beiden sind ziemlich abgebrüht, ihren Weg pflastern einige Leichen. Doch bei dem Machtkampf im gar nicht mehr so ewigen Eis bleiben vor allem andere auf der Strecke – die Inuit, deren Leben auf den Kopf gestellt wird. Als dann auch noch eine wohl von Menschen ausgelöste Monsterwelle Nanoqs Dorf verschlingt, wird auch der eher naiven Wissenschaftlerin Hanna klar, dass sie in Lebensgefahr schwebt.

Liebe und Showdown

Doch wie nah der Feind wirklich ist, ahnen weder sie noch ihr Helfer Nanoq. Aufmerksame Leser allerdings könnten dazu Hinweise geben. Und sie ahnen auch früh, was sich zwischen Hanna und dem jungen Inuit anbahnt. Auch Nelson und Diana kommen sich im Lauf des Romans ziemlich – wenn auch nicht ganz – nahe. Da geht sicher mehr in einem nächsten Thriller. Die beiden Liebesgeschichten und der Showdown am Ende machen den hochaktuellen Thriller filmreif, auch wenn die Dialoge zwischendurch eher hölzern sind.
Das Plus von Wolf Harlander  sind seine gut recherchierten Hintergründe zum Machtkampf um die Arktis und zur Geschichte der Inuit.

Hineingelesen…

…  in die Geschichte von Thule

Vom Flugzeug aus war die amerikanische Thule Air Base gut zu erkennen: eine eigene Landebahn direkt am Meer, Radarstationen, Baracken und Unterkünfte. Dazu getranrte Raketen-Abschussbasen. Am Pier ankerte ein aufgetauchtes U-Boot.
Nanoq war immer wieder aufs Neue fasziniert von dem Anblick aus der Vogelperspektive,gab sie doch ungewohnte Einblicke in dieses faszinierende Land und machte einem bewusst, wie unendlich weit Grönland in Wirklichkeit war.
„Wir landen“, sagte der Pilot der Privatmaschine.
Alle schnallten sich an.
Nanoq dachte an die Geschichte dieses abgelegenen Fleckchens, wie sein Großvater sie ihm erzählt hatte. Später hatte er einiges in den Geschichtsbüchern nachgelesen. Eigentlich hieß der Ort, der der Air Base am nächsten war, bei den Einheimischen Pituffik. Aber sowohl die Amerikaner als auch die Dänen benutzten den Namen Thule nach der sagenumwobenen Stadt ganz im Norden, die seit Jahrtausenden die Fantasie der Menschen befeuerte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die USA diesen Militärstützpunkt mit Genehmigung Dänemarks massiv ausgebaut. Nur eines störte dabei: die Inuit-Familien, die vor Ort in Pituffik wohnten. Thule war Teil ihrer Siedlung.
Damit begannt 1953 die schlimmste Aktion der dänischen Regierung – ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ , wie Uju es immer genannt hatte – gegen die Ureinwohner Grönlands.
Das Gebiet um die Militäranlage wurde für die Einheimischen gesperrt und die Menschen aufgefordert, woanders hinzuziehen. „Sie waren lästig geworden und sollten einfach verschwinden“, wie Uju sagte. Doch die Inuit-Familien weigerten sich, ihre über Jahrhunderte bewohnte Heimat zu verlassen. Nun ging der Staat brutal gegen die Menschen vor und verordnete eine Zwangsumsiedlung ins über hundert Kilometer entfernt Qaanaaq – einen Ort, der damals zu diesem Zweck neu gegründet worden war: Innerhalb von vier Tagen musste die Inuit ihre Häuser verlasen. Bei der Ankunft in Qaanaaq sahen sie, dass die Versprechen der Obrigkeit nicht mehr als ein Bluff gewesen waren: Die versprochenen Unterkünfte warn noch gar nicht gebaut, und die Familien mussten in Zelten wohnen.
„Sie haben die Inuit behandelt wie Hunde, die man hinaus in die Kälte jagt, weil man ihrer überdrüssig geworden ist“, hatte sein Großvater voller Verbitterung gesagt. „Daran siehst du, Nanoq, die dänischen Besatzer halten uns für Menschen zweiter Klasse.“

Info Wolf Harlander. Schmelzpunkt. Rowohlt Polaris, 508 S., 17 Euro

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